# taz.de -- Präsident des Zentralrats der Juden: „Der latente Antisemitismus… | |
> Beim Kampf gegen Rassismus müssen Juden und Muslime zusammenarbeiten, | |
> sagt Josef Schuster. Ein Gespräch über Familie, Pegida und die | |
> Linkspartei. | |
Bild: „Ich befürchte, dass in der Bundesrepublik das Thema Fremdenfeindlichk… | |
taz: Herr Schuster, wie fühlt es sich so an als neuer Präsident des | |
Zentralrats der Juden? | |
Josef Schuster: Im Moment noch ein bisschen gestresst. Geändert hat sich, | |
dass ich jetzt mehr in der Öffentlichkeit stehe. Was auch bedeutet, dass | |
ich die Termine, die ich wahrnehme, nicht mehr so ganz alleine wahrnehme. | |
Daran muss man sich erst gewöhnen. | |
Was meint: Sie erhalten jetzt einen besonderen Personenschutz. | |
Ich sehne mich nach dem Tag, an dem wir solche Sicherheitsmaßnahmen nicht | |
mehr brauchen. Mein größter Wunsch wäre es, wenn keine Polizeistreifenwagen | |
vor jüdischen Kindergärten, Schulen, Gemeindezentren und Synagogen stehen | |
müssten. Auch ich würde mich ohne Personenschutz erheblich wohler fühlen. | |
Ich meinte allerdings auch, dass jetzt jeder Termin, bei dem ich auftauche, | |
erheblich mehr öffentliche Aufmerksamkeit erfährt als früher. | |
Neben dem ehrenamtlichen Amt wollen Sie weiter in Ihrer Würzburger Praxis | |
als Internist arbeiten. Wird da jetzt jeder Patient kontrolliert? | |
Es wird jetzt hier keiner vorher abgetastet. Da haben die | |
Sicherheitsbehörden einen Weg gefunden, der die Patienten überhaupt nicht | |
belästigt, aber doch ein gutes Maß an Sicherheit bietet. | |
Haben Sie überhaupt noch Zeit für Ihren Beruf? | |
Zum Glück ist das bei einer Bestellpraxis etwas einfacher zu handhaben. Es | |
geht um diagnostische Untersuchungen, bei mir um Spiegelungen im | |
Magen-Darm-Trakt. Da kann man die Patienten gezielt bestellen. Bei einer | |
Praxis eines Allgemeinmediziners, wo Sie eigentlich überhaupt nicht wissen, | |
wer und wie viele Patienten am Tag kommen, wäre es sehr schwierig. | |
Ansonsten ist der Zentralrat ja kein Einmannbetrieb. Ich habe | |
hochkompetente Stellvertreter, auf deren Unterstützung ich baue. | |
Pflegen Sie einen anderen Führungsstil als Ihr Vorgänger Dieter Graumann? | |
Ich glaube nicht. Wir beide haben sehr harmonisch zusammengearbeitet. Das | |
hängt damit zusammen, dass wir in den Grundgedanken sehr wenige | |
Unterschiede haben. Wo es ausnahmsweise mal ein Problem gab, haben wir das | |
intern diskutiert und eine Konsenslösung gefunden. Ich will Dieter | |
Graumanns Weg fortsetzen. | |
Sie beide gehören zur Nachkriegsgeneration, die die Schoah nicht mehr | |
selbst miterleben musste. Resultiert daraus ein anderer Blick auf | |
Deutschland, als ihn beispielsweise Ignatz Bubis oder Charlotte Knobloch | |
hatten? | |
Der Unterschied ist, dass die Generation, die nachgeboren ist, sicherlich | |
einen etwas anderen, unbefangeneren Blick auf Deutschland und die deutsche | |
Gesellschaft hat. Das ergibt sich aus der Natur der Sache. | |
Ihre Familie ist Mitte der 1950er Jahre aus Israel zurückgekehrt. Da waren | |
Sie zwei Jahre alt. Was hat Ihre Eltern dazu gebracht, ins Land der Täter | |
zu ziehen? | |
Das war dem Wunsch des Großvaters geschuldet. Er hatte sich seinen | |
zwangsarisierten Grundbesitz im unterfränkischen Brückenau rückübereignen | |
lassen und wollte diesen wieder verwalten. Von Israel aus war das nicht | |
möglich. Was in meinem Elternhaus anders war als in vielen anderen | |
jüdischen Elternhäusern: Ich bin nicht mit dem Gedanken aufgewachsen, dass | |
wir nur vorübergehend in Deutschland leben und irgendwann wieder nach | |
Israel, nach Amerika oder sonst wohin ziehen. Ich wurde so erzogen, dass | |
ich bewusst in Würzburg lebe. | |
Wie schwer ist Ihrer Familie die Rückkehr gefallen? | |
Meiner Mutter ist sie schwerer gefallen. Ihre Eltern wurden in Auschwitz | |
ermordet. Einer der schwersten Momente, so hat sie mir erzählt, sei | |
gewesen, als sie 1956 in München aus dem Flugzeug gestiegen ist und | |
deutsche Uniformen gesehen hat. Das war sehr hart für sie. Die | |
Vergangenheit wurde nie bei uns ausgeblendet. Wenn es zu dem Thema kam, | |
wurde darüber gesprochen. Sie war aber auch nicht das Thema Nummer eins. | |
Nicht bei jedem Frühstück, Mittagessen, Abendessen wurde über den Holocaust | |
geredet. | |
Die Eltern Ihres Vorgängers Graumann änderten mit der Einschulung seinen | |
Vornamen von David in Dieter, damit er nicht als Jude auffällt. Wie war das | |
bei Ihnen? | |
Alle meine Mitschüler und auch die Lehrer wussten, dass ich Jude war. Es | |
war nicht mein erster Satz: Hallo, ich bin Josef und ich bin jüdisch. Aber | |
das habe ich nie verborgen, und es war auch niemals ein Problem. | |
Ihr Sohn ist CSU-Stadtrat in Würzburg. Auch Sie gelten als politisch | |
konservativ. Eine zutreffende Charakterisierung? | |
Ich glaube auch, dass ich ein eher konservativ denkender Mensch bin. Aber | |
ich habe kein Parteibuch. Ich finde auch gut, dass ich keins habe. Für mein | |
Amt ist das eigentlich besser, weil ich es wichtig finde, offen mit allen | |
demokratischen Parteien reden zu können. | |
Aber eine Parteipräferenz dürften Sie doch schon alleine familienbedingt | |
haben, oder? | |
Ich gehöre zu jenen Menschen, die man als Wechselwähler bezeichnet. Mit | |
einer Ausnahme habe ich allen momentan im Bundestag sitzenden Parteien | |
schon mal meine Stimme gegeben. Das gilt auch für eine Partei, die aktuell | |
nicht mehr dort sitzt. | |
Die einzige Ausnahme dürfte die Linkspartei sein. | |
Ja, das stimmt. Aber es ist nicht so, dass ich mit Vertretern dieser Partei | |
nicht rede. Mit Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau habe ich mich erst | |
kürzlich sehr gut unterhalten. Dass es Mitglieder der Linkspartei gibt, und | |
zwar wohl mehr als in anderen Parteien, deren Wortwahl beispielsweise im | |
Israel-Gaza-Konflikt nicht immer ganz glücklich war, steht auf einem | |
anderen Blatt. | |
Wie haben Sie die antiisraelischen Proteste im vergangenen Sommer | |
empfunden? | |
Kritische Äußerungen zur Politik Israels sind etwas ganz Legitimes. Nur | |
wenn diese Kritik umschlägt mit Worten wie „Kindermörder Israel“ oder | |
„Juden in das Gas“, dann offenbart sich hinter dieser vermeintlichen | |
„Israelkritik“ purer Antisemitismus. Das fand ich in dem Ausmaß | |
erschreckend. | |
Sie sind in Israel geboren. Wie ist Ihr Verhältnis zu dem Land? | |
Zum einen habe ich Verwandtschaft in Israel. Ein Cousin und eine Cousine | |
mit Familie leben in Haifa. Zum anderen ist für jeden Juden das Verhältnis | |
zu Israel nicht neutral. Einfach deshalb: Hätte es den Staat Israel in den | |
1930er Jahren gegeben, wäre es nicht zu dem gekommen, wozu es gekommen ist. | |
Denn Israel ist eine sichere Zufluchtsstätte für alle Juden auf der Welt. | |
Aufgrund der historischen Erfahrung gilt das erst recht für jüdische | |
Menschen in Deutschland. | |
Was bedeutet das für Ihre Tätigkeit als Zentralratspräsident? | |
Dass es eine besondere Affinität zu Israel gibt, ist unzweifelhaft. Aber | |
ich möchte weder in persona noch als Vertreter der Institution Zentralrat | |
als eine Konsularstelle der israelischen Botschaft gesehen werden. Ein | |
offizieller Vertreter des Staates Israel bin ich nicht. | |
Sie gehören einer orthodoxen Gemeinde an, vertreten als | |
Zentralratspräsident aber auch liberal orientierte Gemeinden. Ist das für | |
Sie kein Problem? | |
Der Zentralrat ist die politische Vertretung aller in Deutschland lebenden | |
Juden, unabhängig von deren religiöser Prägung. Mir ist die Vielfalt in der | |
Einheit wichtig. Das gilt nicht nur für den Zentralrat, sondern auch die | |
einzelnen Gemeinden. Nun sind wir in Würzburg mit knapp 1.100 Mitgliedern | |
eine recht kleine Gemeinde. Da sind Unterteilungen kaum sinnvoll. Dass | |
innerhalb unseres Gemeindezentrums die Religionsgebote streng beachtet | |
werden, ist die Klammer, unter der alle Juden hier ins Haus kommen können, | |
ob sie darauf Wert legen oder nicht. Für größere Gemeinden stellt sich die | |
Frage anders. Da finde ich es gut, wenn unter dem Dach der Einheitsgemeinde | |
die verschiedenen Strömungen des Judentums ihren eigenständigen Platz | |
finden. Das Idealbild ist für mich Frankfurt: In der Synagoge im Westend | |
findet sowohl ein orthodoxer als auch ein liberaler Gottesdienst mit einer | |
Rabbinerin statt. Allen Unkenrufen zum Trotz hält das gemeinsame Dach. | |
Welche Herausforderungen sehen Sie für die nächste Zeit? | |
Ich befürchte, dass in der Bundesrepublik das Thema Fremdenfeindlichkeit | |
weiter leider ein ernstes bleibt. Stichwort Pegida in Dresden. Auch wenn | |
sich diese Demonstrationen vorgeblich gegen Islamisierung richten, ist das | |
nichts anderes als Fremdenfeindlichkeit. Diese generalisierende Abwertung | |
von Muslimen, damit habe ich ein großes Problem. | |
Werden Sie das Gespräch mit den muslimischen Verbänden suchen? | |
Es gab und gibt einen Dialog. Beim Kampf gegen Rassismus und | |
Fremdenfeindlichkeit haben wir ein gemeinsames Interesse. Allerdings gibt | |
es den von uns immer wieder geäußerten Wunsch an die muslimischen Verbände, | |
sich auch in den eigenen Reihen aktiv gegen Antisemitismus einzusetzen. | |
Gerade unter muslimischen Jugendlichen ist das ein großes Problem. Die | |
Umsetzung dieses Wunsches ist mir bislang noch nicht so richtig | |
offensichtlich geworden. Das macht die Zusammenarbeit nicht ganz leicht. | |
Für wie groß halten Sie das Problem des Antisemitismus in Deutschland? | |
Der latente Antisemitismus in der Gesellschaft ist immer noch erschreckend | |
hoch. Laut der verschiedensten Studien hat jeder fünfte bis vierte Deutsche | |
antisemitische Vorurteile – und das vor allen Dingen in Regionen, wo es | |
überhaupt keine Juden gibt. Es gibt offenkundig historische Traditionen, | |
die über die Großeltern und die Eltern von Generation zu Generation | |
weitergegeben werden. Kein Kind wird mit antisemitischen Vorurteilen | |
geboren. | |
Ihre Vorgänger haben sich stets auch als Mahner gesehen. Sehen Sie darin | |
auch Ihre Rolle? | |
Ich hoffe, nicht zu häufig Mahner sein zu müssen. Aber selbstverständlich | |
werde ich meine Stimme erheben, wenn es angesichts von Antisemitismus, | |
Rassismus und Israelhass wichtig ist. | |
23 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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