Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Betriebsseelsorger über Arbeitnehmer: „Prekär Beschäftigte sin…
> Festangestellte können angesichts der guten Konjunktur bessere
> Arbeitsbedingungen aushandeln. Doch der Rest bleibt abgehängt, kritisiert
> Erwin Helmer.
Bild: Dürfte eher nicht profitieren: Arbeiterin bei Amazon.
taz: Herr Helmer, als katholischer Betriebsseelsorger unterstützen Sie die
Streiks beim Versandhändler Amazon. Der Konflikt wird heftiger, das
Unternehmen lenkt nicht ein. Sehen Sie eine neue Kampfbereitschaft der
Beschäftigten?
Erwin Helmer: Bei Amazon ist es schwierig, die gespaltene Belegschaft zu
organisieren. Dort gibt es sehr viele befristet Beschäftigte, die
eigentlich Angst haben, am Streik teilzunehmen. Aber mehr und mehr Leute
wollen einen Tarifvertrag, mit dem ihre Arbeit angemessen bezahlt wird.
Sie sprechen mit Arbeitnehmern in vielen Firmen. Was sagen Ihnen die Leute
– ist durch die gute Wirtschaftslage die Arbeit 2014 leichter, angenehmer
und besser bezahlt worden?
Die Beschäftigten mit festen Stellen haben in den vergangenen Jahren
durchaus profitiert. Ihre Löhne stiegen. Und die Unternehmen waren auch
bereit, die Bedingungen insgesamt zu verbessern.
Woher kommt das? Sind die Firmen kompromissbereiter, weil die
Erwerbslosigkeit sinkt und es nicht mehr so leicht ist, Personal zu finden?
Ja, die Unternehmen achten darauf, ihre Beschäftigten zu halten. Deshalb
gehen sie beispielsweise auf Wünsche ein, die Arbeitszeiten
familienfreundlicher zu gestalten. Oder sie helfen jungen Eltern, nach den
ersten Jahren mit den Kindern wieder in den Beruf einzusteigen. Auch
konnten schon manche Betriebsräte Vereinbarungen durchsetzen, dass die
Angestellten nach Dienstschluss keine E-Mails mehr bekommen. Das Recht auf
Unerreichbarkeit wird allmählich anerkannt.
Spüren Sie in der Öffentlichkeit Unterstützung für so etwas?
Mehr als früher. Fehlverhalten von Unternehmen wird stärker wahrgenommen.
Die Bevölkerung ist sensibler geworden. So höre ich oft, dass Kunden bei
bestimmten Firmen ungern einkaufen, weil sie Schlechtes über den Umgang mit
den Beschäftigten erfahren haben. Das ist eine große Unterstützung für die
Beschäftigten.
Wo gab es denn in diesem Jahr Rückschritte?
Immer wieder werden Firmen so zergliedert, dass in dem unübersichtlichen
Geflecht unklar erscheint, ob ein Betriebsrat existiert oder welcher
Betriebsrat für welche Beschäftigten zuständig ist. Kommt es dann zu
Schließungen und Entlassungen, fehlt den Arbeitnehmern der notwendige
Schutz. Noch gravierender empfinde ich, dass etwa ein Viertel aller
Arbeitnehmer in Deutschland unter prekären Arbeitsverhältnissen leidet.
Nimmt die soziale Spaltung in gute und schlechte Jobs zu?
Teilweise ja. Denn die prekär Beschäftigten haben von der vergleichsweise
guten Lage bislang kaum profitiert. Sie sind abgekoppelt. Sie bekommen
weniger Lohn, haben weniger Urlaub, oft keine Mitbestimmung und sind
insgesamt schlecht geschützt. Kommt es zu Entlassungen, werden die Leute
mit Werkverträgen, Leiharbeiter und befristete Arbeitnehmer zuerst
abgebaut. Das ist ein wichtiger Grund, warum etwa 16 Prozent der Menschen
in Deutschland in Armut leben – ein unwürdiger Zustand für ein reiches
Land.
Kann der Mindestlohn im kommenden Jahr die Lage dieser Beschäftigten
verbessern?
Wenn die Unternehmen keine Hintertüren suchen und den Arbeitnehmern den
Mindestlohn tatsächlich auszahlen, ist das ein großer Schritt. Vier
Millionen Menschen können davon profitieren. Damit steigt die Kaufkraft
einer großen Gruppe, die vom gesellschaftlichen Leben bisher weitgehend
ausgeschlossen ist.
Reichen 8,50 Euro pro Stunde?
Viele Leute, die auf den Mindestlohn angewiesen sind, können auch davon
ihre Familie nicht ernähren. Deshalb fordert die Katholische
Arbeitnehmerbewegung eine Untergrenze von 9,70 Euro. Noch wichtiger aber:
Die Politik sollte den Unternehmen klarmachen, dass hierzulande
Tarifverträge gelten müssen. Diese Absicherung genießt inzwischen nur noch
gut die Hälfte der Arbeitnehmer. Nur deshalb brauchen wir einen
gesetzlichen Mindestlohn.
29 Dec 2014
## AUTOREN
Hannes Koch
## TAGS
Amazon
prekäre Beschäftigung
Arbeitsbedingungen
Konjunktur
Streik
Andrea Nahles
Arbeit
Mindestlohn
Eltern
Amazon
Mindestlohn
China
Amazon
Deutsche Post
Amazon
## ARTIKEL ZUM THEMA
Arbeitskampf bei Amazon: Verdi gibt nicht auf
Vor Ostern wird bei Amazon mal wieder gestreikt – bis Gründonnerstagabend.
Aber der Onlineversandhändler lehnt Tarifverhandlungen weiter ab.
Arbeitsschutz in Deutschland: „Das Ding ist tot.“
Die Arbeitsstättenverordnung der Bundesarbeitsministerin ist gescheitert.
Die Verbesserungsvorschläge für Arbeitsbedingungen sollen völlig neu
erarbeitet werden.
Zahlen des Statistischen Bundesamts: Arm trotz Arbeit
Das Geld reicht nicht für Miete und Heizung, ein Urlaub ist utopisch. Rund
3,1 Millionen Erwerbstätige in Deutschland verdienen zum Leben zu wenig.
Gesetz und Wirklichkeit: Mindestlohn mit Schlupflöchern
Trotz massiver Erhöhung der Fahrpreise zahlt kein Bremer Taxiunternehmen
den seit Januar geltenden gesetzlichen Mindestlohn, sagt die IG Taxifahrer.
Wenn Kinder ihre Eltern verlassen: „Diese furchtbare Sehnsucht“
Viele Eltern lügen lieber, statt zuzugeben, dass ihre Kinder den Kontakt
abgebrochen haben. Die Psychotherapeutin Dunja Voos behandelt sie.
Zehn Jahre „Schwarzbuch Lidl“: Die Ohnmacht der Beschäftigten
Fast jeder weiß um die vielfach schlechten Arbeitsbedingungen – von Lidl
bis Amazon. Doch ohne Druck der Öffentlichkeit läuft gar nichts.
Am 1. Januar kommt der Mindestlohn: Ein Gesetz, zahlreiche Ausnahmen
Jeder Arbeitnehmer hat ab 2015 Anspruch auf mindestens 8,50 Euro brutto pro
Stunde - theoretisch. Aber Vorsicht: Es gibt zahlreiche Sonderregelungen.
BBC-Doku „Apple's Broken Promises“: Nicht genug Kraft zum Essen
BBC-Reporter decken katastrophale Arbeitsbedingungen bei Apple-Zulieferern
auf. Kinder arbeiten in Zinnminen, aus denen diese ihre Rohstoffe beziehen.
Online- und Offline-Buchhandel: Sieben Alternativen zu Amazon
Kaufen Sie Ihre Bücher auch immer bei Amazon? Aber jedes Mal mit schlechtem
Gewissen? Das muss nicht sein.
Miese Arbeitsbedingungen bei der Post: Der Post geht die Puste aus
Kunden ärgern sich über späte, teilweise nicht zugestellte Sendungen.
Ver.di kritisiert befristete Arbeitsverhältnisse und zu große
Zustellbezirke.
Betriebsbesuch bei Amazon: Halbmarathon in der Regalschlucht
Der Versandhandel Amazon gewährt erstmals einen Blick in seine
Logistikzentren. Dort laufen Angestellte ohne Tarifvertrag täglich etliche
Kilometer.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.