# taz.de -- Folgen der Asylrechtsreform: „So viel verlorene Zeit“ | |
> Die neuen Gesetze helfen den Flüchtlingen Jibran Khalil und Sam Toluie, | |
> Arbeit und Ausbildung zu finden. Darauf haben beide sehr gehofft. | |
Bild: Zum Nichtstun verdammt: Asylbewerber in München | |
BERLIN taz | Mango Lassi ist beliebt. Jibran Khalil würfelt Mangofleisch, | |
püriert es im Mixer, gibt dann noch etwas Yoghurt dazu, Wasser natürlich, | |
Rosenwasser, Kardamom und Zucker. So entsteht der typische | |
Mango-Lassi-Geschmack, das Indienfeeling für die deutschen Besucher im | |
indischen Restaurant am Wannsee in Berlin. Wobei der Barkeeper Jibran | |
Khalil allerdings Asylbewerber aus Pakistan ist – und früher mal in Karachi | |
Verwaltungswissenschaften studiert hat. „Mit Master-Abschluss“, wie er | |
sagt. | |
Khalil ist seit anderthalb Jahren in Deutschland. Der 26-Jährige lebt im | |
Asylbewerberheim in Teltow in Brandenburg, im blauen „Männerhaus“ der | |
Anlage – und er gehört zu den Flüchtlingen, die von der neuen Gesetzgebung | |
profitieren, die die Arbeitsaufnahme erleichtert: Seit November dürfen | |
Asylbewerber drei Monate nach ihrer Ankunft eine Arbeit aufnehmen. Und nach | |
15 Monaten endet die „Nachrangigkeit“ der Geduldeten, wie es im | |
Bürokratendeutsch heißt. | |
Die Jobcenter dürfen dann also ihre Zustimmung nicht mehr für Leute | |
verweigern, die in Deutschland mit behördlicher „Duldung“ leben, weil sie | |
noch andere geeignete Arbeitssuchende aus Deutschland oder der EU in ihrer | |
Kartei haben. | |
Bei dem ersten Versuch Khalils, in einem indischen Restaurant in Potsdam | |
eine Arbeit aufzunehmen, hatte das örtliche Jobcenter noch Nein gesagt. Das | |
war, bevor das Gesetz geändert wurde. In der Küche jenes Betriebes war | |
allerdings kein EU-Ausländer oder Deutscher aufgetaucht, der dort Gemüse | |
schnippeln oder Reis kochen wollte. Beim zweiten Versuch im Restaurant am | |
Wannsee klappte es dann. | |
## Bisher keine Chance | |
Khalil kommt aus Belutschistan, einer Provinz in Pakistan, in der | |
politische Aktivisten für die Unabhängigkeit kämpfen und dessen | |
Geheimdienst beschuldigt wird, an der Ermordung von Aktivisten beteiligt zu | |
sein. Khalil war Mitglied der nationalistischen BNP-M. „Mein Leben war in | |
Gefahr“, sagt er. Sein Asylverfahren ist noch nicht abgeschlossen. | |
Mit dem Minijob beim „Inder“, den das Jobcenter finanziell aufstockt, steht | |
sich Khalil besser als viele Mitbewohner in dem Heim in Teltow, denen man | |
auf dem Gang begegnet. Viele der dort untergebrachten Männer kommen aus dem | |
Tschad, aus Somalia und Eritrea und sprechen noch wenig Deutsch. Wer | |
geduldet, aber noch nicht 15 Monate in Deutschland ist, hat auch keine | |
Chance auf einen Hilfsjob – eben wegen der „Nachrangigkeit“. | |
Dem Gerücht, dass in den ausländischen Restaurants viele Schwarzarbeiter | |
ackern, widerspricht Khalil. „Bei einer Kontrolle müssen die Betreiber viel | |
Strafe zahlen.“ Kein Restaurantbesitzer will Ärger mit der Zollfahndung | |
wegen illegaler Helfer in der Küche. | |
Khalils großer Wunsch ist es, auch in Deutschland zu studieren oder eine | |
Ausbildung zu machen. Dazu müssten die Behörden jedoch seine Schul- und | |
Studienabschlüsse aus Pakistan anerkennen und seine Sprachkenntnisse | |
müssten das Niveau von „B 2“ erreichen. | |
Nach EU-Klassifikation erreicht man B 2, wenn man sich in seinem Fachgebiet | |
gut auf Deutsch verständigen kann und weiß, was an dem Satz „Du bringst | |
mich echt auf die Tanne“ falsch ist. Khalil spricht und versteht besser | |
Deutsch als die meisten Bewohner im Heim in Teltow, aber er schafft noch | |
nicht B 2. Wie aber soll man gut Deutsch lernen, wenn man fast nur mit | |
Ausländern zusammen ist? „Eine nette deutsche Freundin, das wäre schön“, | |
sagt Khalil. | |
## Der Landsmann in Schweden ist jetzt Arzt | |
Sam Toluie, 34 Jahre alt, hat einiges von dem, was sich Jibran Khalil | |
wünscht – einen Ausbildungsplatz zum Orthopädietechnik-Mechaniker und eine | |
eigene Wohnung in Berlin. Aber seine Geschichte ist dennoch keine | |
Erfolgsgeschichte für die hiesige Integrationspolitik, sondern ein Skandal: | |
Mit 19 Jahren kam Toluie aus dem Iran nach Deutschland und beantragte hier | |
Asyl. Sein Asylbegehren wurde abgelehnt, stattdessen erhielt er eine | |
Duldung. Vierzehn Jahre sind seit seiner Ankunft vergangen. „So viel | |
verlorene Zeit“, sagt der Sohn eines Chirurgen aus Täbris in akzentfreiem | |
Deutsch. | |
In dieser Zeit zeigte sich Deutschland dem Iraner nicht als Land der | |
Freiheit, sondern als Gefängnis der Bürokratie. In den ersten zehn Jahren | |
durfte er weder arbeiten noch eine Ausbildung machen. Er war gezwungen, von | |
Sozialleistungen zu leben. „Ich wollte doch arbeiten, nützlich sein“, | |
erzählt der sportliche Mann, der heute jeden Tag mit dem Fahrrad von | |
Berlin-Neukölln zur Lehrstelle nach Hellersdorf radelt. | |
Auch ihm wurden Hilfsjobs in der Gastronomie und auf dem Bau angeboten, | |
aber mit der Duldung konnte man damals nicht arbeiten, berichtet er. Die | |
Ausländerbehörde habe ihm zwar gesagt, er bekäme eine Aufenthaltserlaubnis, | |
aber nur, wenn er eine Arbeit fände. Die Leute vom Arbeitsamt wiederum | |
sagten, er müsse erst eine Aufenthaltserlaubnis haben, um überhaupt einen | |
Job annehmen zu können. | |
Touluie mochte hier auch nicht in einer Küche enden, „ich wollte eine | |
Ausbildung machen und studieren“, sagt er. Erst als sich die Gesetze | |
änderten, konnte er im Jahr 2011 den mittleren Schulabschluss nachmachen. | |
## Irgendwann Medizin studieren | |
Über ein Praktikum im Projekt „Schlesische 27“ in Berlin-Kreuzberg kam er | |
in Kontakt mit der Handwerkskammer und der Gesundheitsservicefirma Dr. | |
Recknagel. „Ein Glücksfall“, sagt Toluie. Nach einem halben Jahr Praktikum | |
konnte er im Oktober eine dreijährige Ausbildung beginnen. Er schleift an | |
Maschinen Prothesen ein, schneidet Schuheinlagen zu und formt Gipsabdrücke. | |
Sechs Tage im Monat ist er in der Berufsschule, lernt alles über | |
Skelettaufbau und Organe. Irgendwann will er doch noch Medizin studieren. | |
Seine Altersgenossen, die wie er im Iran in der Opposition waren, gingen | |
als Asylbewerber nach Schweden und Italien. Dort waren die Gesetze | |
liberaler, was Arbeit und Ausbildung betraf. Sein Landsmann in Schweden | |
„ist jetzt Augenarzt“, erzählt Toluie. | |
Einer seiner Freunde war im Iran geblieben und musste drei Jahre als | |
politischer Häftling ins Gefängnis. Als er wieder herauskam, konnte er ein | |
Medizinstudium beginnen. „Er ist jetzt Arzt und arbeitet in Deutschland“, | |
sagt Toluie mit Bitterkeit in der Stimme. „Die deutsche Bürokratie hat mich | |
zehn Jahres meines Lebens gekostet.“ | |
6 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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