# taz.de -- Berufsausbildung für Asylbewerber: Ausgerechnet Bayern | |
> Die CSU fordert einen härteren Kurs gegenüber Migranten. Gleichzeitig ist | |
> der Freistaat Vorbild bei der Integration junger Flüchtlinge. | |
Bild: Mathematikunterricht für Asylbewerber in der Städtischen Berufsschule I… | |
REGENSBURG taz | Vor sechs Monaten war Faruk noch auf der Flucht, jetzt | |
sitzt er im Unterricht in der Städtischen Berufsschule Regensburg. Faruk, | |
Militärfrisur, Baseballjacke und Bartflaum, der sich bislang nur zart auf | |
den Backen zeigt, hat einen syrischen Pass. „Aber hier“, sagt er grinsend | |
auf Deutsch und zeigt auf sein Herz, „bin ich Kurde.“ | |
Faruk ist aus Syrien geflüchtet. Er wohnt mit anderen Jugendlichen im | |
Don-Bosch-Zentrum Regensburg, einem Jugendheim. Was mit seiner Familie | |
passiert ist, wie er sich durchgeschlagen hat, darüber spricht er noch | |
nicht. In der Berufsschule wissen sie nur: Er ist unter 18 und alleine nach | |
Deutschland gekommen. Aufgrund des Alters besteht der Schulleiter darauf, | |
die echten Namen von Faruk und seinen Klassenkameraden nicht zu verwenden. | |
Weil es in Bayern für Minderjährige ohne Abschluss eine Schulpflicht gibt, | |
werden unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wie Faruk an die örtlichen | |
Schulbehörden gemeldet und in BAF-Klassen vermittelt. BAF, das heißt | |
Berufsschule für Asylsuchende und Flüchtlinge. | |
Allein an der Städtischen Berufsschule Regensburg gibt es fünf Klassen, im | |
ganzen Freistaat 188. Insgesamt besuchen 3.300 Flüchtlinge in diesem | |
Schuljahr eine Berufsschule. | |
## Einzigartig in der Bundesrepublik | |
Am Anfang lernen die Schüler nur Deutsch, Mathe und Sozialkunde. Im zweiten | |
Jahr, im Berufsintegrationsjahr, können die Schüler einen qualifizierten | |
Hauptschulabschluss machen. Verpflichtend für alle sind mehrere Praktika, | |
um unterschiedliche Betriebe und Berufe kennenzulernen. Nach zwei Jahren | |
sollen die Flüchtlinge so fit sein, dass sie eine Ausbildung anfangen | |
können. | |
Das Modell gibt es seit drei Jahren, es ist einzigartig in der | |
Bundesrepublik. Und zwar nicht nur, weil die Klassen flächendeckend | |
angeboten werden, sondern auch, weil jeder an dem Programm teilnehmen kann | |
– unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Also egal, ob der Asylantrag überhaupt | |
schon geprüft wurde, egal, ob er offiziell arbeiten darf und egal, ob er | |
nur geduldet ist oder Asyl bekommen hat. Jemand wie Faruk kann also bei | |
einer Erstaufnahmestelle ankommen und kurz darauf in der Schule sitzen. | |
An einem Dienstagmorgen im Dezember sitzt er in seiner Klasse. Die 16 Jungs | |
aus Somalia, Syrien, Afghanistan und Eritrea sind alle dunkelhaarig, sie | |
sitzen lässig zurückgelehnt, alle mit Sneakers, Jeans, Pulli. Mädchen | |
werden nur selten auf die beschwerliche Flucht geschickt, in dieser Klasse | |
ist keines. Wer wie lange in der Schule war, oder wer vielleicht zum ersten | |
Mal einen Schulalltag erlebt, das weiß ihre Lehrerin Maia Simmet noch | |
nicht. „Das erfahren wir erst nach und nach, wenn sie besser Deutsch | |
sprechen lernen.“ | |
Simmet, schwarze Haare, schwarzes Kleid, ist Anfang 30 und Lehrerin für | |
Deutsch als Zweitsprache. Sie erklärt den Jugendlichen das Perfekt. | |
„Schwimmen – ich bin geschwommen“, schreibt sie an die Tafel. „Der Voka… | |
der Mitte ändert sich und davor kommt ’ge‘.“ Ali aus Afghanistan schütt… | |
den Kopf. „Warum ’o‘?“, fragt er. „Ist so“, ruft Faruk dazwischen. … | |
Simmet hat wenig hinzuzufügen: „Die deutsche Grammatik ist kompliziert. Das | |
müsst ihr euch einfach merken.“ | |
## Problem Lehrlingsmangel | |
Stephan Dünnwald vom Flüchtlingsrat Bayern ist froh, dass Flüchtlinge durch | |
die BAF-Klassen schnell integriert werden. „Aber das Programm ist sicher | |
kein reines Gutmenschentum.“ Das Engagement der bayerischen Regierung hänge | |
eng mit dem Zustand der bayerischen Wirtschaft zusammen. | |
Denn die hat Probleme damit, Nachwuchs zu finden. 25.000 Lehrstellen | |
blieben im Jahr 2014 unbesetzt, das ist ein Viertel aller Ausbildungsplätze | |
in Bayern. „Bis 2030 werden 500.000 Fachkräfte allein in Bayern fehlen“, | |
befürchtet Hubert Schöffmann, Bildungskoordinator der Bayerischen | |
Industrie- und Handelskammer (BIHK). „Deshalb werden wir jedes einzelne | |
Talent benötigen. Und wahrscheinlich wird noch nicht mal das ausreichen.“ | |
Schöffmann setzt große Hoffnungen in die BAF-Klassen. | |
Doch wie viele der Schüler nach zwei Jahren wirklich eine Ausbildung | |
beginnen, weiß niemand. An der Städtischen Berufsschule Regensburg geht man | |
von einem Viertel aus. „Viele sind fit für die Ausbildung und kriegen | |
trotzdem keinen Platz“, beklagt Simmet. „Aber das ist auch kein Wunder, | |
wenn der Arbeitgeber auf den Papieren der Flüchtlinge liest, dass die | |
Aufenthaltsgenehmigung in einigen Monaten abläuft.“ | |
Die rechtliche Situation vieler Flüchtlinge ist ungewiss und kaum ein | |
Unternehmer versteht, wer unter welchen Umständen im Land bleiben und | |
arbeiten darf. „Die BAF-Klassen sind ein wichtiger Schritt“, sagt | |
Schöffmann von der BIHK. „Wenn die Schüler aber keine Arbeitserlaubnis | |
haben, hilft uns das auch nicht weiter.“ Ein Unternehmen müsse | |
längerfristig planen können. Einen Flüchtling auszubilden, sei noch mit zu | |
vielen Unsicherheiten verbunden. „Das ist abschreckend.“ | |
## Ungewöhnliche Forderung | |
Deshalb fordert die BIHK vom der bayerischen Regierung, Flüchtlingen | |
während der gesamten Ausbildungszeit einen gesicherten Status zuzusichern. | |
Plus zwei Jahre danach, um wirklich in den Beruf einzusteigen. Eine | |
Forderung, die sonst eigentlich nur aus den Reihen der | |
Flüchtlingsorganisationen kommt. Geäußert von einem Industrieverband, der | |
973.000 Unternehmen vereint, zeigt sie plötzlich Wirkung. | |
Das Kultusministerium bestreitet einen Zusammenhang. Aber Schöffmann ist | |
bereits seit einigen Wochen mit den Ministerien für Arbeit, für Inneres und | |
für Wirtschaft im Gespräch. „Wir arbeiten da sehr ernsthaft und mit | |
Hochdruck an einer Lösung“, sagt der Bildungskoordinator aus München. „In | |
der Zielsetzung sind wir uns einig. Es muss Planungssicherheit bei der | |
Ausbildung von Flüchtlingen geben.“ Bei der Umsetzung gebe es noch | |
Verhandlungsbedarf. | |
Dabei gibt es ein Vorbild, auf das Schöffmann gerne Bezug nimmt. Im | |
SPD-regierten Bremen bekommen Flüchtlinge seit einem Jahr ein Papier | |
ausgestellt, das den Arbeitgebern zusichert, dass „der Aufenthalt bei einem | |
ordnungsgemäßen Verlauf der Ausbildung grundsätzlich bis zum Abschluss | |
verlängert werden wird“. Unterzeichnet ist der Erlass vom Innensenator. | |
Schöffmann wünscht sich etwas Ähnliches. Damit Unternehmen nicht in junge | |
Azubis investieren, die dann über Nacht abgeschoben werden. Dass diese | |
Befürchtungen berechtigt sind, zeigen Beispiele wie das einer jungen Frau | |
aus dem Kosovo. Gemeinsam mit ihrer Familie hatte sie vor Jahren in Franken | |
Asyl beantragt, in diesem Frühjahr wurde sie abgeschoben. Ihre Ausbildung | |
zur Hauswirtschafterin sei kein Hinderungsgrund, teilten die Behörden | |
schriftlich mit. | |
## Ferien – wie langweilig | |
In der Berufsschule in Regensburg erzählt Maia Simmet, dass bald Ferien | |
sind. Was bei den Jungs ankommt: Ferien bedeutet schulfrei. Es bricht eine | |
Diskussion aus. Alle verstehen zumindest ein paar Brocken Arabisch, die | |
Syrer, die Afghanen und die Somalis. „Langweilig“, sagt Faruk schließlich | |
und Simmet lacht. „Die Jungs wollen gar kein Wochenende. Dann haben sie | |
nichts zu tun.“ | |
Diese Motivation, der große Wille, etwas zu erreichen, das loben Lehrer, | |
Politiker und Arbeitgeber oft. Maia Simmet ist vorsichtiger. Die Erfahrung | |
habe gezeigt, dass zwei Jahre BAF nicht für alle reichen. „Manche waren | |
vorher gar nicht in der Schule oder können nur das arabische Alphabet.Nach | |
zwei Jahren bei uns sollen sie eine Ausbildung auf Deutsch schaffen. Das | |
kann doch nicht funktionieren.“ | |
Sie erzählt von ehemaligen Schülern, die es gerade so ins zweite | |
Ausbildungsjahr geschafft hätten. „Die kommen nicht mit, weil sie für viele | |
Ausbildungen auch Fachvokabular brauchen. Darauf sind die BAF-Klassen aber | |
gar nicht ausgelegt.“ Wie viele Berufsschullehrer fordert Simmet deshalb | |
ein drittes Jahr. | |
Das Kultusministerium hat das bereits abgelehnt. Die Schüler könnten ja | |
einfach das zweite Jahr wiederholen, wenn sie nicht gut genug seien. Woher | |
aber das höhere Sprachniveau kommen soll, wird nicht erklärt. | |
In der Klasse von Faruk und Ali weiß noch niemand, ob er in Deutschland | |
bleiben und arbeiten darf. Die Chancen stehen gerade besser als jemals | |
zuvor. Die Bundesregierung hat angekündigt, das Asylrecht zu ändern, sodass | |
Asylbewerber schon nach drei Monaten Wartefrist arbeiten dürfen. | |
Im Moment sind es noch neun. Ein erster Schritt auf dem Weg dahin ist der | |
Unterricht in der Berufsschule. Seit September lernen die Jugendlichen | |
Deutsch, die Schulpraktika im nächsten Jahr dürfen sie auch ohne | |
Arbeitserlaubnis machen. Wenn es nach Faruk und seinen Mitschülern ginge, | |
würden alle zu BMW oder Audi gehen. | |
8 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Laura Backes | |
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