# taz.de -- Arbeitsintegration von Geflüchteten: Runter mit den Erwartungen! | |
> Wer die Arbeitsintegration von Flüchtlingen beurteilen will, muss ihre | |
> subjektive Anpassungsleistung sehen – und die ist oft enorm. | |
Bild: Arbeit in der Holzwerkstatt: „Internationale Förderklasse“ am Berufs… | |
BERLIN taz | Die Zahl machte sofort die Runde: 70 Prozent der Flüchtlinge | |
aus Kriegs- und Krisengebieten, die im September 2013 eine Ausbildung im | |
Handwerk in München und Oberbayern begannen, haben diese abgebrochen, | |
schrieb die Welt. Aha, da sieht man es, so einfach ist es eben doch nicht | |
mit der Integration, war die implizite Botschaft dieser Nachricht. Allein: | |
Die Zahl stimmte nicht. | |
Die hohe Abbruchquote bezog sich auf den Jahrgang 2012, so korrigiert ein | |
Sprecher der Handwerkskammer für München und Oberbayern auf Nachfrage. Von | |
den Auszubildenden aus Syrien, dem Irak, Afghanistan, Eritrea und anderen | |
Kriegs- und Krisenstaaten, die im September 2013 eine Ausbildung im | |
Handwerk in Oberbayern anfingen, brachen nur 40 Prozent ihre Lehre ab. | |
Von denjenigen, die erst im Jahr 2014 eine Lehre starteten, beendeten | |
bislang sogar nur 30 Prozent die Ausbildung vorzeitig. Nun können sich bei | |
den späteren Jahrgängen die Abbruchquoten noch erhöhen, aber eine Lehre | |
wird, wenn, dann eher im ersten Jahr geschmissen. Einen so hohen | |
Abbruchwert wie bei den ersten Lehrlingen vom Jahrgang 2012 werden die | |
späteren Azubis nicht mehr erreichen. Der Trend ist positiv. | |
Die Diskussion um die Ausbildungsverläufe zeigt: Diese Zahlen sind immer | |
politische Zahlen, heikle Zahlen, die eine Antwort liefern sollen auf die | |
Frage: Füllen Flüchtlinge mittelfristig die Fachkräftelücke oder bekommen | |
wir nur Tausende von Hartz-IV-Empfängern, die in ghettoähnlichen | |
Wohnanlagen alimentiert werden? Die Antwort lautet: Es wird beides geben. | |
Die Flüchtlinge sind keine homogene, sondern eine sehr heterogene Gruppe | |
mit höchst unterschiedlichen Voraussetzungen, persönlichen Möglichkeiten, | |
Lebensumständen. | |
## Biografien, Begabungen, Kontexte | |
Das sieht man heute schon: Einen langen Arbeitstag hat der Eritreer aus | |
einer Gemeinschaftsunterkunft, der schon am frühen Morgen als Praktikant | |
bei einem Bauunternehmer arbeitet und am Nachmittag vier Stunden in der | |
Sprachschule Deutsch paukt. Seine Hoffnung ist ein Ausbildungsplatz im | |
Bauhandwerk, wenn sein Deutsch gut genug ist. | |
Dann gibt es den syrischen Flüchtling, Jurist, der aber seine Kenntnisse | |
aus Syrien in Deutschland nicht verwerten kann. Auch er lernt Deutsch und | |
hofft auf eine Tätigkeit als Übersetzer in einer Behörde. Der Journalist | |
aus Afghanistan mit Collegeabschluss lernt jetzt Koch, in seinem alten | |
Beruf kann er mit den unzureichenden Deutschkenntnissen hier nicht | |
arbeiten. Wo werden diese Leute in einigen Jahren tätig sein? Auf dem Bau, | |
als Übersetzer in einer internationalen Organisation, in einem exklusiven | |
Hotelrestaurant? | |
Die Beispiele zeigen, dass die vielen Tausenden Flüchtlingen, die aus | |
humanitären Gründen ins Land kommen, natürlich nicht die flächendeckende | |
Lösung sein können für die hiesige Fachkräftelücke in der Industrie und im | |
Gesundheitsbereich. Es kommen Menschen mit Biografien, mit Begabungen, mit | |
Kontexten. | |
Nach rückblickenden Erhebungen des Nürnberger Instituts für Arbeit (IAB) | |
ist fünf Jahre nach Zuzug erst die Hälfte der Migranten aus Kriegs- und | |
Krisenländern in Deutschland erwerbstätig. Erst nach zehn Jahren gleicht | |
sich deren Erwerbsquote jener der Deutschen an, die bei etwa drei Viertel | |
liegt. Überproportional sind diese Exflüchtlinge in der Hotel- und | |
Gaststättenbranche, im Handel und in sonstigen wirtschaftlichen | |
Dienstleistungen tätig, weniger dagegen im verarbeitenden Gewerbe, auf dem | |
Bau oder in der Gesundheitsbranche. | |
In Schweden mit seiner sehr technisierten Wirtschaft sehen die | |
Beschäftigungsquoten von Migranten aus Afrika und Asien ähnlich aus, obwohl | |
diese gleich zu Beginn mehr gefördert wurden. Die Arbeitslosigkeit unter | |
den Flüchtlingen wird wahrscheinlich in Deutschland im Durchschnitt über | |
viele Jahre hinweg höher bleiben als unter Einheimischen. | |
Die hohen Erwartungen auf beiden Seiten, die Erwartungen auf Seiten der | |
Flüchtlinge von leicht zugänglichen Jobs und Wohlstand einerseits und auf | |
Seiten der Wirtschaft von lernwilligen, passgenauen Fachkräften | |
andererseits, diese Erwartungen werden sinken müssen. Alle müssen | |
Kompromisse machen. | |
Viele Tausende Asylbewerber aber können es schaffen, eine Berufsausbildung | |
oder gar ein Studium abzuschließen und Arbeit zu finden, auch das sagt die | |
Statistik. Um eine politische Bewertung abzugeben, muss man neben der | |
allgemeinen daher immer auch die individuelle Betrachtung mit einschließen: | |
Wer es als Flüchtling schafft, vollbringt eine einzigartige persönliche | |
Anpassung- und Aufstiegsleistung, die man als Einheimische kaum ermessen | |
kann. | |
## Hürden, Stress, Widerstände | |
Die Neuankömmlinge haben oftmals in der Heimat Gewalt erlebt, sind hier | |
ohne Angehörige und wohnen meist in einer Gemeinschaftsunterkunft ohne | |
ruhige Lernatmosphäre, obwohl sie eine völlig neue Sprache und Schrift | |
pauken müssen. Sie stehen unter Dauerstress wegen der Wartezeiten in einer | |
unberechenbar wirkenden Bürokratie und leben in ständiger Armut. Ein bis | |
zwei Jahre braucht ein junger Neuankömmling aus dem arabischen Raum, um die | |
deutsche Sprache und Schrift so weit zu lernen, dass er oder sie eine | |
Ausbildung anfangen kann. Auf die erste Zeit des Sprachunterrichts folgen | |
drei Jahre Lehre oder Studium. Das macht vier bis fünf Jahre Ausbildung, | |
ohne nennenswert Geld verdient zu haben. | |
Von der Bundesagentur für Arbeit ist zu hören, viele Flüchtlinge lehnten | |
aus finanziellen Gründen eine Ausbildung ab und arbeiteten lieber in einem | |
Hilfsjob, weil man mit dem Mindestlohn von 8,50 Euro die Stunde beim | |
Burgerbraten mehr verdient als mit der Ausbildungsvergütung in einer | |
Mechatronikerlehre. Nicht selten drängen auch die Verwandten in einem | |
afrikanischen Heimatstaat, das nach zwei Jahren endlich mehr Geld geschickt | |
werden muss, zumal oft Schulden gemacht wurden, um die Schleusung zu | |
bezahlen. | |
Fünf Jahre lernen für kaum Geld, für wenig Anerkennung und jede Menge | |
Diskriminierung: Das durchzuhalten, würde auch Deutschen schwerfallen. Im | |
Ausland, auf sich allein gestellt, ausgeliefert einer fremden Sprache und | |
Schrift. Aber wir müssen ja nicht migrieren. Die Welt kommt stattdessen zu | |
uns. Es ist ein Privileg, das wir noch zu wenig schätzen. | |
15 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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