# taz.de -- Gedenkmarsch in Paris: „Freiheit – wir sind deinetwegen hier“ | |
> Mehr als eine Million Menschen gedenken in Paris der Anschlagsopfer. | |
> Mitarbeiter von „Charlie Hebdo“ kritisieren das Verhalten des Front | |
> National. | |
Bild: Mehr als eine Million Menschen nahmen an dem Gedenkmarsch in Paris teil. | |
PARIS taz | In Paris ist an diesem Sonntag Geschichte geschrieben worden. | |
Die französische Hauptstadt war, wie Staatspräsident François Hollande sich | |
ausdrückte, die „Hauptstadt der Welt“, in der an der Seite einer | |
unüberschaubaren Menschenmenge rund 60 Staats- und Regierungschefs aus | |
aller Welt gegen den Terrorismus und gegen die mörderische Intoleranz | |
demonstrierten. Die blutigen Anschläge der letzten Tage in Paris haben über | |
Frankreich und Europa hinaus die Menschheit erschüttert und aufgerüttelt. | |
Für die Menschen, die seit Mittwoch in Paris und in zahlreichen Städten | |
Frankreichs und der Welt mit dem Slogan „Je suis Charlie“ ihre persönliche | |
Betroffenheit zum Ausdruck bringen, hat die terroristische Gewalt die | |
Schwelle der Barbarei überschritten. Es war ihnen ein Bedürfnis, für die | |
Verteidigung der Meinungsfreiheit, der Menschenrechte, der Toleranz und des | |
gegenseitigen Respekts voreinander einzustehen. | |
In vielen Städten warteten die Menschen nicht erst auf eine Einladung oder | |
die große Kundgebung von Paris. Am Samstag demonstrierten in Dutzenden, ja | |
Hunderten von französischen Groß- und Kleinstädten Hunderttausende. Wie in | |
Toulouse, wo ihre Zahl auf 120.000 geschätzt wurde, oder in Nizza mit | |
25.000 Teilnehmern waren es durchweg die größten Kundgebungen seit Ende des | |
Zweiten Weltkriegs. | |
In denselben historischen Dimensionen bewegte sich auch die Kundgebung in | |
der Hauptstadt. Man fragte sich, wie Historiker dieses Ereignis in der | |
Geschichte einordnen werden: als Trauermarsch, als Aufstand des Gewissens, | |
als internationale Kriegserklärung an die Ideologie des „Dschihad“? | |
## Alle Zufahrtwege verstopft | |
Wer kann sagen, wie viele Menschen an dieser Kundgebung teilgenommen haben? | |
Eine Million, zwei Millionen? Schon Stunden vor dem offiziellen Beginn der | |
Kundgebung formierte sich im Zentrum rund um den offiziellen | |
Versammlungsort, die Place de la République, eine immer kompaktere | |
Menschenmenge. | |
Obschon die Organisatoren zwei verschiedene Wege vorgesehen hatten, war an | |
einen Marsch im traditionellen Sinn nicht zu denken. Bereits um 11 Uhr | |
waren alle nahe gelegenen Metrostationen geschlossen worden. Gegen 15 Uhr | |
dann waren alle Zufahrtswege verstopft, an ein Näherkommen war nicht zu | |
denken. Die Polizei hielt auf dem Boulevard für die Politiker aus dem In- | |
und Ausland eine Straße frei. Als sie passierten, wurde ihnen applaudiert. | |
An Hollandes Seite waren untergehakt unter anderem Bundeskanzlerin Angela | |
Merkel und Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zu sehen – alle in | |
Schwarz gekleidet. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, der türkische | |
Ministerpräsident Ahmet Davutoglu, Palästinenserpräsident Mahmud Abbas oder | |
der Präsident der Ukraine, Petro Poroschenko, liefen mit – insgesamt waren | |
44 Staat- und Regierungschefs vertreten. | |
Beifall gab es auch, als vier religiöse Würdenträger in ihren Roben, ein | |
katholischer Kardinal, ein Imam, ein orthodoxer und ein orientalischer | |
christlicher Geistlicher, zu Fuß in Richtung Place de la République | |
vorbeigingen. Zwar war gebeten worden, bei der Demonstration auf alle | |
ostentativen Zeichen politischer und religiöser Zugehörigkeit zu | |
verzichten, für sie wurde aber eine Ausnahme gemacht. | |
## Über 7.300 Sicherheitskräfte | |
Demonstranten schwenkten französische Fahnen und riefen immer wieder in | |
Sprechchören: „Vive la France“ und „Wir sind Charlie“. „Ich bin hier… | |
zeigen, dass die Terroristen nicht gewonnen haben“, sagte die 34-jährige | |
Frankomarokkanerin Zakaria Moumni. Neben französischen wurden zum Gedenken | |
an die bei der Geiselnahme in einem koscheren Supermarkt umgekommenen Juden | |
auch israelische Flaggen geschwenkt. Auf Transparenten hieß es: „Freiheit – | |
Wir sind deinetwegen hier“, oder „Charlie Akbar“ in Anspielung auf das | |
islamische Glaubensbekenntnis „Allah ist groß“. | |
Den Risiken und der Menschenmenge entsprechend enorm waren die | |
Sicherheitsvorkehrungen. 2.300 Polizisten und Militärs wurden direkt zum | |
Schutz der Teilnehmer aufgeboten, mehr als 5.000 weitere standen, | |
unterstützt von Helikoptern, im Einsatz. | |
Der dramatische Anlass allein verbietet es, von einem „Erfolg“ dieser | |
Mobilisierung zu reden. Doch ganz ohne Polemiken ging auch die Pariser | |
Demonstration nicht über die Bühne. Das zeigt schon ihre Vorgeschichte: | |
Nach den spontanen Versammlungen ab Mittwoch hatten zuerst einige linke | |
Parteien in Paris aus Solidarität mit Charlie Hebdo zu einer gemeinsamen | |
Demonstration für die Meinungsfreiheit aufgerufen. Konservative und das | |
bürgerliche Zentrum schlossen sich an. | |
## Beleidigte Rechtspopulisten | |
Marine Le Pen vom rechtspopulistischen Front National fühlte sich | |
ausgeschlossen und verlangte vom Premierminister eine offizielle Einladung, | |
auch nachdem sie wie die anderen Parteichefs auch vom Staatspräsidenten im | |
Elysée empfangen worden war. Sie sah in dem „Ausschluss“ nur einen Beweis | |
dafür, dass der Front National nicht gleichberechtigt behandelt werde. | |
Weil es diese Einladung nicht gab, entschloss sich Marine Le Pen, statt in | |
Paris in einer Provinzstadt zu demonstrieren. Ihr Vater, Jean-Marie Le Pen, | |
wurde noch deutlicher: „Ich bin nicht Charlie“, sagte er. Er bedauere zwar | |
den Tod von zwölf „Landsleuten“, sei aber nicht solidarisch mit einem | |
Blatt, das ein Verbot seiner Partei verlangt habe. | |
Empört sind umgekehrt aber auch überlebende Mitarbeiter von Charlie Hebdo | |
über die Heuchelei der Gegner von gestern: „Wir kotzen auf diese Leute, die | |
plötzlich unsere Freunde sein wollen“, schimpfte der Karikaturist Willem in | |
der üblich unkorrekten Manier seines Satireblatts. Mit ätzender Ironie | |
meinte der aus den Niederlanden stammende Zeichner: „Marine Le Pen muss | |
entzückt sein, wenn die Islamisten überall herumballern.“ Vielleicht | |
brauchte es solche Provokationen, um zu beweisen, dass Charlie Hebdo und | |
sein unbotmäßiger Stil nicht tot sind. | |
11 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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