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# taz.de -- Zeichner Ali Dilem über Satire und Islam: „Mohammed ist etwas an…
> Der bekannteste Karikaturist Nordafrikas sieht in „Charlie Hebdo“ ein
> Vorbild. Doch Ali Dilem musste lernen, mit ständiger Lebensgefahr zu
> leben.
Bild: Die Kraft des Stiftes: Zeichen der Solidarität in Paris.
taz: Herr Dilem, bei dem Überfall auf Charlie Hebdo am Mittwoch haben Sie
mehrere gute Freunde verloren. Wie geht es Ihnen?
Ali Dilem: Wir Pressezeichner sind wie eine große Familie. Weltweit können
nur ganz wenige davon leben. Wir kennen uns fast alle. Wenn jemand ins
Fadenkreuz gerät, wissen das alle. Für mich war das Attentat ein doppelter
Schlag. Ich habe die Opfer persönlich gekannt und wir hatten sehr viel
gemeinsam. In den 1990er Jahren, als die Lage für mich in Algerien sehr
schwierig war, hat mich Charlie Hebdo immer unterstützt. Als ich 1994 das
Land verlassen musste, haben mich die Kollegen mit offenen Armen empfangen.
Sie haben meine Arbeiten veröffentlicht. Dass ich noch immer als Zeichner
arbeite, verdanken ich Charlie Hebdo. Sie haben mir Mut gemacht, haben mir
geholfen, nicht aufzugeben.
Als wir uns gestern zum Interview verabredet haben, sagten Sie zum
Abschied: „Bis morgen dann. Falls ich noch am Leben bin.“ War das schwarzer
Humor à la Dilem oder haben Sie wirklich Angst um Ihr Leben?
Ich habe keine Angst. Ich habe gelernt, sie zu beherrschen. Das hat nichts
mit Mut zu tun. Es ist vielmehr eine Frage der Gewöhnung. Ich habe Zeiten
in Algerien durchlebt, als so gut wie jeden Tag jemand kam, um mir zu
drohen. „Wir werden dich töten.“ Irgendwann bist du so weit und sagst
einfach nur noch, na, dann mach halt. Wenn du ständig bedroht wirst, denkst
du nicht mehr an die Gefahr. Du entwickelst so was wie Fatalismus. Wenn es
denn so kommt, dann soll es eben so sein.
Sie haben gelernt, mit der Situation zu leben?
Ja, klar. Natürlich habe ich auch Sicherheitsmechanismen entwickelt. Ich
bin mir der Gefahr sehr bewusst. Da ich ein Zeichner bin, habe ich nicht
den Schutz, den ein Politiker hat. Ich habe keine Villa mit gepanzerten
Türen, ich habe keine Leibwächter. Ich kann nur das Risiko verringern, in
dem ich aufpasse, zu Hause bleibe, keine regelmäßigen Tagesabläufe habe.
Ich habe jahrelang in keinem Restaurant gegessen. Ich kann nicht einfach so
auf der Straße spazieren gehen. Am schwierigsten ist es, trotz dieser
Gefahr weiterzuarbeiten.
Sie haben selbst in den härtesten Jahren Tag für Tag eine Karikatur
veröffentlicht.
Die Arbeit hat mich am Leben gehalten. Ich hatte das Gefühl, nützlich zu
sein, in einem Land, das täglich Dramen durchlebte. Die Leute hatten ein
starkes Bedürfnis nach einem anderen Blickwinkel. Lachen über sehr
dramatische Ereignisse wurde lebensnotwendig. Das ist es, was mich mit
Charlie Hebdo verbindet. Deshalb fühle ich mich nach dem Anschlag wie ein
Waisenkind. Ich habe von Charlie gelernt. Ich habe gezeichnet wie sie, habe
gelernt, selbst in sehr schwierigen Situationen den Humor nicht zu
verlieren.
Der Satiriker Kurt Tucholsky verteidigte seine Arbeit in den Jahren vor dem
Zweiten Weltkrieg wie folgt: „Was darf Satire? Alles!“ Einverstanden?
Klar, das ist meine Existenzberechtigung. Ich komme aus El Harrach, einem
kleinen Vorort von Algier. Als ich begann, die Welt außerhalb wahrzunehmen,
gab es bereits die Drohungen, die Verfolgungen, die Zensur … Aber wenn du
etwas Nützliches tun kannst, wenn sich in 50 Jahren jemand an diesen
kleinen Zeichner aus El Harrach erinnert, der versucht hat, die Dinge zu
verändern, dann habe ich für etwas gelebt. Solange ich mich nützlich fühle,
werde ich weiter diesen Beruf ausüben.
Sie zeichnen Präsidenten, Generäle, Islamisten und Terroristen. Keiner
kommt ungeschoren davon. Nur die Religion und den Propheten Mohammed haben
Sie nie zum Thema gemacht. Warum?
Die Religion und Mohammed sind zwei unterschiedliche Dinge. Sie können mir
glauben, dass ich so weit gegangen bin, wie dies beim Thema Religionen nur
irgendwie möglich ist. Ich habe Zeichnungen veröffentlicht, die dazu
geführt haben, dass ich von Religiösen in der Moschee mit einem Todesurteil
belegt wurde. Aber Mohammed ist etwas anderes.
Wieso?
Als jemand, der aus der muslimischen Kultur kommt, kenne ich meine
Gesellschaft. Ich weiß sehr wohl, wo ich mich bewege. Wenn ich eine
Zeichnung über Mohammed anfertigen würde, würde meine Zeitung dies nicht
veröffentlichen. Und wenn sie es doch täte, würde heute im Zeitalter von
Internet meine Lebenserwartung auf wenige Minuten zusammenschrumpfen,
solange ich in Algier bin. Außerdem will ich die Menschen nicht schocken
oder in ihrem Glauben verletzen. Das ist nicht meine Art. Es ist immerhin
die Religion meiner Mutter und meiner Schwestern.
Das heißt, Sie haben aus Respekt vor Ihren Lesern darauf verzichtet?
Respekt vor dem Leser? Ich habe Frauen in Tangas gezeichnet. Das war ein
echter Skandal. Wenn Respekt jedoch bedeutet, niemanden grundlos zu
verletzen, dann ja.
Ist Charlie Hebdo zu weit gegangen?
Charlie Hebdo ist Charlie Hebdo. Frankreich ist Frankreich. Ich bin ein
algerischer Zeichner in Algerien. Charlie Hebdo muss nicht dem Konzept
einer Religion folgen, die nicht die ihre ist, weder kulturell noch sozial,
auch nicht, was den Staat angeht. Der Islam ist in Algerien Staatsreligion,
das darf man nicht vergessen. Meine Zeichnungen richten sich an alle. In
Frankreich ist das anders. Wer die Mohammed-Karikaturen nicht sehen will,
der kauft Charlie Hebdo ganz einfach nicht und gut ist es.
Wird die muslimische Welt irgendwann so respektlos, so offen mit Religion
umgehen, wie dies in der westlichen Welt weitgehend der Fall ist?
Ich kann nicht voraussagen, was passieren wird. Es sieht so aus, als sei
die islamische Zivilisation auf einem sehr schlechten Weg. Die Veränderung,
von der Sie sprechen, sollte sie wirklich kommen, werde ich sicher nicht
mehr miterleben. Deshalb ist mir das ziemlich Wurst. Ich habe keine Zeit,
darauf zu warten, dass sich die muslimische Gesellschaft ändert. Ich mache
das, was ich von meiner Position aus machen kann. Ich flirte mit den
Grenzen des Möglichen. Ich rede von einem Land, wo heilig ein sehr
dehnbarer Begriff ist. Als ich 1989 anfing zu zeichnen, war selbst eine
Karikatur des Präsidenten ein Sakrileg. Das war fast genauso schlimm, wie
den Propheten zu zeichnen. Ich habe es trotzdem gemacht. Ich war jung, ich
war mir der Gefahr nicht bewusst, ich glaubte, dass es notwendig war,
auszusprechen, was ich aussprach, und ich wollte Veränderung.
Und? Hat sich etwas geändert?
Ja. Als ich zum ersten Mal einen General zeichnete, war das wie ein
Erdbeben in Algerien. Alle sagten mir, dafür kommst du im besten Fall
hinter Gitter – im besten Fall! Und heute ist es das Normalste, das
Banalste der Welt. Wenn mir die Ideen ausgehen, zeichne ich einen General.
Was heute heilig ist, wird es morgen schon etwas weniger sein, und
übermorgen noch weniger. Wir haben ihm das Heilige genommen. Das ist meine
Aufgabe.
Das heißt, Dilem hat die Wahrnehmung seiner Landsleute beeinflusst und
verändert?
Ja, aber nicht weil Dilem besonders mutig ist. Dilem ist die Antwort auf
ein Bedürfnis der Leute. Die Leute fordern ein, was ich mache. Wie ich
bereits gesagt habe, ich bin kein Held.
Jeden Tag eine Zeichnung selbst in den härtesten Zeiten, voller Gewalt und
Massaker. Wie geht das?
Das ist eine Art Therapie. Ohne diese Arbeit wäre ich verrückt geworden.
Ich habe Leute, mit denen ich zusammengearbeitet habe, abends
verabschiedet, und morgens wurde ihr Kopf von ihren Kindern vor der
Wohnungstür gefunden. Ich habe Freunde mit einer Kugel im Kopf gesehen. Ich
selbst habe Situationen erlebt, in denen sie mich töten wollten. Ich lebte
damit, und ich wusste, dass ich nur mittels meiner Zeichnungen dagegen
ankämpfen konnte. Wie eine Art Exorzismus. Das Einzige, was hilft, ist das
Lachen. Niemand hat mir je gesagt, dass ich damit aufhören soll, dass man
nicht lachen kann, etwa nach einem Massaker mit 400 Toten. Ich erlebte
diese tragischen Vorfälle doppelt. Zum einen wie ein Journalist. Ich war
vor Ort. Und außerdem musste ich meine Meinung darüber zum Ausdruck
bringen. Das war schrecklich. All das konnte ich nur mit Humor bewältigen.
Mit einem Humor, der nicht so tragisch ist wie das Ereignis selbst. Aber
ich achte immer darauf, dass die Schwere des Geschehenen spürbar bleibt.
Das heißt, man kann immer lachen, egal wann, egal wo?
Das ist meine tiefste Überzeugung. Es gibt nur ein Limit, wenn eine andere
Person durch meinen Humor einer Gefahr ausgesetzt wird. Das ist übrigens
ein weiterer Grund, warum ich Mohammed nicht zeichne. Mut hat für mich
immer mit individueller Gefahr zu tun. Ich kann keine Zeichnung
veröffentlichen, die den Tod einer anderen Person zur Folge haben könnte.
Der Humor in schwierigen Zeiten – stärkt das die Leute, macht das Mut?
Der Humor relativiert ein Drama. Für viele Leute ist mein Blick auf ein
Drama notwendig. Das hilft ihnen, auch wenn ein Drama weiterhin ein Drama
bleibt. Wir müssen damit leben, weil wir weiterleben müssen. Meine
Zeichnungen sind für mich notwendig, um mich zu erleichtern. Seit Mittwoch
höre ich nicht auf, über Charlie Hebdo zu zeichnen. Die Zeichnungen sind
nicht alle gut, aber ich sage mir damit selbst: Du musst weitermachen,
weitermachen, weitermachen …
Reagiert die Politik angemessen?
Ich sehe Politiker, die davon reden, dass wir nichts vermengen dürfen,
Religion, Politik. Die Religionen interessieren mich einen feuchten
Kehricht in einer solchen Situation. Mal sehen, ob die Vorbeter den Arsch
hochkriegen und ihren Gläubigen in der Moschee sagen, dass ein Zeichner
nicht den Tod verdient, nur weil er Witze macht. Es sind immer die
Gleichen, die von der Religion der Liebe und der Religion des Friedens
reden. Sie wiederholen das so oft, dass es schon verdächtig ist.
Müssen Karikaturisten und Journalisten in Europa jetzt lernen, so
vorsichtig zu sein, wie Sie es sind?
Darüber habe ich mit den Kollegen von Charlie oft gesprochen, vor allem mit
dem Zeichner Tignous. Die Lage ist sehr ernst. Wir stehen Menschen
gegenüber, die ganz anders ticken, die ganz andere spirituelle, materielle
und moralische Bezugspunkte haben. Kollegen: Bei der geringsten Bedrohung
müssen wir uns im Klaren darüber sein, was die auf der anderen Seite
anrichten können. Sie haben es oft genug bewiesen.
13 Jan 2015
## AUTOREN
Reiner Wandler
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Islam
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Schwerpunkt Frankreich
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