# taz.de -- Kommentar zu Demos in Frankreich: Ich bin Charlie! Und du nicht? | |
> Die Solidaritätsbekundung für die Terroropfer vereint Radikalliberale mit | |
> Rechtsextremen. Für die Verteidigung der Pressefreiheit ist das | |
> notwendig. | |
Bild: Wer marschiert hier eigentlich mit wem? Klar ist: Es geht um die Freiheit. | |
Mehr als eine Million Menschen waren in Paris auf der Straße. So viele, | |
dass die genaue Zahl auch schon wieder egal ist, zogen vom Platz der | |
Republik zum Platz der Nation. Darunter Regierungschefs und Minister aus | |
Frankreich, Deutschland, Italien, Israel, Palästina, Ägypten, Algerien und | |
vielen anderen Ländern. Christen, Muslime, Juden und Atheisten. | |
Radikalliberale und extrem Konservative. Und sicher auch Rechtsextreme, | |
auch wenn die keiner eingeladen hat. Also alle. So viele jedenfalls, dass | |
man schon wieder skeptisch werden muss. Die wollen tatsächlich jetzt | |
Charlie sein? | |
Massensolidaritätsveranstaltungen wie die gestern in Paris oder die, die | |
SPD-Chef Sigmar Gabriel für nächstes Wochenende initiieren möchte, haben | |
einen faden Beigeschmack. Denn da läuft eine ganze Reihe Menschen mit, mit | |
denen man eigentlich niemals einer Meinung sein möchte. In Frankreich zum | |
Beispiel der Front National. In Deutschland etwa die AfD und Pegida. In | |
beiden Ländern extrem religiöse Muslime, Christen oder Juden. | |
Längst gibt es Abgrenzungsdebatten. Der allgegenwärtige Slogan „Je suis | |
Charlie“ wird mit den Parolen „Je suis Ahmed“ und „Je suis Juif“ erg�… | |
Einerseits weil die Solidarität nicht bei den ermordeten Satirikern enden | |
kann, sondern den erschossenen muslimischen Polizisten und die jüdischen | |
Geiseln einschließen muss. | |
Andererseits um zu zeigen, dass alle, die diesen Schritt nicht mitgehen | |
wollen, niemals auf der richtigen Seite stehen können: „Ich bin Charlie – | |
und du bist es nicht!“ Und der Charlie-Hebdo-Zeichner Luz, der nur noch | |
darüber lachen kann, dass sich nun auch der Papst, die Queen, Putin und | |
sogar Marine Le Pen als Freunde der Ermordeten selbstdarstellen, fragt | |
bereits: Wie progressiv wird die Meinungsfreiheit in einem Jahr sein? | |
## Der Minimalkonsens reicht aus | |
Die Antwort liegt auf der Hand: Nicht erst in einem Jahr, sondern im | |
Zweifel schon am Mittwoch, wenn die erste Ausgabe des Satiremagazins nach | |
dem Attentat in Millionenauflage erscheinen wird, werden sich viele der | |
neuen Freunde abwenden. | |
Sie werden sich über unverschämte, blasphemische und respektlose | |
Karikaturen echauffieren. Sie werden Charlie Hebdo und andere, ähnlich | |
arbeitende Redaktionen verklagen. Sie werden in einigen Fällen sogar vor | |
Gericht gewinnen, worüber sich andere wiederum aufs trefflichste aufregen | |
werden. | |
Ist diese gigantische Solibewegung also nichts als verlogener Quatsch? | |
Nein. Bei der Meinungsfreiheit, für die gerade Hinz und Kunz eine Bresche | |
schlagen, geht es genau darum, dass im Streit über die Ansichten so | |
ziemlich alles erlaubt ist – außer eben der Einsatz von Kalaschnikows. | |
Das ist der Konsens der „Je suis Charlie“-Bewegung. Ein Minimalkonsens, in | |
der Tat. Aber es gibt Momente, in denen man sich auch solch scheinbarer | |
Banalitäten vergewissern muss, damit sie bleiben, was sie sein müssen: eine | |
Selbstverständlichkeit. Und einer dieser Momente ist: genau jetzt. | |
11 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Gereon Asmuth | |
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