# taz.de -- Vorratsdaten zur Terrorabwehr: „Eine systembedingte Hilflosigkeit… | |
> Die Vorratsdatenspeicherung soll Anschläge verhindern. Für Martina | |
> Renner, Bundestagsabgeordnete der Linken, gibt es dafür bessere | |
> Alternativen. | |
Bild: Die Kanzlerin trauert um die Terroropfer, denen auch die französische Vo… | |
taz: Nach den Anschlägen plädiert Merkel dafür die EU-Kommission zur | |
Vorlage einer neuen Richtlinie zu drängen und diese dann auch in | |
Deutschland umzusetzen. In der SPD ist man sich uneinig. | |
Bundesjustizminister Heiko Maas sieht nach den Gerichtsurteilen keine | |
Grundlage für eine Wiedereinführung. Gabriel und Oppermann stehen dem offen | |
gegenüber. Sind diese Positionen überhaupt so unterschiedlich, wie es | |
scheint? | |
Nach dem Bekenntnis des SPD-Vorsitzenden zur Vorratsdatenspeicherung | |
bröckelt die Ablehnungsfront in der SPD, an prominenter Stelle hält sich | |
eigentlich nur noch der Justizminister dagegen. Ich stelle mir die Frage, | |
ob Heiko Maas angesichts der rasanten Entwicklung innerhalb der Regierung – | |
von Merkel bis Gabriel – das Stehvermögen seiner FDP-Vorgängerin aufbringt | |
und die Kollaboration verweigert. Die SPD insgesamt ist meiner Meinung nach | |
mehrheitlich zum Mitmachen bereit. | |
Wie bewerten Sie die unterschiedlichen Positionen? | |
Die Positionen – den Justizminister noch ausgenommen – sind so | |
unterschiedlich nicht und bewegen sich seit Jahren in denselben Bahnen, | |
werden allenfalls durch die jeweils neuesten Anschläge oder | |
Sicherheitsprobleme populistisch angefüttert. Die Befürworter und | |
Befürworterinnen unterscheiden sich - von rechtlichen Feinheiten abgesehen | |
- bisher vor allem in der Frage der Dauer der Speicherung auf Vorrat. | |
Vorschläge von sieben Tagen bis sechs Monaten liegen seit Jahren auf dem | |
Tisch. | |
Darunter fallen auch eine Reihe der sogenannten Quick-Freeze-Verfahren, das | |
heißt der Versuch, mit möglichst kurzen Fristen im Einzelfall dann den | |
kompletten Datenbestand „einzufrieren“ und den Strafverfolgungsbehörden zur | |
Verfügung zu stellen. Wir halten das für fraglich. Denn es bleibt bei der | |
alten BKA-Feststellung, die als Forderung der Sicherheitsbehörden | |
aufgestellt wurde, dass alles unter sechs Monaten Speicherung ohnehin | |
nichts bringe. | |
Ist die Vorratsdatenspeicherung ein geeignetes Mittel der Strafverhinderung | |
oder zumindest der Strafverfolgung? | |
Die Anschläge aus Charlie Hebdo und den koscheren Supermarkt in Paris sind | |
ja leider ein schreckliches Beispiel dafür, dass die | |
Vorratsdatenspeicherung und auch die wesentlich weiteren Befugnisse für | |
Geheimdienste, die es in Frankreich im Vergleich zu Deutschland gibt, keine | |
Garantie für einen Schutz für mörderischer Gewalt sind. Was nützt es, wenn | |
die Geheimdienste im Nachgang zu einem solchen Anschlag sagen, was sie | |
alles über die Attentäter wussten? | |
Und wir dürfen ja nicht vergessen, dass Strafverfolgungsbehörden und | |
Geheimdienste in Deutschland auch ohne die Vorratsdatenspeicherung Telefone | |
abhören und Verbindungsdaten speichern können: Die so genannte | |
Telekommunikationsüberwachung geschieht jeden Tag, auf der Grundlage von | |
richterlichen oder staatsanwaltschaftlichen Beschlüssen – und bildet einen | |
wesentlichen Baustein in der Strafverfolgung. | |
Es werden also schon massenhaft Daten erhoben, was läuft dort bei der | |
Auswertung schief und wie könnte man das verbessern? | |
Man sollte lieber darüber reden, wie die Auswertungsabteilungen bei den | |
Landeskriminalämtern und beim BKA, die sich u.a. mit der Auswertung von | |
überwachten Telefonaten beschäftigen oder mit der Auswertung von | |
beschlagnahmten Computern, Handys etc. beschäftigen, verstärkt werden | |
können. | |
Aus der Erfahrung mit der wirklich intensiven Fahndung nach der Mordserie | |
an neun migrantischen Kleinunternehmern, von der wir heute wissen, dass sie | |
vom Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) verübt wurde, wissen wir, dass | |
Massendatenerhebungen – und in dem Fall wurden über 22 Millionen Datensätze | |
erfasst – ins Leere laufen, wenn die falsche Ausgangshypothese vorliegt und | |
wenn es nicht genügend Personal gibt, um die vorhandenen Daten auszuwerten. | |
Warum wird die Vorratsdatenspeicherung immer wieder ins Spiel gebracht? | |
Meiner Ansicht nach ist es auch ein gewisser Ausdruck von Hilflosigkeit der | |
Ermittlungsbehörden: Sie wissen, dass sie im Zweifelsfall Anschläge wie in | |
Paris nicht verhindern können. | |
Im Nachhinein haben wir ja erfahren, dass die Geheimdienste in Frankreich | |
die Attentäter sehr wohl kannten und eigentlich ziemlich viel über sie | |
wussten, und dennoch wurde die entscheidende Veränderung, die die drei | |
Männer durchlaufen haben – von Sympathisanten militanter Islamisten hin zu | |
Aktivisten, zu Kadern und Organisatoren mit konkreten Plänen, mit | |
Waffenbeschaffung etc. – trotz Vorratsdatenspeicherung nicht erkannt. | |
Inzwischen wissen wir ja auch, dass die drei – und vermutlich auch ihre | |
Helfer und Helferinnen – ganz bewusst Telefonkommunikation über eigene | |
Handies vermieden haben. | |
Es ist also eine systembedingte Hilflosigkeit, die immer wieder zum | |
Anwerfen der Gebetsmühlen führt: jeder neue Anschlag und jedes andere | |
Sicherheitsproblem offenbart nach der herrschenden Meinung eine Lücke im | |
Sicherheitssystem – und die soll mit den immer gleichen Mitteln geschlossen | |
werden. Die Alternative wäre ein schlichter Systemwechsel. Schritt für | |
Schritt, beginnend an wichtigen Knotenpunkten. | |
Was wäre Ihrer Meinung nach die bessere Lösung für die Strafverfolgung? | |
Aus der Sicht einer effektiven Strafverfolgung sicherlich mehr Einsätze | |
verdeckter Ermittler – denn aus den Berichten von Aussteigern wissen wir, | |
wie abgeschottet und technisch versiert die militant-islamistischen | |
Kleinzellen inzwischen agieren. Und größere Expertenpools in den | |
Strafverfolgungsbehörden. | |
Dazu gehört aber auch eine erheblich präzisere Erfassung der Probleme und | |
Sicherheitsrisiken. Wer mit unspezifischen Begriffen von „Terrorismus“, | |
„Gefährdern“ oder „Kontakten“ unzählige Dateien und Datenbanken füll… | |
Gesetze daran ausrichtet, der verstetigt die Gefahren eher als dass er sie | |
bekämpft. | |
Und welche Alternative bietet sich für die Strafverhinderung? | |
Wir müssen dringend die unabhängigen Projekte und Beratungsstellen stärken, | |
die Beratungsansätze entwickelt haben, um zu verhindern, dass Jugendliche | |
und junge Erwachsene in radikal-islamistische Milieus einsteigen bzw. die | |
Ausstiegsprozesse aus diesen Szenen begleiten, Präventionsprojekte an | |
Schulen organisieren und Familien beraten. Jeder, der nicht in die | |
Krisenregionen fährt, ist ein größerer Gewinn als eine weitere Information | |
in der Schublade der Geheimdienste. | |
Und da stellt sich mir schon die Frage, warum solche Projekte erstens | |
minimal ausgestattet und zweitens in der letzten Haushaltsdebatte entgegen | |
der Forderung der Opposition erst ab 2016 anlaufen sollen. | |
16 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Laila Oudray | |
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