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# taz.de -- Konflikt um den Tempelberg in Jerusalem: Provokationen bestrafen
> Nach jüdischem Glauben hat die Welt auf dem Tempelberg angefangen. Er ist
> realpolitisch unwichtig – und könnte trotzdem einen Krieg auslösen.
Bild: Die Umrisse der Al-Aqsa-Moschee auf dem Tempelberg in Jerusalem.
JERUSALEM taz | „Jeder soll nach seiner Façon selig werden.“ Das schrieb
der preußische König Friedrich II. einst auf die ängstliche Anfrage, ob die
römisch-katholischen Schulen unter seiner protestantischen Herrschaft
abgeschafft werden. An dieser Toleranz des Alten Fritz gegenüber allen
Religionen, von der „keine der anderen Abbruch tun soll“, könnte sich 300
Jahre später mancher Jude und mancher Muslim ein Beispiel nehmen.
Fast 50 Jahre dauert die israelische Besatzung des Westjordanlands und
Ostjerusalems an. Dass der Tempelberg, von wenigen Ausnahmen abgesehen,
weder zentrales Thema im Konflikt noch im Friedensprozess war, ist Mosche
Dajan, einst israelischer Verteidigungsminister, zu verdanken. Aus seiner
Feder stammt der geniale Status quo, um den die Muslime in der Region
bangen.
Im Nahen Osten drohe ein Religionskrieg, warnte Palästinenserpräsident
Mahmud Abbas und gibt damit die Stimmung innerhalb der Palästinenser wider.
Auch die israelisch-jordanischen Beziehungen stehen mittlerweile auf
Messers Schneide, da Israel Ende letzten Jahres den Tempelberg kurzzeitig
sperrte, aus berechtigten Sicherheitsgründen.
In weiser Voraussicht sorgte Dajan damals für eine Trennung zwischen
Israelis und Palästinensern: Muslime beten in den beiden Moscheen al-Aksa
und Felsendom oben auf dem Tempelberg, Juden an der Klagemauer unten. Die
Verwaltungsobhut blieb in den Händen der Wakf, der muslimischen Stiftung,
und damit in letzter Instanz unter Kontrolle des jordanischen Königshauses
– genau wie vor dem Krieg von 1967. Dajan wusste um die religiösen
Empfindlichkeiten und kam den Muslimen entgegen, als er den Juden das Gebet
auf dem Tempelberg untersagte.
## Den Tempelberg bitte nicht besuchen
Vor dem Hintergrund, dass Israel den Sechstagekrieg gewonnen hatte, war
Dajans Lösung für die Muslime fair. Ausgerechnet der Mann, unter dessen
Kommando die Jerusalemer Altstadt erobert wurde, schränkte aus Rücksicht
auf die geschlagenen Araber die Gebetsrechte für Juden ein. Zum ersten Mal
seit 1948, als Jordanien in Jerusalems Altstadt sämtliche Synagogen
zerstörte und die Bewohner des jüdischen Viertels evakuierte, konnten die
Juden wieder an die Klagemauer, ihre bedeutendste Gebetsstätte, die Kotel,
zu deutsch Mauer, das einzige Überbleibsel des vor 2.000 Jahren von den
Römern zerstörten zweiten Tempels.
Dajan genoss bei den Einschränkungen für Juden auf dem Tempelberg die
Rückendeckung der Oberrabbiner. Orthodoxe Juden dürfen erst, wenn der
Messias kommt, wieder an den Ort, an dem laut biblischer Überlieferung die
Welt entstand und an dem Abraham um Haaresbreite seinen Sohn Isaak geopfert
hätte. Die Halacha (jüdisches Recht) gilt unverändert bis heute. Juden
sollten es nicht riskieren, „die heiligste Stätte im Judentum zu
verunreinigen“, meinte jüngst der sephardische Oberrabbiner Jizhak Jossef
und mahnte, fortan Besuche auf dem Tempelberg zu unterlassen.
Sollten sich die Spannungen rund um den Tempelberg trotzdem zu einem
Religionskrieg ausweiten, dann hätten Israels orthodoxe Juden so wenig
Anteil daran wie die weltliche Bevölkerung im Land. Die große Mehrheit
interessiert sich nicht dafür, wer wann auf dem Tempelberg beten darf. Und
auch Regierungschef Benjamin Netanjahu versicherte wieder und wieder, dass
er nicht an dem jetzigen Status quo rühren will. Er weiß, dass er für eine
Veränderung keine innenpolitische Mehrheit finden und außerdem das
Verhältnis zu Jordanien massiv belasten würde.
Viele Palästinenser nehmen diese Realität jedoch nicht wahr. Nicht weniger
als 86 Prozent sind einer aktuellen Umfrage zufolge überzeugt davon, dass
Gefahr besteht für den Haram al-Sharif (Das edle Heiligtum), wie der
Tempelberg im Arabischen heißt. Nur sechs Prozent, so fand das
Palästinensische Forschungszentrum für Politik und Umfragen (PSR) heraus,
glauben, dass Israel den Status quo nicht verändern wird.
## Ein Religionskrieg
Diese Panik wird von einer Serie von Provokationen einiger Dutzend
nationalreligiöser Juden geschürt. Die legen es darauf an, den Konflikt um
Land und politische Souveränität in ein religiöses Gewand zu kleiden. „Dies
ist ein Religionskrieg, deshalb gibt es auch keine Lösung“, umreißt der
rechtsextreme Politiker Arieh Eldad seinen Standpunkt und erklärt im selben
Atemzug Friedensverhandlungen für überflüssig. Es sind aber nur radikale
Kleinstgruppen, die es verstehen, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Die Studenten für den Tempelberg etwa rufen über soziale Netzwerke zu
Demonstrationen auf die Esplanade der beiden Moscheen. Die Initiative El
Har Hamor veranstaltet monatlich das „Umkreisen der Tore“ mit Gesang und
Tanz vom Platz vor der Klagemauer aus rund um den Tempelberg. Dann gibt es
noch das Tempelinstitut, wo ein Modell den dritten Tempel zeigt, und eine
Handvoll extremistischer Politiker, die ihn bauen wollen, sollten sie eines
Tages an die Macht kommen.
Aber so gering das Interesse der israelischen Bevölkerung und Politik de
facto ist – welches Potenzial der Tempelberg birgt, den Konflikt eskalieren
zu lassen, zeigte Exregierungschef Ariel Scharon, als er im September 2000
– damals war er noch Oppositionsführer – in Begleitung von Hunderten
Polizisten über den Tempelberg spazierte. Al-Aksa (Die Entfernte) und der
Felsendom, von dem aus Mohammed einst seine Himmelsfahrt angetreten haben
soll, stehen nach Mekka und Medina an dritter Stelle in der Hierarchie
heiliger muslimischer Stätten.
Scharons damaliger Auftritt mag den Anstoß zur zweiten Intifada gegeben
haben, die mehr als 3.000 Palästinensern und gut 800 Israelis das Leben
kostete. Wenige Wochen vorher waren in Camp David die unter der
Schirmherrschaft des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton geführten
Friedensverhandlungen gescheitert. Die Hoffnung auf eine Befreiung von der
israelischen Besatzung war einmal mehr enttäuscht worden.
## Die Gewaltbereitschaft wächst
Ähnlich wie im Herbst 2000 wächst in diesen Wochen die Verzweiflung unter
den Palästinensern und damit ihre Gewaltbereitschaft. Laut PSR-Studie
unterstützen 80 Prozent der Befragten Attentate auf Zivilisten. Terror ist
wieder gesellschaftsfähig. Als „Intifada der Armut“ rechtfertigen viele in
Ostjerusalem die veränderte Stimmung, und sie schimpfen über ihren Status
als Bürger zweiter Klasse.
Pepe Allalo, Meretz-Abgeordneter im Jerusalemer Rathaus, bestätigt in einem
Interview mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen, dass „80 Prozent der
palästinensischen Kinder unterhalb der Armutsgrenze leben“. Im
Flüchtlingslager Schuafat, das zum Jerusalemer Einzugsgebiet gehört, treibt
die Frustration Jugendliche in den Drogengebrauch und die Gewalt auch
untereinander. Jeder zweite Haushalt, so sagen Anwohner, sei im Besitz
einer Waffe.
Die Perspektivlosigkeit und der Friedensprozess, der mit jeder neuen
jüdischen Siedlung immer deutlicher zur Farce wird, sind gepaart mit den
steten Provokationen israelischer Extremisten. Besonders umstritten ist
Silwan, das arabische Viertel südlich der Altstadt, in dem radikale Siedler
über Strohmänner ein halbes Dutzend Häuser kauften. Für Israel liegt hier
die Ir David, die Stadt des Königs von Judäa. „Will ernsthaft jemand Juden
verbieten, in Davids Stadt zu ziehen“, fragt Jerusalems Bürgermeister Nir
Barkat entrüstet.
Schließlich sollten Juden überall wohnen dürfen, genau wie Christen und
Muslime, nur sollen sie mit friedlichen Absichten kommen. Diese Juden
machen indes keinen Hehl aus ihrem Ziel der „Judaisierung“ der Ir David und
anderer Stadtviertel. Deshalb sind sie unerwünscht. Mehr als umgerechnet
zehn Millionen Euro zahlt das Wohnungs- und Bauministerium jährlich für die
Bewachung der Siedler in den Ostjerusalemer Minisiedlungen.
## Bestehenden Regelungen und neue Gesetze
Der Streit über die Siedlungen, über Menschenrechte, Grenzen und staatliche
Souveränität ist es, der die Lösungssuche für den Konflikt zwischen
Israelis und Palästinensern so kompliziert macht. Der Tempelberg gehört
zwar dazu, bislang arrangierten sich beide Seiten mit der bestehenden Lage
trotzdem recht gut.
Der „Fiskal“ solle ein Auge darauf werfen, schrieb Friedrich der Große,
dass keine der Religionen „der anderen Abbruch“ tue. Im Sinne des
preußischen Aufklärers wäre es an Israels Regierung, dafür zu sorgen, dass
die bestehenden Regelungen eingehalten werden, und wenn nötig neue Gesetze
zu verhängen, die Provokationen bestrafen. Nach jüdischem Glauben hat die
Welt auf dem Tempelberg angefangen. „Vielleicht ist das so, vielleicht
nicht“, sagt Ami Meitav, ehemals Agent des inländischen Geheimdienstes
Schin Beth, Einsatzgebiet Tempelberg. „Aber wenn es einen Ort auf der Welt
gibt, der das Ende der Welt einleiten kann, dann ist das ganz sicher hier.“
Deshalb ist es an der israelischen Regierung, per Gesetz zu verhindern,
dass Hardliner auf beiden Seiten den Tempelberg für ihre Politik
instrumentalisieren.
23 Jan 2015
## AUTOREN
Susanne Knaul
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Judentum
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Palästina
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