# taz.de -- Verkehr auf dem Land: Schlaflos in Oldendorf | |
> Seit es die Lkw-Maut gibt, rasen Laster durch den Ort im Wendland. Mit | |
> der Pkw-Maut wird alles noch schlimmer, fürchtet Anwohnerin Heike Genzel. | |
Bild: Heike Genzel hält's kaum aus: Alle zehn Sekunden rast ein Brummi vorbei. | |
OLDENDORF taz | Neulich saß wieder so ein Brummer in ihrem Zaun. Keine | |
kleine Hummel, sondern ein dicker Lkw. Er ist reingefahren, weil er zu | |
schnell war. „Ich weiß nicht, wie oft ich den Zaun schon repariert habe“, | |
sagt Heike Genzel. | |
Heike Genzels Haus steht in einer Kurve in Oldendorf, einem Dorf im | |
niedersächsischen Wendland. Die Kurve ist scharf, die Autos müssen heftig | |
bremsen. Die meisten machen das, manche Lkws nicht. „Die rasen hier mit 80, | |
90 Sachen lang“, sagt Genzel. Nicht wenige landen in ihrem Garten. | |
Seit fast zehn Jahren geht das so. Schuld daran ist nicht nur die | |
EU-Osterweiterung, sondern vor allem die Lkw-Maut. Da ist sich Genzel | |
sicher. Seit 2005 müssen Großfahrzeuge im Güterverkehr mit mehr als zwölf | |
Tonnen eine Gebühr bezahlen, sobald sie auf eine Autobahn rollen, für jeden | |
gefahrenen Kilometer zwischen 14 und 28 Cent. Ab 2016 soll es auch eine | |
Maut für Pkws geben. So will es CSU-Verkehrsminister Alexander Dobrindt. Er | |
findet die Maut „fair“ und „gerecht“. | |
Die EU findet das nicht. Es gibt Widerstände aus Brüssel gegen die | |
Verkehrsabgabe. Sie sei ausländerfeindlich, finden die Abgeordneten. Aber | |
EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc, die gerade in Berlin um Bundestag war, | |
zeigt sich diplomatisch. Sie wolle die Zulässigkeit der Pkw-Maut erst | |
beurteilen, wenn das Gesetz endgültig auf den Weg gebracht ist. | |
## Alle zehn Sekunden rast ein Brummi vorbei | |
Um die Kosten für die Lkw-Maut zu sparen, leiten manche Spediteure ihre | |
Trucks statt über die Autobahnen über Land- und Bundesstraßen. Eine davon | |
ist die B 216, von Lüneburg nach Dannenberg und mitten durch Oldendorf. | |
Heike Genzel, 57, stellt sich auf den Bürgersteig vor ihrem Anwesen. Ein | |
Lkw fährt vorbei, der Luftzug reißt die große, schlanke Frau mit dem | |
halblangen braunen Haaren fast um. Nahezu alle zehn Sekunden rast ein Autos | |
vorbei. Ein paar Pkws, vor allem aber Schwerlaster. Ihre Kennzeichen: | |
Berlin, Polen, Litauen. Die Leute hier nennen sie Mautpreller. | |
Fast alle Länder in Europa haben eine Maut. Frankreich, Italien, | |
Österreich, die Schweiz, selbst Montenegro, Island und Albanien. Seit | |
einigen Jahren hat der Schwerlastverkehr auf manchen Bundes- und | |
Landstraßen laut Verkehrszählung der Bundesanstalt für Straßenwesen um bis | |
zu 70 Prozent zugenommen. | |
## Häuser und Straßen gehen kaputt | |
Durch Oldendorf fuhren dieser Statistik zufolge, die alle fünf Jahre | |
erstellt wird, 2005 jeden Tag rund 560 Lkws. 2010 waren es 830. „Wir sind | |
schon auf die Zahlen 2015 gespannt“, sagt Hans-Christian Friedrichs. Denn | |
er fürchtet: Die Pkw-Maut wird ähnliche Effekte haben wie die für die | |
Schwerlaster. Hans-Christian Friedrichs muss es wissen, er ist der | |
Vorsitzende des Landesverbandes des Verkehrsclubs Deutschland (VCD), einem | |
Lobbyverband für eine „umweltverträgliche, sichere und gesunde Mobilität�… | |
Den wachsenden Verkehr auf den Land- und Bundesstraßen betrachtet er mit | |
Sorge. | |
„Die Straßen und Häuser gehen kaputt“, sagt Friedrichs. „Die Anwohner | |
klagen über zu viel Krach und Dreck.“ Heike Genzel zeigt auf die | |
Straßenfassade ihres knapp hundert Jahre alten Hauses. Das Fachwerk | |
bröckelt, im Dach rutschen die Fugen aus den Dachpfannen, im Winter schneit | |
es an manchen Stellen durch. „Das kommt von den Vibrationen“, sagt Genzel. | |
Ihr Schlafzimmer liegt keine fünf Meter von der Straße entfernt, die | |
Fenster sind dreifach verglast. „Trotzdem habe ich das Gefühl, die Lkws | |
donnern durch mein Bett.“ | |
Nicht nur im Wendland, überall in der Republik beschweren sich Dörfer über | |
den unerträglich gewordenen Schwerlastverkehr. Dagegen muss man doch was | |
tun, findet Heike Genzel. Vor drei Jahren gründete sie zusammen mit anderen | |
aus ihrem Umkreis eine Bürgerinitiative (BI). Die will erreichen, dass | |
Transit- und Schwerlaster in ihrer Region nicht mehr über die B 216 fahren | |
dürfen. Der VCD unterstützt den Plan. „Der Güterverkehr muss weg von der | |
Straße und rauf auf die Schiene“, sagt Hans-Christian Friedrichs. „Das geht | |
nur, wenn die Maut für Lkws und Pkws nicht nur für die Autobahnen erhoben | |
wird, sondern auch für Land- und Bundesstraßen“, glaubt Friedrichs, 50. | |
## Gebühr nicht für alle Straßen | |
Aber genau das ist in Dobrindts Maut-Plänen nicht vorgesehen. Die Pkw-Maut | |
soll – so wie die für Lkws – ausschließlich auf Autobahnen erhoben werden. | |
Theoretisch soll die Gebühr – eine Jahresvignette von bis zu 130 Euro, für | |
die im Gegenzug die Kfz-Steuer gesenkt wird – für Autobesitzer in | |
Deutschland zwar auch für die Bundesstraßen gelten. Aber dort wird nicht | |
kontrolliert. Jene Autofahrer, die beispielsweise durch ein Fahrtenbuch | |
nachweisen, dass sie nur Landstraßen benutzen, können sich das | |
Vignettengeld erstatten lassen. | |
Das Verkehrsministerium geht davon aus, dass gerade mal ein Prozent der | |
Autofahrer das tun wird. Der Bundesverband der Verbraucherzentrale (VZBV) | |
hingegen rechnet mit einer „Welle“ von Anträgen. „Viele werden das schon | |
aus Prinzip machen“, mutmaßt Marion Jungbluth, Mobilitätsexpertin beim | |
VZBV. | |
Ursprünglich wollte Dobrindt eine Gebühr für alle deutschen Straßen. Aber | |
aus den Grenzregionen kam Druck, die Leute dort befürchteten, dass | |
Grenzverkehr und Handel unter der Abgabe leiden. „Das ist ein Trugschluss“, | |
sagt Friedrichs: „Es ist genau andersrum: Weil der Fernverkehr immer mehr | |
zunimmt, bricht die lokale Wirtschaft ein.“ | |
## Polizei nimmt Unfälle nicht mehr auf | |
Die Ökoregion Wendland lebt vom sanften Tourismus. Radwanderer kommen her | |
und Leute, die Ruhe und Entspannung suchen. Jenseits der Bundes- und | |
Landstraßen ist das auch möglich. Aber viele Orte hier sind Straßendörfer, | |
manche Cafés und kleine Hotels machen dicht, an den Häusern stellen Makler | |
Schilder auf: „Zu verkaufen“. Ulrich Appels, Chef des Tourismusunternehmens | |
Elbtalaue Wendland, sagt: „Die Lkws durchfahren nicht in jedem Fall | |
touristische Schwerpunkte. Aber sie sind schädlich für den Tourismus.“ | |
Genzels Haus hat 360 Quadratmeter Wohnfläche, dazu Scheunen, Ställe, | |
Garagen. Früher ein florierender Hof. Doch seit ihr Mann tot ist und die | |
beiden Kinder ausgezogen, ist das alles zu viel für sie. Sie würde das | |
Anwesen gern verkaufen und woanders hinziehen. „Aber wer will schon | |
hierher?“ | |
Es gibt viele Unfälle in Oldendorf. Aber die Polizei winkt ab. „Die nehmen | |
nicht mal mehr alle Schäden auf“, sagt Heike Genzel. Der Güterverkehr | |
wächst rasant. Das Verkehrsministerium geht davon aus, dass das | |
Verkehrsaufkommen um 70 Prozent bis zum Jahr 2015 steigen wird. Die | |
deutsche Güterverkehrslogistik machte 2011 einen Umsatz von 222 Milliarden | |
Euro. | |
## Reparaturen müssen Gemeiden selber zahlen | |
Die Einnahmen aus der Lkw-Maut könnten bis Ende 2014 rund 4.361,5 Millionen | |
Euro betragen. Ausgerechnet hat das eine Einrichtung des Bundes mit dem | |
komplizierten Titel „Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft“ | |
(VIFG). Das Verkehrsministerium hat die VIFG beauftragt hat, die | |
Maut-Einnahmen zu verteilen. | |
Der größte Brocken, über drei Milliarden Euro, soll in den Ausbau und den | |
Erhalt von Autobahnen, Fern- und Bundesstraßen fließen. Die Opposition im | |
Bundestag glaubt, dass es „Investitionen in die Infrastruktur“ nicht geben | |
werde. Sie kritisiert die Maut als ungerecht für die Bürger. Zusätzliche | |
Einnahmen würden nicht erwirtschaftet. | |
Die Reparaturkosten für die Straßen im ländlichen Raum übernimmt der Bund | |
nicht. „Das müssen die Kommunen und Landkreise aus eigener Tasche | |
bezahlen“, sagt Friedrichs. Das belastet die ohnehin schon knappen Kassen | |
zusätzlich. | |
Wenn schon Maut, dann richtig teuer, findet der VCD. Statt durchschnittlich | |
21 Cent sollte jeder befahrene Kilometer auf Bundes- und Landstraße 45 Cent | |
kosten. „Und zwar für Lkws und Pkws“, meint Friedrichs. Das wäre teurer a… | |
der Transport mit der Bahn. Die hätte dadurch einen Wettbewerbsvorteil, der | |
Schwerlastverkehr würde auf die Schiene verlagert. Friedrich sagt: „Das ist | |
ökologisch und ökonomisch am besten.“ | |
29 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
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