| # taz.de -- Alec Empire über Punk, Acid und Techno: „Jeder Track ist politis… | |
| > Man braucht Tiefe, um aus Computersounds Besonderes herauszukitzeln, | |
| > findet Alec Empire. Auf dem CTM Festival in Berlin führt er sein Album | |
| > „Low on Ice“ von 1995 auf. | |
| Bild: Alec Empire (Archivbild von 2011): „Für die Entstehung neuer Musik ist… | |
| taz: Alec Empire, Sie sind in Berlin geboren und aufgewachsen und sind in | |
| der Subkultur verwurzelt? | |
| Alec Empire: Ich bin in Westberlin aufgewachsen. So mit zwölf Jahren geriet | |
| ich in die Punkszene. Ich spielte in einer Band und wir machten Konzerte | |
| mit den Goldenen Zitronen und den Ärzten und traten in besetzten Häusern | |
| auf. Was damals im Punk zählte, waren vor allem witzige Texte, nicht | |
| unbedingt der Gitarrensound oder der Effekt auf dem Bass. Die fand ich aber | |
| spannender. 1988–89 habe ich mich für die frühen Acidhouse-Sachen | |
| begeistert. Bereits vor der Wende war ich im Westberliner Club „UFO“. Bald | |
| danach habe ich Platten produziert und war neben Paul Van Dyk einer der | |
| Jüngsten in der Technoszene. | |
| Was war an der Musik anders? | |
| Als ich Acidhouse zum ersten Mal wahrgenommen habe, wurde mir sein | |
| Minimalismus bewusst. Ich kannte damals bereits Musik von Stockhausen und | |
| dachte, super, endlich gibt es einen Weg, Avantgarde und Pop miteinander zu | |
| verbinden, und so entsteht etwas, auf das sich mehr Leute einlassen. | |
| Komplizierte Musik wird im Film-Soundtrack ja auch von den Zuschauern | |
| bereitwillig akzeptiert. Elektronische Tanzmusik hat dieses Schema weiter | |
| aufgebrochen. | |
| Wie hat man sich das Business der Techno-Flegeljahre vorzustellen? | |
| Es gab zunächst gar keinen Markt, der entstand erst Mitte der Neunziger. Es | |
| wurden viele experimentelle Platten veröffentlicht, bei denen Produzenten | |
| ihren Sound erst definiert haben. Es gab ja noch keine Formel für Techno. | |
| Auch die DJs haben experimentiert. Wenn man heute in einen Club geht, gibt | |
| es feste Regeln – die sind damals entwickelt worden und haben sich seither | |
| kaum geändert. | |
| Was veränderte sich durch Techno nach 1989? | |
| Die Orte haben sich geändert. Die Musik wanderte nach Ostberlin ab. | |
| Tanzmusik lief vor 1989 vor allem in West-Diskotheken. Aber erst nach 1989 | |
| hatte ich das Gefühl, dass die Musik angefangen hat zu leben. Und dann | |
| hatten Produzenten auch Interesse, Musik zu schaffen für diese neuen Orte. | |
| Hat Sie die Technik inspiriert? | |
| Was ich interessant fand an Techno, war, dass man es programmieren konnte. | |
| Die Technologie half mir dabei, das Chaos zu ordnen, es hatte eine | |
| Funktionalität, die mich damals sehr begeistert hat. Die Musik war sehr | |
| direkt: Ich kann Beats machen, die Leute tanzen dazu, die stehen nicht nur | |
| rum und gucken sich das an wie in einer Kunstgalerie, die sind involviert. | |
| Das war zwar auch der Anspruch von Punk, aber Techno hat das radikalisiert. | |
| Der DJ war am Anfang nicht so wichtig. Es ging um die Nacht, in der alle | |
| was erleben wollten. Für die Entstehung neuer Musik ist es essenziell, dass | |
| man sich nicht so an Star-Persönlichkeiten aufhängt. | |
| Wie selbstverständlich war der Umgang mit Computer und Synthesizer? | |
| Ich gehöre zu der Generation, die davon profitiert hat, dass Synthesizer | |
| und Drumcomputer komplett out waren. Wir haben sie billig abgegriffen. | |
| Dabei war dieser physische, rein synthetische Sound erst damit möglich. Die | |
| Instrumente und Sounds, die die ersten Techno-Produzenten in Detroit | |
| benutzt haben, waren die gleichen, die wir auch benutzt haben. Das fand ich | |
| spannend, denn somit konnten wir uns messen. | |
| Ihre Tracks waren von Anfang an schneller und übersteuerter, woher kam der | |
| Drang, den Sound zuzuspitzen? | |
| Ich habe in den Punkbands immer E-Gitarre gespielt, die Gitarre musste | |
| schrammeln. Am tollsten fand ich, wenn die Verzerrer am Mischpult in den | |
| roten Bereich gefahren sind und übersteuert haben. Am Anfang hatte ich bei | |
| Techno das Gefühl, dass man das als DJ gepusht hat, um noch mehr Energie | |
| rauszukitzeln. Ich habe Musik immer als Sprache verstanden, und wenn du sie | |
| verstehst, kannst du ihr immer folgen. Bei elektronischer Musik geben einem | |
| die Maschinen etwas zurück. Wenn ich Klavier spiele, geht es um den Skill, | |
| darum, dass die Finger funktionieren. Bei Elektronik geht es mehr um die | |
| Form von Sounds, um den Aufbau, um den Mix. Die Leute sind sofort darauf | |
| abgegangen. Wenn es übersteuert klang, haben sie erst recht geschrien. | |
| Ihre Platten trugen immer explizite Botschaften, etwa „Destroy | |
| Deutschland“, obwohl Techno ja eher eskapistisch und unpolitisch war. | |
| Ende der Achtziger war Punk reine Phrasendrescherei, niemand wollte sich | |
| damals mit politischen Botschaften auseinandersetzen. Pop steckte in der | |
| Krise. Das machte sich auch bei Techno bemerkbar. Gerade, als die Sache in | |
| Berlin größer wurde, haben Rechtsradikale versucht, die Szene zu | |
| unterwandern. Dann hieß es, Techno sei antiamerikanische Musik. Wir haben | |
| dagegen klare Statements gesetzt. Und einigten uns auf Antirassismus und | |
| Antifaschismus. Wir haben gesagt, jeder Track ist politisch, er muss eine | |
| Botschaft haben. Und die konnte man mit Inhalt füllen. | |
| Ich hatte das Gefühl, je weiter wir uns von der Punk-Ära entfernt haben, | |
| desto wichtiger wurden Parolen. Wir kamen aus einer anarchistischen Szene, | |
| in der man – vornehm gesagt – skeptisch gegenüber dem Staat ist, was sich | |
| dann gut ergänzt hat mit vielen US-Künstlern, die ja in Detroit in einer | |
| kaputten Stadt aufgewachsen waren. Für uns machte es Sinn, die Antifa zu | |
| unterstützen, weil es beim Thema Neonazis damals darum ging, Zeichen zu | |
| setzen. | |
| Und heute? Der rechte Rand ist ja nicht verschwunden, Stichwort „Pegida“. | |
| Das Hauptproblem sehe ich im Internet. Was auf YouTube zu sehen ist, was | |
| junge Zuseher beeinflusst, ist wirklich krass. Man wird mit Material | |
| gefüttert, was vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen ist. Das verbreitet | |
| sich schnell. Man muss sich nur mal ansehen, was beim Thema Israel im Netz | |
| los ist, da wird wahllos zur Gewalt gegen Juden aufgerufen. Jeder | |
| vernünftige Mensch müsste, bevor er etwas postet, genauer hinschauen. Ich | |
| hoffe trotzdem, dass aus dem Internet etwas Besseres hervorgeht. | |
| Warum führen Sie nun „Low on Ice“ wieder auf, Ihr drittes Album, das 1995 | |
| auf Island entstanden ist? | |
| Zur Entstehungszeit habe ich in Berlin zehnstündige Sets gespielt, Hardcore | |
| und Gabba, da habe ich manchmal acht Stunden ausschließlich 250 bpm Tempo | |
| aufgelegt. Das Gehirn schaltet irgendwann um und gewöhnt sich an den Speed. | |
| Ich war über längere Zeit brettharter Energie ausgesetzt, dann war ich als | |
| Kontrastprogramm drei Tage zelten auf Island. Mein Equipment war minimal, | |
| eine Drummachine, zwei Synthesizer, ein Sampler. Ein bisschen Punk. Da habe | |
| ich diesen Sound entwickelt, der klang, als wäre ich im ewigen Eis | |
| eingeschlossen. Es war ein Runterkommen von der Energie meiner Live-Sets, | |
| begünstigt von der Natur und der Stille, und so ist diese Trance-artige | |
| Musik entstanden. | |
| Die hohen Frequenzen waren weg. Ich lag im Tiefschnee, hörte Geräusche, | |
| aber der Schnee war davor, alles klang sehr dumpf. Es sind langsame Beats, | |
| 60 bpm und drunter. Subbässe mit Bassfrequenzen von 30 Hertz. Eine | |
| Frequenz, die man nur fühlt. Das habe ich vom Dub abgeleitet, wo man die | |
| Musik fühlt. | |
| Wenn Sie „Low on Ice“ mit dem Motto der diesjährigen CTM „Un Tune“ | |
| zusammendenken, was ergibt das für eine Schnittmenge? | |
| „Low on Ice“ ist ursprünglich auf dem Label „Mille Plateaux“ erschiene… | |
| benannt nach einem Buch von Deleuze und Guattari. Wir wollten damals, dass | |
| man sich mit Theorie auseinandersetzt, wir wollten den Sound zum Diskurs | |
| schaffen. Auch das Festival CTM hat seinen Ursprung in jener Zeit. Damals | |
| ging es uns schon um mehr, als nur die Nacht durchzutanzen. Wir haben dann | |
| bei der musique concrète des französischen Komponisten Pierre Schaeffer | |
| angedockt. Den fanden wir mindestens so spannend wie DJ-Mixe. | |
| Wie kommt Ihnen das Berliner Nachtleben heute vor? | |
| Was ich vermisse, ist, dass sich die Leute um die Musik an sich kümmern. | |
| Die Touristen kommen nach Berlin wegen den Locations, das ist in Ordnung. | |
| Spannend an elektronischer Musik ist aber doch, wenn man nicht genau weiß, | |
| worauf sie hinausläuft. Genau deshalb war diese Phase in den Neunzigern | |
| wichtig, weil man gesagt hat im Studio, beim Produzieren geht es um was. | |
| Nicht nur der Bass muss fett klingen, wir bringen ihn auch in Zusammenhang | |
| mit einer politischen Botschaft. Heute können alle mit Computern umgehen, | |
| aber wer hat die Persönlichkeit oder die Tiefe, oder was auch immer man | |
| ausdrücken will, um das Besondere aus den Sounds herauszukitzeln? Das ist | |
| bei Computermusik wichtiger denn je. Ich glaube, dass die richtige | |
| elektronische Revolution erst noch bevorsteht. | |
| 28 Jan 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Julian Weber | |
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