Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Techno-Legende kehrt zurück: Daniel, Sylvie, El Puma und Mo
> In den 90ern war das Elektro der kleinste, aber coolste Technoladen
> Berlins. Am Samstag wird der Sound des Elektro wieder zu hören sein.
Bild: Am Samstag wird im Geist der 90er gefeiert.
„Wir halten immer noch das Elektro-Artwork hoch in unserem Stübchen. Vorne
stehen die gut aussehenden Platten, und zu denen zählen die Elektro-Platten
mit dem schönen Coverdesign“, sagt Mari. „Ich hab mir letztens eine
gekauft, für fünf Euro. Sie stand nicht in der Grabbelkiste, aber nahe
daneben. Das ist in der Erinnerung komplett ausradiert“, sagt Robert,
worauf Mari entgegnet: „Aber die Elektro-Shirts wurden noch Jahre später
getragen. Es war der gleiche Typ von jungem Mann, der UR- und
Elektro-T-Shirts anhatte.“ Die alten waren schwarz, und als sie alle waren,
hat Daniel Pflumm grüne gemacht, sage ich. Wenn du ein schwarzes hast,
kommst du quasi vom Anfang der bemannten Raumfahrt in Mitte dahergelaufen.
Das stimmt nicht, höre ich später, weil es die grünen nur in kleinen Größen
für Frauen gab. Im Elektro gab es immer viele Frauen, vor der Bar, hinter
der Bar und, das ist das Entscheidende, auch an den Plattentellern.
Insofern ist es richtig, wenn heute Abend neben Mo vom Elektro Music
Department auch Sylvie Marks im Ohm auflegen wird, die schon im Elektro in
der besetzten Mauerstraße 15 hin und wieder an den Technics stand und auf
den vier Quadratmeter großen Dancefloor runterschaute. Das Haus in der
Mauerstraße wurde 1995 im Zuge des Senatsprogramms „Investoren verschönern
die Stadt“ in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von einem Investorenbagger
ruiniert, wenige Stunden bevor es in die Denkmalliste eingetragen werden
sollte. Das großkotzige Dienstleistungszentrum für Botschaften, dem das
Haus geopfert wurde, ist nie gebaut worden. Dit is Berlin.
Was von der Mauerstraße 15 und dem umliegenden Kosmos von Botschaft e. V.,
Friseur und WMF geblieben ist, ist die Idee vom Club als einem Ort, an dem
man sich austauschen kann. Damals, sagt Daniel Pflumm, wobei er ironisch
Anführungszeichen mitspricht, hatte man mehr Freiheit, als man sie heute
hat. „Darum ging’s ja nur bei den ganzen Läden: dass man sich einen Laden
nimmt, wo man sich treffen kann. Abgesehen von irgendwelcher
gastronomischer Struktur. Da hat man halt, um ein bisschen Geld zu machen,
Getränke verkauft. Weil, wenn man sie auf den Tresen stellt, dann sind sie
einfach so weg.“
Dem Elektro folgten das Panasonic, die Bar in der Init Kunsthalle und die
Galerie Antik. Später lud Daniel Pflumm die Leute in sein Atelier am
Flutgraben. Inzwischen war das neomodernistische Pflumm’sche Album- und
Flyerdesign durch kleinteilige Zeichnungen abgelöst worden.
Pflumm hat mehrere neue Labels gegründet und tritt hin und wieder mit der
Industrial-Punk-Band Dont auf (kann man auf YouTube sehen). Das war,
nachdem er eine Kunstpause eingelegt hatte. Mit seinen minutiös
nachgebauten Logos und Videos, in denen über Nachrichtenfernsehen und
Werbung, Begehren und Manipulation nachgedacht wurde, war Pflumm bald in
den internationalen Kunstbetrieb integriert, bis er keine Lust mehr hatte,
vierzigmal im Jahr irgendwohin zu fliegen. „Die kamen an und wollten alles,
und irgendwann hieß es dann: Jetzt benimm dich mal ordentlich.“ Mo
Loschelder, die bei Gerhard Richter in Düsseldorf studiert hatte, hatte mit
der Kunst dagegen schon wieder aufgehört, bevor sie richtig anfing, weil
ihr Plattenauflegen im Club und später Musikproduzieren als gemeinsamer Akt
viel besser gefiel, als allein in einem Atelier zu sitzen.
Kunst wurde trotzdem gemacht, denn das Elektro war ein anarchistisches
Gesamtkunstwerk, eine Mensch-Maschine, die mittels Beck’s, Beats, Gedanken,
Ideen, Gesprächen, Muskelkraft, Speed und Euphorie in Bewegung gesetzt
wurde. Anfangs nur von Donnerstag bis Sonntag, weshalb „DO-SO“ die
wiederkehrende Botschaft der frühen Elektro-Flyers ist, siehe Abbildung
oben. Es gab in einem der zwei kleinen Räume des ehemaligen Elektroladens
meist Videos von Hallo TV und Pflumm zu sehen, aufgenommen im
Drehrestaurant des Fernsehturms, auf der Straße mit „Hallo“ sagenden
Leuten. Manchmal waren es Schnipsel alter Filme, in denen Leute Knöpfe
drücken oder telefonieren.
Es wurde getanzt, wenn Stars wie Robert Hood oder Dave Clarke auflegten.
Oft waren nur zehn Leute da, die den Sound vom Lächelnden Schamanen oder
von Maria Colours genossen. Alec Empire legte mit Moonraker, Bass Dee, Feed
und anderen auf. Für Alec Empires Auftritte ist Mo Loschelder heute wieder
zuständig, inzwischen betreibt sie eine Booking-Agentur namens Media Loca,
die auch Mika Vainio, Khan und Gudrun Gut vertritt. Tilman und Stefan, die
andere Hälfte des Elektro, schlugen beim Auflegen gern weite Bögen von
Funk- und Discoklassikern zu neueren House-Stücken. Eine Weile gab es am
Montag HipHop zu hören, was den Wänden des Elektro nebenbei einige Tags
einbrachte.
Ab 1995 produzierte das Elektro in Gestalt des Elektro Music Department
selbst Musik. Die letzte Platte kam 2006 heraus, „Sucker DJ“ von Klaus
Kotai, der mit Mo Loschelder und Daniel Pflumm den Kern des Autorenlabels
bildete. In wechselnden Konstellationen nahmen sie Musik auf, die
minimalistisch, aber trotzdem warm und auch immer ein bisschen
melancholisch und dunkel klang. Von Anfang an wurde aber auch Musik von
befreundeten Produzenten veröffentlicht.
Mo wird heute Abend ein minimales, bassiges Set spielen: „Ich versuche den
Elektrosound wiederzugeben. Daniel wird auch Techno auflegen, aber in
erster Linie HipHop. Sylvie wird wohl ein normales, also eklektizistisches
Sylvie-Marks-Set spielen. El Puma, man weiß es nicht, aber sicher tanzbar
und groovy. Und das ist auch die Reihenfolge unseres Auftretens.“ Um 23 Uhr
wird in der Köpenicker die erste Platte gedreht, 5 Euro kostet der
Eintritt. Wer mit Elektro-T-Shirt kommt, kriegt gute Laune.
5 Dec 2014
## AUTOREN
Ulrich Gutmair
## TAGS
Techno
Berlin
90er Jahre
Techno
Detroit
Techno
Techno
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kolumne Ausgehen und rumstehen: Zukunftsschock mit Schubumkehr
Kommt Techno aus Holland oder aus Detroit? Ab wann macht die Hitze Spaß?
Fragen und Antworten zum Auftritt von Model 500 im Berliner HAU
Alec Empire über Punk, Acid und Techno: „Jeder Track ist politisch“
Man braucht Tiefe, um aus Computersounds Besonderes herauszukitzeln, findet
Alec Empire. Auf dem CTM Festival in Berlin führt er sein Album „Low on
Ice“ von 1995 auf.
Porträt über Amsterdamer DJ Marcelle: Eine Offenbarung für ihre Hörer
DJ Marcelle zaubert meisterhaften Querschlägersound unterschiedlicher
Provenienz. Dazu benötigt sie drei Plattenspieler und etwas Zeit.
Tagung an der UdK Berlin: Zur Genealogie des Techno
Wer bestimmt, wann Techno anfängt? Eine akademische Tagung widmete sich der
Konstruktion seiner Geschichte.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.