| # taz.de -- Tagung an der UdK Berlin: Zur Genealogie des Techno | |
| > Wer bestimmt, wann Techno anfängt? Eine akademische Tagung widmete sich | |
| > der Konstruktion seiner Geschichte. | |
| Bild: Mit Techno gedenken: DJ Paul Kalkbrenner beim 25. Jahrestag des Mauerfall… | |
| Techno als Gegenstand akademischer Betrachtung, das holt keinen Raver mehr | |
| runter vom Dancefloor, könnte man meinen. Schließlich wurde dem Phänomen | |
| elektronische Tanzmusik bereits in unzähligen Studien aus allen | |
| universitären Ecken zwischen Musik- und Kulturwissenschaften zu Leibe | |
| gerückt. | |
| Doch erstaunlicherweise hat die Ringvorlesung „Techno Studies“, die seit | |
| November von der Universität der Künste in Berlin veranstaltet wird, mit | |
| dem erklärten Ziel, „Ästhetik und Geschichtsschreibung elektronischer | |
| Tanzmusik“ etwas näher zu rücken, für leichtes Aufsehen gesorgt. | |
| Pünktlich zum Höhepunkt der Ringvorlesung, einer zweitägigen | |
| „internationalen Tagung“ am Wochenende, hat die Welt den Quartalsraver | |
| Airen, der einst 15 Minuten lang berühmt war, weil die Schriftstellerin | |
| Helene Hegemann bei ihm abgeschrieben hatte, dazu gebracht, sich in klaren | |
| Worten gegen die akademische Theoretisierung eines Spirits auszusprechen, | |
| „der sich nicht analysieren lässt“ und seiner Meinung nach nur direkt auf | |
| dem Dancefloor erfahrbar ist. | |
| Wahrscheinlich ohne es zu wollen, gab Airen den Machern der Tagung damit | |
| eine zusätzliche Legitimation. Lag ihr Augenmerk doch vor allem in der | |
| Betrachtung einer Konstruktion von Technogeschichtsschreibung und der | |
| Frage, wie und von wem Techno als Kultur und Phänomen ständig neu | |
| verhandelt wird. „Was wird heute gesagt, was damals Techno gewesen sein | |
| soll?“, sei eine ihrer Hauptfragen gewesen, sagt Kim Feser, der die Tagung | |
| mitorganisiert hat. Die Position von Airen – über Techno lässt sich nicht | |
| reden – ist absolut typisch für in die Jahre gekommene ehemalige Raver. | |
| Was nun nicht heißt, dass Airens Forderung, den Rausch der Nacht über den | |
| Diskurs zu stellen, bei der Tagung völlig ausgeblendet werden konnte. Auch | |
| Kim Feser beeilte sich, im Deutschlandradio preiszugeben, dass er schon so | |
| manche Nacht durchgetanzt und sich selbst am Auflegen versucht habe. Und | |
| als sich während einer der Diskussionen ein Männchen mit Bauch als | |
| Geschichtswissenschaftler vorstellte, der damals aber auch dabei gewesen | |
| sein wollte, als Techno in den Neunzigern explodierte, wurde klar, dass die | |
| Selbsterfahrung im Club, ob nun bloß vorgegeben oder nicht, immer noch als | |
| entscheidend dafür angesehen wird, wie glaubwürdig eine akademische | |
| Betrachtungsweise von Techno ist. | |
| Freilich kann man es auch ganz anders machen, was der Vortrag der | |
| Medienwissenschaftlerin Judith Keilbach bewies, die womöglich DJ Bobo nicht | |
| von Robert Hood unterscheiden kann, aber mit ihrem medienwissenschaftlichen | |
| Instrumentarium eine Kritik von außen an die Art und Weise der derzeit um | |
| sich greifenden Historisierung von Techno formulierte, für die selbst | |
| erklärte Technokenner wahrscheinlich zu betriebsblind wären. Keilbach wurde | |
| vorab vom „Techno Studies“-Komitee mit Materialien versorgt, etwa mit | |
| einigen der in letzter Zeit erschienenen Filme über Techno und dem | |
| Gesprächsband „Der Klang der Familie“ über Techno in Berlin. | |
| Keilbachs Fazit aus dem Gesichteten: In den Filmen werde auf | |
| Guido-Knopp-Niveau Historisierung betrieben und auch dem Buch merke man | |
| deutlich an, dass nicht die Geschichte über Techno schlechthin, sondern | |
| eben eine Version dieser Geschichte konstruiert werde. Zudem habe sie den | |
| Eindruck bekommen, Techno sei so gut wie ausschließlich eine Sache von | |
| „heterosexuellen, weißen Jungs“. | |
| Nicht alle Vorträge waren so substanziell wie der von Keilbach. Zu oft | |
| merkte man dann doch, dass man sich in der Uni befand – es ging zum x-ten | |
| Mal hier wie dort um Bourdieu, Körperpolitik und Subversion. Man hatte | |
| nicht selten das Gefühl, mit Techno groß gewordene Wissenschaftler | |
| verklärten ihren Gegenstand. Schließlich ist Techno heute eine gigantische | |
| globale Unterhaltungsindustrie mit unglaublich gut verdienenden | |
| DJ-Popstars, die mit Underground gar nichts mehr zu tun haben. Was nicht | |
| heißen soll, dass im Berghain, das zufälligerweise an diesem Wochenende | |
| sein zehntes Jubiläum feierte, nicht trotzdem anständig gefeiert wurde und | |
| nebenbei „Identitäten neu verhandelt wurden“, wie der Akademiker sagen | |
| würde. | |
| 15 Dec 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Hartmann | |
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