# taz.de -- Neues Album von Fritz Kalkbrenner: Tröstender Sound | |
> Der Melancholiker unter den Techno-Größen: Fritz Kalkbrenners neues Album | |
> „True Colours“ gilt als die ideale Musik für Isolation und die Krise. | |
Bild: Man kann zu seiner Musik tanzen, aber auch meditieren: Fritz Kalkbrenner | |
Er hat sich als einer der Ersten seines Fachs zur Coronakrise geäußert. „Es | |
wird Privatinsolvenzen regnen... gerade in dieser Branche“, sagte Fritz | |
Kalkbrenner [1][Mitte März dem MDR-Jugendradio Jump] und meinte damit die | |
Musikbranche. „Das betrifft gerade Kleinere und Selbstständige.“ Diese | |
klare Aussage des Techno-Produzenten ist kein Zufall. Kalkbrenner ist schon | |
seit je der nüchterne Pessimist der DJ-Welt. Damit passt er jetzt besonders | |
gut in die Zeit. | |
„Good things happen to bad people“ heißt es im ersten Song seines neuen, im | |
März erschienenen Albums. Da konnte man noch gut an Trump oder die AfD | |
denken. Das „Hard Times even for a believer“, das er dann auch noch singt, | |
klingt dagegen schon wie der Soundtrack für die derzeitige Phase der | |
Isolation. | |
Fritz Kalkbrenner ist kein Hellseher, sein Album hatte er bereits vor der | |
Coronakrise hier fertigproduziert. Aber der Mann aus Berlin-Lichtenberg ist | |
der Melancholiker unter den Techno-Größen. Das spricht auch aus dem Sound. | |
Eine sanfte, fast ploppende Kickdrum pumpt, ein treibender Sequenzerbass | |
pulsiert auf jeder Sechzehntel, das ist Kalkbrenner. Auch, dass er viel | |
Moll und viele fallende Akkordfolgen benutzt, was einen Grundton von | |
Sentimentalität erzeugt. | |
„True Colours“ heißt das neue, sechste Album von Fritz Kalkbrenner. Die | |
Veröffentlichung ist zuerst ein wenig im Corona-Schock untergegangen und | |
wird nun online umso mehr gefeiert – denn das Album passt anscheinend gut | |
in diese Tage. Die Musik ist leicht und traurig gleichzeitig. Man kann dazu | |
tanzen, aber auch meditieren. Und die Songtitel klingen wie kleine Hilfen | |
für die Quarantäne: „One day at a time“ heißt ein Instrumentaltrack. Ein… | |
Tag zurzeit muss man schaffen, und so geht es vorwärts. | |
## Im Schatten des Bruders | |
Das Album setzt eine erstaunliche Künstlerbiografie fort. Der Berliner ist | |
im Schatten eines etwas größeren Mannes gestartet, mit dem er sich in den | |
Achtzigern ein Kinderzimmer teilte: seinem Bruder [2][Paul Kalkbrenner]. | |
Und der ist so etwas wie der Udo Jürgens des deutschen Techno: über jeden | |
Zweifel erhaben, passt immer, und sein Erfolg war eine Zeit lang | |
atemberaubend. Paul war irgendwann ab 2010 einer der gefragtesten DJs der | |
Welt, ging auf China-Tour, spielte vor Zehntausenden, hatte schon vor zehn | |
Jahren zwei Millionen Facebook-Fans. Und mit dem Film „Berlin Calling“ | |
eine Quasi-Autobiografie. | |
Fritz dagegen schien lange Zeit nur der kleine Bruder zu sein, der „auch | |
ein Techno-Musiker ist“ (wie die Zeit mal wirklich schrieb). Dabei hatte | |
Fritz noch eine frische Idee: Er sang. Nicht so schrill und laut, nicht wie | |
„I got the Power“, sondern weich und melancholisch, mehr wie „Moon River�… | |
Das wirkte neu. Tatsächlich war er gar nicht der Erste, der Techno mit | |
Soulstimme probierte. Aber der Erste, bei dem es richtig funktionierte. | |
Sein Album „Ways Over Water“ wurde damit im Jahr 2014 ein Welthit. Eine | |
Zeit lang soll es über 50.000 Euro gekostet haben, Fritz Kalkbrenner für | |
einen Gig zu buchen. Aber das sind Gerüchte, die man so hört. Über Gagen | |
redet keiner offen. Sicher ist: Fritz Kalkbrenner gehörte auf einmal auch | |
zu den ganz Großen. | |
## Die große Leere | |
Erstaunlich war das auch, weil er keinen Haudrauf-[3][Techno] macht und nie | |
gemacht hat. Allgemein menschliche Themen, Endlichkeit und Tod kamen schon | |
immer in seinen Texten vor. „Void“ hieß da schon mal ein Track, ein Wort | |
für die große, metaphysische Leere. „Vielleicht verstecken andere diese | |
Seite ja. Oder sie haben Schiss, sich damit auseinanderzusetzen“, sagt er. | |
Das war vor etwas mehr als vier Wochen, als das Leben gerade noch normal | |
erschien, in dem Studio in Prenzlauer Berg, wo er mit dem Toningenieur | |
Conrad Hensel aufnimmt. „Ich bin hier zu Hause, warum sollte ich weggehen“, | |
sagt er über Ostberlin. | |
Das ist mehr als eine lokalpatriotische Schrulle – es liegt auch | |
musikalische Bedeutung darin. Die Musik von Kalkbrenner ist, durchaus | |
untypisch für Techno, sehr dynamisch aufgenommen. Es gibt leise Stellen, | |
und das nicht nur bei den berüchtigten „Drops“, wenn kurz die Drums aus- | |
und wieder einsetzen. Der Sound ist luftig, fordert zum Hinhören auf. | |
Kalkbrenner weiß, dass manche seiner Kollegen zum Mixen zu einem | |
Top-Produzenten nach New York fahren und hinterher klingen wie ein US-Hit. | |
Doch er wollte nie, dass es „einen aus der Box heraus gleich umhaut“, das | |
ist nicht sein Weg. | |
Genauso wenig wie der des politischen Künstlers, auch wenn seine neuen | |
Texte ein wenig so klingen – bis hin zu so Solidaritäts-Slogans wie „one | |
day we all belong“ – wir alle gehören irgendwann... dazu? Oder zusammen? | |
Aber er selbst verweigert sich allen Deutungen: „Ich muss mir nicht die | |
Agitationsjacke anziehen, ich finde das nicht statthaft für einen Musiker.“ | |
„A Change is Gonna Come“ singt er auf der vorletzten Nummer des Albums. Das | |
klingt fast schon nach „The Times They Are a-Changin“ von Bob Dylan. Aber | |
hier ist es nicht so einfach mit dem Wandel und der Veränderung. Die | |
elektronischen Drums ticken zurückhaltend, ein Orgelsound mäandert weich, | |
dann kommt auch so ein technotypisches Dröhnen dazu – aber zu leise, gegen | |
den Strich eingesetzt. Da brennt kein Feuerwerk in der Musik ab, da singt | |
eher der Zweifel mit. | |
Kalkbrenner musste seine ganze Tour zum neuen Album verschieben. Dafür | |
schreibt ein Fan aus Ungarn auf Instagram: „Ohne deine Musik wäre die | |
jetzige Situation unerträglich.“ Auch wenn das Album selbst kaum anders | |
klingt als seine bisherige Musik der letzten Jahre. Der Moment passt | |
besser. | |
19 Apr 2020 | |
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[2] /Gesellschaftsbezogene-Clubmusik/!5300564 | |
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## AUTOREN | |
Thomas Lindemann | |
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