# taz.de -- Griechenland und Russland: Es wird Zeit, Alarm zu schlagen | |
> Weg von liberalen Werten, hin zu Russland. In Griechenland könnte Putins | |
> Kalkül, Europa zu spalten, an einer weiteren Front verfangen. | |
Bild: In Europa müsste Entsetzen herrschen: Ein EU-Land sucht Rettung in Russl… | |
Schon als Griechenland längst mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft | |
assoziiert und nach der Überwindung der Militärdiktatur Kandidat für den | |
EU-Beitritt war, pflegten meine griechischen Bekannten und Kollegen in | |
Athen und im deutschen Exil von Evropa zu reden, als gehöre Hellas nicht | |
dazu. | |
Das hellenozentrische Weltbild lässt sich leicht historisch erklären: | |
Griechenlands prekäre Existenz als Nationalstaat musste 1830 dem | |
Osmanischen Reich abgetrotzt und 1940 gegen die faschistische Achse | |
verteidigt werden. Nach 1945 war Griechenland ein Zankapfel im Kalten Krieg | |
und die Anbindung an die westlichen Bündnisse war erst Nothilfe und dann | |
Vernunftehe. | |
So gut wie alle griechischen politischen Familien kreisten um die nationale | |
Existenz, mit Westeuropa im emphatischen Sinne hatten weder die | |
kommunistische Linke noch die griechische Rechte etwas am Hut. Faktisch | |
beherrscht wurde Griechenland von in- und ausländischen Oligarchen, die | |
sich den Staat zur Beute machten; Pasok hat dieses Verfahren | |
„demokratisiert“, indem Pfründen auch an die Mittel- und Unterschichten | |
verteilt wurden. | |
Wenn sich Syriza vor diesem Hintergrund nun mit einer rechtspopulistischen | |
und ausländerfeindlichen Partei verbindet, gegen die Pegida ein | |
Multikultiverein ist, und sich die neue griechische Links-rechts-Regierung | |
Putins Russland an den Hals wirft, müsste der Katzenjammer der deutschen | |
und europäischen Linken eigentlich groß sein. Oder werden sie den ersten | |
Tabubruch weiter als „Realpolitik“ abbuchen und den zweiten gar als | |
veritable Alternative zu „Merkels Europa“ und „westlicher Arroganz“ fei… | |
## Nach innen blind | |
Tabubrüche sind es überhaupt nur, nähme man den einstmals | |
eurokommunistischen Diskurs von Syriza für bare Münze. Denn er ist im Kern | |
– wie das von jeher für Griechenlands Kommunistische Partei und einige | |
linksradikale Gruppen gegolten hat – ein national-protektionistischer: Er | |
setzt Griechenlands nationale Interessen absolut und zählt Hellas jetzt, | |
nach den erduldeten Demütigungen der Troika, erst recht nicht zu Evropa. | |
Antrieb vor allem des Außenministers Nikas Kotzias war und ist eine gegen | |
den Westen als politisch-kulturelles Ideal gerichtete | |
„antiimperialistische“ Politik. Diese zielt weniger auf die Machenschaften | |
der griechischen Oligarchie und die hausgemachte Ungleichheit und | |
Ungerechtigkeit als auf äußere Feinde, die in verschwörerischer Art gegen | |
Griechenland tätig sind. Die sind selbstredend Amerikaner, Europäer, die | |
Deutschen. | |
Die „plötzliche“ Zuneigung zu Russland kommt aus den Tiefen der Geschichte, | |
dem Antagonismus von Ost- und Westrom. Dabei schwenkt sogar ein erklärter | |
Agnostiker und Antiklerikaler wie Tsipras in eine Tradition ein, die den | |
größten Rückhalt der griechischen Rechten darstellt: die religiöse | |
Orthodoxie – eine Bastion gegen den Liberalismus, die säkulare | |
Gesellschaft, die Aufklärung. | |
Natürlich wird damit das gescheiterte Programm der Troika und der | |
konservativen Regierung nicht besser, gegen das Syriza und die Rechte | |
angetreten waren. Und auch einige der Ideen und Maßnahmen, welche die neue | |
griechische Regierung anstrebt oder vollmundig beschlossen hat, wie die | |
Rücknahme der Privatisierungen und der Massenentlassungen, könnten wirken. | |
Allerdings nur, wenn der griechische Staatsapparat zugleich reformiert und | |
von Klientelismus befreit würde. | |
Solange das Koordinatensystem der griechischen Koalition vom äußeren Feind | |
bestimmt wird, ist das sehr fraglich. Auch Syrizas ausländische | |
Sympathisanten haben seltsamerweise immer nur den Aspekt der Brüsseler und | |
Berliner Hegemonie kritisch betrachtet, selten die griechische Klassen- und | |
Klientelgesellschaft. Sie war von Bodenrenten, Finanzgeschäften und | |
Tourismusdividenden beherrscht und steht einer sozialökologischen | |
Modernisierung des Landes bis heute im Weg. (Ähnliches gilt für Spanien, wo | |
die Partei Podemos ja mit ähnlicher Stoßrichtung wie Syriza angetreten | |
ist.) | |
Alarmierend ist nun vor allem die Abkehr Griechenlands von der ohnehin | |
brüchigen europäischen Unterstützung der Ukraine, die sich in der | |
eilfertigen Bemühung um russische Unterstützung andeutet. Damit könnte | |
Putins klares Kalkül, Europa zu spalten, an einer weiteren Front verfangen. | |
Stets sind es Postkommunisten und Rechtspopulisten, denen der Kreml unter | |
die Arme greift, und die Mission des Außenministers scheint zu sein, nicht | |
nur Griechenland, sondern ganz Südosteuropa vom EU-Einfluss zu reinigen, | |
was vor allem auf das orthodoxe Serbien und die von ihm beeinflussten Teile | |
Bosniens zielt, aber auch in Budapest und Bratislava auf offene Ohren | |
stoßen könnte. | |
In vermeintlich linken Kreisen in Deutschland herrscht großes Verständnis | |
für die Umzingelungsfurcht Russlands. Aber es gibt kaum ein Sensorium für | |
die offensichtliche Spaltungspolitik Putins, für die er hemmungslos auf | |
Kontakte zu Rechtspopulisten wie den Front National setzt, und für die | |
Befürchtungen, die das in den ehemaligen Satellitenstaaten in | |
Ostmitteleuropa auslöst. | |
## Links- und Rechtsaußen | |
Moskau wird nicht zögern, Griechenland Vorzugsbedingungen bei | |
Gaslieferungen anzubieten und die Exporte griechischer Agrarprodukte an den | |
Sanktionen vorbeizuleiten. Im Europäischen Parlament haben Le Penisten und | |
Syriza vereint gegen die „antirussischen Sanktionen“ votiert, in der | |
deutschen Innenpolitik unterstützt das Gespann Wagenknecht-Gauland ein | |
eventuelles griechisches Veto. | |
Entsetzen muss herrschen, wenn ein EU-Land allen Ernstes glauben macht, die | |
Alternative zum (zweifellos defekten!) Krisenmanagement der Europäischen | |
Union sei eine Annäherung an Russland. Dass sich Links- und Rechtsaußen in | |
diesem Wunsch treffen, ist ebenfalls im Postsowjetismus angelegt: Auch in | |
Moskau poltern Nationalisten, Antisemiten und Exbolschewiken gegen Europa | |
und den Westen, auch dort ist das Bündnis zwischen Oligarchen und Kirche | |
ein Stützpfeiler des Kremls. | |
Der Chef der griechischen Diplomatie unterhält aus seiner Zeit als | |
Politikprofessor freundschaftliche Beziehungen zu Alexander Dugin, dem | |
Putin-nahen Verkünder der eurasischen Achse. Das ist die derzeit | |
geschlossenste Propaganda der Abkehr von westlich-liberalen Werten unter | |
einem geistigen und militärischen Protektorat Moskaus. Es wird Zeit, das | |
beim Namen zu nennen und Alarm zu schlagen. | |
Das ist keine antirussische, bellizistische Attitüde. Die militärische | |
Aggression geht klar von Russland aus, und das Ziel aller gegenwärtigen | |
Politik muss die faire Kooperation und Entwicklungspartnerschaft zwischen | |
der Europäischen Union und der Russischen Föderation bleiben. Nach dem Ende | |
der Aggression in der Ukraine. | |
Und wer weiß: So wie Charles de Gaulle einmal entgegen seiner erklärten | |
Absicht Algerien unabhängig werden ließ und der beinharte Antikommunist | |
Nixon sich mit Mao Zedong verständigt hat, könnte ja auch das Säbelrasseln | |
von Syriza nur die Ouvertüre zu einer pragmatischen Lösung der | |
Schuldenkrise in Brüssel und zu einer Umverteilung in Athen sein. Die | |
Hoffnung darf man nicht aufgeben. | |
29 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Claus Leggewie | |
## TAGS | |
Wladimir Putin | |
Europa | |
Deutschland | |
Russland | |
Griechenland | |
Import | |
Waffenexporte | |
Frank-Walter Steinmeier | |
Ölpreis | |
Europa | |
Antisemitismus | |
Alexis Tsipras | |
Griechenland | |
EU | |
Alexis Tsipras | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Deutsche Exporte nach Griechenland: Pillen statt Produktionsmittel | |
Griechenland wird als Handelspartner für Deutschland immer unwichtiger. Die | |
Exportzahlen sind symptomatisch für die Wirtschaft des Landes. | |
Verhandlungen mit Russland: Raketen für Griechenland | |
Die Regierungen von Griechenland und Russland verhandeln über den Kauf | |
neuer Raketen. Beide Länder wollen stärker zusammenarbeiten. | |
Brief der Grünen an den Außenminister: Putin-Berater ist unerwünscht | |
Die Grünen fordern ein Einreiseverbot für den Großrussland-Ideologen | |
Alexander Dugin. Ein rechtsextremer Verlag in Deutschland hat ihn | |
eingeladen. | |
Essay Russische Krisenpolitik: Die Panik vor der Panik | |
Die Angst in Russland vor den Folgen der fehlenden Einnahmen ist groß. Und | |
fast jeder glaubt, dass der Westen sich gegen das Land verschworen habe. | |
Polarisierung in Europa: Kapitalismus oder Abendland? | |
Mit Syriza, Podemos und anderen linken Kräften in Europa kehrt der Streit | |
zurück auf die politische Bühne. Das ist gut so. | |
Nonsensjournalismus zu Griechenland: Glauben reicht | |
Ein Zitat des griechischen Rechtspopulisten Kammenos dient als Beleg, dass | |
Syriza mit Antisemiten koaliert. Doch was hat er eigentlich gesagt? | |
Ökonom über griechische Wirtschaft: „Der Mindestlohn darf nicht steigen“ | |
Eine Revision der griechischen Reformen und ein Schuldenschnitt wären | |
falsch, sagt Ökonom Clemens Fuest. Auch die gestoppte Hafen-Privatisierung | |
sei notwendig. | |
Nach Syriza-Wahlsieg in Griechenland: Angst im Angesicht der Querfront | |
Mehr stammelnd als selbstbewusst kommentieren Linke, dass die linken | |
Wahlsieger um Tsipras mit Nationalisten koalieren. Warum? | |
Neues Kabinett in Griechenland: Entspannt vor hohem Besuch | |
Wie tritt Athen bei den ersten Kontakten mit der EU auf? Martin Schulz | |
besucht Griechenland, Außenminister Kotzias Brüssel. Finanzminister | |
Varoufakis indes beschwichtigt. | |
Neue Regierung in Griechenland: Tsipras' Plan für Athen | |
Wenige Tage nach dem Syriza-Wahlsieg ist das neue Kabinett | |
zusammengetreten. Der Regierungschef nannte vier Eckpfeiler seiner Politik. |