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# taz.de -- Nonsensjournalismus zu Griechenland: Glauben reicht
> Ein Zitat des griechischen Rechtspopulisten Kammenos dient als Beleg,
> dass Syriza mit Antisemiten koaliert. Doch was hat er eigentlich gesagt?
Bild: Dietmar Bartsch von der Linkspartei weiß auch nichts Genaues.
BERLIN taz | Freitag morgen im Deutschlandfunk: Der Moderator Christoph
Heinemann [1][unterhält sich mit dem stellvertretenden
Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei im Bundestag, Dietmar Bartsch], über
den Regierungswechsel in Griechenland. Der Journalist befragt den Politiker
zu der umstrittenen Koalition der linken Syriza mit der rechten Anel. Und
beide haben keinerlei Ahnung, worüber sie eigentlich sprechen:
Heinemann: Entschuldigung! Juden zahlen zu wenig Steuern. Das ist
Originalton Deutschland 30er-Jahre. Noch mal die Frage: Hat Syriza
Faschisten hoffähig gemacht?
Bartsch: Um das noch mal klarzustellen: Ich finde noch mal diesen
Koalitionspartner nicht akzeptabel, ich finde das sehr problematisch, will
aber darauf hinweisen, der O-Ton dieser Äußerung, er wird immer nur
wiederholt, der O-Ton dieser Äußerung ist, dass Juden, orthodoxe Juden in
Israel keine Steuern zahlen und dass das ein Problem ist. Der Mann hat das
nicht bezogen auf Griechenland.
Weder Heinemann noch Bartsch kennen offenkundig den O-Ton, den sie so
unterschiedlich paraphrasieren. Heinemann plappert einfach nach. Bartsch
lässt seiner Phantasie freien Lauf. Beide, wie es ihnen gerade in den Kram
passt. Da das in diesen Tagen öfters vorkommt, erscheint es lohnenswert,
mal genauer hinzuschauen.
Dass der Anel-Chef Panos Kammenos ein ultranationalistischer Demagoge und
übler Rechtspopulist ist, darüber braucht nicht diskutiert zu werden. Dafür
gibt es allzu viele Belege. Aber ist er auch ein Antisemit? Gut möglich.
Nur: Fest macht sich die Zuschreibung stets an der Feststellung, Kammenos
habe im Dezember vergangenen Jahres im Fernsehen behauptet, dass Juden in
Griechenland keine Steuern zahlen würden.
So ist es quer durch den Garten zu lesen – von der [2][Bild-Zeitung] über
[3][die Süddeutsche Zeitung] bis [4][zur FAZ]. Und in unzähligen
Facebook-Einträgen und Tweets sowieso. Was erstaunlicherweise niemanden,
der das so rezipiert, zu stören scheint: Nirgendwo in den deutschen Medien
findet sich ein wörtliches Zitat von Kammenos, mit dem die Aussage belegt
wird. Was doch eigentlich journalistischer Standard sein sollte.
## Das nicht zitierte Zitat
Wer sich auf die Suche nach dem inkriminierten Zitat macht, kann allerdings
etwas finden. Und zwar auch ohne der griechischen Sprache mächtig zu sein
(falls er es ist, ist es übrigens noch einfacher). Fündig wird er
beispielsweise in englischsprachigen griechischen Zeitungen. Die zitieren
den Herrn Kammenos so: „We see that Orthodoxy, which Mr Samaras cites in
his article, his government took most of the decisions that are against the
Church of Greece; cremation, civil partnerships for homosexuals, taxation
just for the Orthodox religion. Buddhists, Jews, Muslims are not taxed, the
Orthodox Church is taxed and in fact is at risk of losing its monastery
assets.“ Nachzulesen unter anderem auf [5][der Seite von enikos.gr].
Getreu seines Klerikalismus fordert Kammenos also, dass die
griechisch-orthodoxe Kirche keine Steuern zahlen soll – und benutzt als
Argument die anderen Religionsgemeinschaften, die angeblich auch keine
Steuern zahlen bräuchten. Was Unsinn ist, worauf der Dachverband der
jüdischen Gemeinden in Griechenland zu Recht hingewiesen hat. Tatsache ist,
dass Kammenos dummes reaktionäres Zeugs geplappert hat.
Nur: Sind seine Äußerungen auch antisemitisch? Falls man diese Frage mit ja
beantwortet, dann wären sie ebenso anti-buddhistisch oder antimuslimisch –
von diesem Vorwurf war aber noch nirgendwo zu lesen. Man könnte statt
dessen aber sagen, die Äußerungen sind schlicht dämlich.
Doch wie immer man das Zitat von Kammenos interpretiert: Auf jeden Fall
daneben liegen die beiden Herren, die sich heute morgen im Deutschlandfunk
unterhalten haben. So scheint es, dass der deutsche Journalist Heinemann
und der deutsche Politiker Bartsch mit dem neuen griechischen
Verteidigungsminister zumindest eins gemeinsam haben: Alle drei fabulieren
nach dem Motto „Glauben reicht“.
30 Jan 2015
## LINKS
[1] http://www.deutschlandfunk.de/neue-regierung-in-griechenland-erste-entschei…
[2] http://www.bild.de/politik/ausland/syriza/das-ist-der-koalitionspartner-395…
[3] http://www.sueddeutsche.de/politik/griechischer-verteidigungsminister-kamme…
[4] http://www.faz.net/aktuell/politik/europaeische-union/rechtspopulist-panos-…
[5] http://en.enikos.gr/politics/21105,Uproar_after_Greek_party_leader_says_Jew…
## AUTOREN
Pascal Beucker
## TAGS
Antisemitismus
Dietmar Bartsch
Panos Kammenos
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