# taz.de -- Untersuchungsausschuss zu Edathy: Die letzte Brandmauer der SPD | |
> Der mutmaßliche Informant Edathys, Michael Hartmann, gerät immer stärker | |
> unter Druck. Und auch seine Partei gibt ein erbärmliches Bild ab. | |
Bild: Michael Hartmanns Wissen könnte zur Belastung für die SPD-Spitze werden. | |
BERLIN taz | Eine Katastrophe. Das Bild, das die SPD im | |
Edathy-Untersuchungsausschuss abgibt, ist eine wirkliche Katastrophe. Eine | |
richtig dramatische sogar, mit verschiedenen Eskalationsstufen. Nach jeder | |
neuen Sitzung, nach jedem neuen Zeugen wird die Lage für die Partei noch | |
ein wenig katastrophaler. Am Ende dieser Woche ist es so weit: Eigentlich | |
müsste sie jetzt den Katastrophenschutz einschalten. | |
Nach sechs Zeugenaussagen am vergangenen Donnerstag ist so gut wie klar, | |
dass Sebastian Edathy in einem zentralen Punkt die Wahrheit sagt. Fast alle | |
stützen seine Version: Der SPD-Abgeordnete Michael Hartmann erfuhr im | |
November 2013 von bevorstehenden Kinderporno-Ermittlungen gegen seinen | |
Fraktionskollegen und warnte ihn, so dass dieser Beweise beseitigen konnte. | |
Als Hartmann diese Behauptung im Dezember im Untersuchungsausschuss | |
dementierte, hat er offenbar gelogen. Der Druck auf ihn ist nun immens, | |
lange wird sich der rheinland-pfälzische Abgeordnete nicht mehr an sein | |
Mandat klammern können. Und damit wird er für seine Partei zur großen | |
Gefahr: Wenn Hartmann am kommenden Donnerstag erneut aussagt, hat er | |
vielleicht schon nichts mehr zu verlieren. Dann könnte er auspacken und | |
verraten, ob noch andere Sozialdemokraten mit in der Affäre stecken, | |
vielleicht sogar die Fraktionsspitze. | |
Es geht also noch katastrophaler. Noch katastrophaler? Ein kleiner | |
Zwischenstand: Drei der noch vor einem Jahr renommiertesten | |
SPD-Innenpolitiker nehmen Gesetze offenbar nicht sonderlich ernst. Da wäre | |
einmal Edathy (Kinderpornos, mutmaßlich) und einmal Hartmann (Crystal Meth, | |
erwiesen; Strafvereitelung, möglicherweise). Dazu Fraktionschef Thomas | |
Oppermann, der beim BKA-Chef anrief und wissen wollte, was gegen seinen | |
Kollegen Edathy denn so vorliegt (Versuch einer Anstiftung zum | |
Geheimnisverrat, mindestens). Und damit ist Oppermann nicht alleine. | |
## „Hör auf!“ | |
Am Donnerstag sagte auch der rheinland-pfälzische LKA-Präsident aus. | |
Hartmann, den er aus gemeinsamen Mainzer Zeiten kenne, habe ihn im Januar | |
2013 wiederholt angerufen und um einen heiklen Gefallen gebeten: Es gebe | |
doch da diese Kundenliste einer kanadischen Firma, die Kinderpornos | |
angeboten hatte. Nun wolle er nur mal fragen, so rein aus Interesse: Wie | |
laufen denn die Ermittlungen so? Der arme LKA-Mann war ganz konsterniert | |
und vertröstete Hartmann. „Hör auf, anzurufen!“, will er nach dem dritten | |
Telefonat schließlich gesagt haben. „Damit kannst du mich und dich in | |
Riesenschwierigkeiten bringen!“ | |
Machen die bei der SPD das eigentlich immer so? Bei Polizeipräsidenten | |
anrufen, wenn ein Genosse etwas verbrochen hat? Und der Rechtsstaat? Gilt | |
nur für jene, die nicht das Glück einer direkten Leitung zur BKA-Spitze | |
haben? Eigentlich dürften die Sozen nach diesen Enthüllungen nie wieder ein | |
Innenministerium bekommen, in hundert Jahren nicht. | |
## Große Erinnerungslücken | |
Wie katastrophal die SPD dasteht, will sie selbst aber noch immer nicht | |
wahrhaben. Die Genossen glauben tatsächlich, sich irgendwie durch die | |
Affäre manövrieren zu können. Keiner demonstriert dieses Selbstbewusstsein | |
so deutlich wie Johannes Kahrs, der als einflussreiches Fraktionsmitglied | |
wohl ebenfalls frühzeitig eingeweiht war. Vor dem Untersuchungsausschuss | |
konnte sich der umtriebige Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises | |
daran aber nicht mehr exakt erinnern. Genau genommen konnte er sich an | |
überhaupt nichts erinnern, geradezu weltrekordverdächtig waren seine | |
Gedächtnislücken. | |
Wann er zum letzten Mal Kontakt zu Edathy hatte? „Kann ich nicht sagen.“ | |
Bevor die Ermittlungen öffentlich wurden? „Kann ich nicht sagen.“ Hat er | |
sich bei Edathy gemeldet oder umgekehrt? „Das kann ich ihnen auch nicht so | |
genau sagen.“ | |
Unmittelbar nach dieser Aussage hat Uli Grötsch die undankbare Aufgabe, vor | |
die Kameras zu treten. Er ist SPD-Obmann im Ausschuss, ein richtiger | |
Scheißjob: Einerseits muss er Aufklärungswillen simulieren, weil die | |
Öffentlichkeit das erwartet. Andererseits scheint seine tatsächliche Lust | |
auf Aufklärung sichtlich begrenzt, seine Fraktion könnte hinterher | |
schließlich noch katastrophaler dastehen. | |
Grötsch schleppt sich also in Richtung der Kameras, stolpert auf dem Weg | |
dorthin über einen Absperrungspfosten, und sagt, nachdem er doch endlich | |
angekommen ist: „Natürlich ist es wenig erfreulich, dass Herr Kahrs große | |
Erinnerungslücken hat.“ In diesem Moment möchte man ihn an den Schultern | |
packen, schütteln und anbrüllen: Erinnerungslücken? Unerfreulich? Geht's | |
noch?! Eine einzige Frechheit war diese Zeugenaussage! | |
## Neue Antworten ausdenken | |
Der Untersuchungsausschuss des Bundestags, das stand Kahrs geradezu auf der | |
Stirn geschrieben, der kann ihn mal. Kahrs hat eben kein überbordendes | |
Interesse an der Wahrheitsfindung, genauso wenig wie der Rest seiner | |
Fraktion, inklusive der SPD-Mitglieder im Ausschuss. Als die Opposition am | |
Donnerstag Abend Hartmanns Aussage vorziehen wollte, ihn sofort in den Saal | |
holen lassen, um ihn mit den neuen Aussagen zu konfrontieren – da blockte | |
die SPD den Vorschlag hab. Man brauche schließlich ein paar Tag Zeit, um | |
sich in Ruhe neue Fragen zu überlegen. Prima für Hartmann: Er hat jetzt | |
auch ein paar Tage Zeit. Um sich in Ruhe neue Antworten auszudenken. | |
Oder wirft Hartmann jetzt doch endlich hin, weil ihm der Druck zu groß | |
wird? Entscheidet er sich für die Wahrheit, statt neue fingierte | |
Geschichten zu erzählen? Wenn er im Untersuchungsausschuss seine Aussage | |
aus dem Dezember revidiert, könnte er damit einem Verfahren wegen | |
Falschaussage entgehen. Was er stattdessen aussagen müsste? Dass er Edathy | |
tatsächlich vorgewarnt hat? Dass die drohenden Ermittlungen innerhalb der | |
Fraktion ein offenes Geheimnis waren? Dass er Edathy nicht aus eigenen | |
Stücken geholfen hat, sondern einen Auftraggeber hatte? | |
Im November 2013 sprach Hartmann mit Fraktionschef Thomas Oppermann über | |
den gemeinsamen Kollegen, das ist unbestritten. Beide wussten damals, dass | |
Kinderporno-Ermittlungen bevorstehen könnten. „Kümmere dich um ihn“, soll | |
Oppermann gesagt haben. Angeblich nur, weil Edathy einen miserablen | |
gesundheitlichen Eindruck machte. Wirklich? | |
Für den Verdacht gegen die SPD-Spitze gibt es bislang keine Beweise. Die | |
Spekulation hören trotzdem nicht auf. Und an wem das liegt, wird immer | |
klarer: an den Sozialdemokraten selbst. | |
30 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
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