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# taz.de -- Debatte SPD-Wahlsieg in Hamburg: Der Mann der kleinen Sprüche
> Der Wahlerfolg von Olaf Scholz in Hamburg ist enorm. Trotzdem hätte er
> als SPD-Kanzlerkandidat – womöglich gegen Merkel – keine Chance.
Bild: Ist Scholz der bessere Gabriel?
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz. Klingt ungewohnt? Mag sein, aber das kann
sich ändern. „Wie sind ihre Pläne in der Bundespolitik?“, fragte das ZDF
den Wahlsieger am Sonntagabend, als die Wahllokale gerade mal 40 Minuten
geschlossen waren.
„Kann er auch Kanzler?“, titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung wenig
später im Internet. Die Bundes-SPD müsse Scholz an die Spitze stellen,
forderte am Montagmorgen die Bild-Zeitung. Und selbst wenn der Hamburger
Bürgermeister seine Ambitionen bislang zumindest halbherzig dementiert: In
den nächsten Wochen werden die Spekulationen über seine Zukunftspläne nicht
abreißen.
Der Gedanke vom Kanzlerkandidaten Scholz liegt nahe. Zwar wäre 2017
eigentlich Sigmar Gabriel an der Reihe, aber wenn der Parteivorsitzende die
SPD nicht bald aus dem Umfragetief führt, werden seine Genossen die K-Frage
doch noch einmal diskutieren wollen.
Dass die Sozialdemokraten ihren Blick in so einem Fall auf ihre
erfolgreichen Ministerpräsidenten werfen, hat Tradition. 1990 schickten sie
den saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine ins Rennen. Gerhard
Schröder erkoren sie acht Jahre später zum Kanzlerkandidaten, als sein
dritter Wahlsieg in Niedersachsen gerade eine halbe Stunde alt war. Und
heute? Hat Olaf Scholz von allen Regierungschefs der SPD die besten
Wahlergebnisse vorzuweisen.
## Fleißiger Arbeiter ohne Kanten
Was natürlich auch daran liegt, dass er mit seiner Art den Zeitgeist
trifft. Scholz ist nicht uncharismatisch, wie oft behauptet wird. Er klopft
einfach nur keine großen Sprüche und tritt stattdessen bescheiden auf; als
verlässlicher, fleißiger Arbeiter ohne Kanten. Das Modell Merkel also, das
viele Wähler honorieren und gegen das ein polternder Typ wie Gabriel selbst
unter größten Anstrengungen nicht ankommt.
Und nicht nur in puncto Habitus hat Scholz gegenüber Gabriel die Nase vorn.
Der SPD-Vorsitzende versucht als Wirtschaftsminister seit über einem Jahr
mit mittelmäßigem Erfolg, bei den Bossen zu punkten. Damit will er das
Vertrauen der Mitte gewinnen; den Sozialdemokraten sollen die Wähler das
Land ruhigen Gewissens anvertrauen können.
Scholz hat solche Bemühungen nicht mehr nötig. Er hat schon erreicht, was
Gabriel erst anstrebt: Die Bosse lieben ihn. Vor der Wahl in Hamburg haben
Industrie- und Wirtschaftsverbände dazu aufgerufen, SPD zu wählen. Bis weit
in die Mitte und rechts darüber hinaus gilt Scholz dank solcher Wahlhelfer
als vorzeigbar. 30 Prozent Stimmenvorsprung vor der CDU kommen nicht von
ungefähr.
So gesehen ist Scholz der bessere Gabriel. Als Kanzlerkandidat eignet er
sich trotzdem nicht.
## Schwäche der Hamburger CDU
Dass Scholz im Hamburger Rathaus so stark werden konnte, verdankt er vor
allem der Schwäche der dortigen Union. Neun Jahre regierte einst Ole von
Beust die Stadt. Der CDU-Politiker war extrem populär, auch er holte
zwischendurch eine absolute Mehrheit, seine Partei wirkte auf Jahre
unschlagbar. Dann trat er mitten in der Legislaturperiode aus freien
Stücken zurück und die CDU musste überrascht feststellen, dass sie sich
noch gar nicht darum gekümmert hatte, einen geeigneten Nachfolger
aufzubauen. Die Lücke, die von Beust hinterlassen hat, konnte seine Partei
bis heute nicht schließen.
Vieles spricht dafür, dass auch Angela Merkel eines Tages ein Vakuum
hinterlassen wird. Würde sie heute ihren Rücktritt verkünden, hätte die CDU
auch im Bund keinen unangefochtenen Nachfolger parat. Nur: Voraussichtlich
wird Merkel ihren Rücktritt heute nicht verkünden. Es deutet noch nicht mal
etwas darauf hin, dass sie 2017 auf eine vierte Amtszeit verzichtet. Für
einen Kanzlerkandidaten Scholz wäre die Ausgangslage also eine ganz andere
als in Hamburg.
Er bekäme die Wechselstimmung vom politischen Gegner nicht frei Haus
geliefert, sondern müsste sie selbst erzeugen. Das wird schon deshalb
schwierig, weil er ohne wirkliche Machtoption ins Rennen ginge. Die Linken
kann Scholz nicht ab. Dass die Partei bis zur nächsten Bundestagswahl
regierungsfähig wird, hält er für so gut wie ausgeschlossen. Wenn eine
rot-rot-grüne Koalition schon mit Gabriel unmöglich scheint, dann ist sie
mit Scholz absolut undenkbar.
Nun mag es einige wenige Szenarien geben, in denen sich ein
SPD-Spitzenkandidat trotz Merkel auch ohne die Linken eine Machtoption
schaffen kann. Dazu müsste er aber verdammt gute Argumente entwickeln. Ob
ausgerechnet Scholz dazu in der Lage ist, ein Mann, dessen größtes
Markenzeichen seine Visionslosigkeit ist?
## Spätfolgen der Agenda 2010
Im Hamburger Wahlkampf warb er vor allem damit, dass er bislang all seine
Wahlversprechen eingehalten habe – er verspreche nämlich nichts, was er
hinterher nicht umsetzen könne. Das ist edel, als Motto gegen Merkel reicht
es aber noch lange nicht aus. Im ersten Jahr der großen Koalition hat die
Bundes-SPD nahezu ihr gesamtes Wahlprogramm umgesetzt oder zumindest auf
den Weg gebracht, vom Mindestlohn bis zur Mietpreisbremse. In den
Umfrageergebnissen schlägt sich ihre Verlässlichkeit trotzdem nicht nieder.
Und so spricht, nüchtern betrachtet, kaum mehr etwas für einen
Kanzlerkandidaten Scholz, dafür aber ein gravierender Faktor gegen ihn: Die
SPD leidet noch immer an den Spätfolgen der Agenda 2010. Mit der
Arbeitsmarktreform hatte sie in der Ära Schröder nachhaltig Vertrauen
verspielt, und als damaliger Generalsekretär der Partei war Scholz eines
der Gesichter der Reform. Ausgerechnet mit ihm soll die SPD jetzt
enttäuschte Exwähler zurückgewinnen?
Nein, als SPD-Frontmann im Bund wäre Scholz chancenlos. Dass ausgerechnet
er jetzt zum Kanzlerkandidaten geschrieben wird, zweieinhalb Jahre vor der
nächsten Bundestagswahl, zeigt daher etwas ganz anderes: dass die Partei
angesichts mieser Umfragewerte nervöser wird, die Unzufriedenheit mit dem
Parteichef inzwischen nach außen strahlt und Gabriels natürlicher
Machtanspruch schwindet.
Und dass die Mehrheit der Medien als Alternativkandidaten anscheinend nur
einen bestimmten Typus für möglich hält: einen Mann aus dem rechten
Parteiflügel.
16 Feb 2015
## AUTOREN
Tobias Schulze
## TAGS
Kanzlerkandidatur
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Olaf Scholz
Inklusion
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Christian Lindner
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