# taz.de -- NSU-Aufklärung in Hessen: Schwarz-grüne Nebelkerzen | |
> Ein Untersuchungsausschuss in Wiesbaden soll den NSU-Skandal aufklären. | |
> Aber dafür interessieren sich die dortigen Koalitionspartner nur bedingt. | |
Bild: Regierungsfarben in Hessen | |
BERLIN taz | Die Stimmung im Innenausschuss des Wiesbadener Landtags war | |
geladen. Der Vorfall sei „eine Katastrophe“, warnte ein FDP-Abgeordneter. | |
Der grüne Oppositionspolitiker Jürgen Frömmrich kofferte den Innenminister | |
an, er werfe „größtmögliche Nebelkerzen“. Es war der Abend des 17. Juli | |
2006. | |
Drei Monate zuvor war in Kassel der Internetcafé-Betreiber Halit Yozgat | |
erschossen worden. Doch dass der hessische Verfassungsschützer Andreas T. | |
bei diesem neunten Mord der rätselhaften Ceska-Serie am Tatort war, | |
erfuhren die Abgeordneten erst aus der Presse. Sie fühlten sich brüskiert | |
vom damaligen Innenminister Volker Bouffier (CDU). | |
Bouffier aber gab den Arglosen: Die Sache sei natürlich betrüblich – | |
„insbesondere dann, wenn es auch der Minister erst aus der Zeitung | |
erfährt“, beteuerte der CDU-Politiker. Ihm liege „zur Stunde weder ein | |
Ermittlungsbericht der Staatsanwaltschaft noch sonst etwas vor“. Zumal der | |
Verfassungsschützer Andreas T. „ohne dienstlichen Bezug“ in Verdacht | |
geraten sei und ein Alibi für immerhin einen der zehn ungeklärten Morde | |
habe. „Er kann es nicht gewesen sein“, versicherte Bouffier. „Daraus kann | |
man auch ableiten, dass der Mann unschuldig ist.“ | |
Es war das erste Ablenkungsmanöver des CDU-Politikers in der brisanten | |
Affäre – und längst nicht das letzte. Tatsächlich war Bouffier damals schon | |
seit Wochen über den skandalträchtigen Fall im Bild. Bei seiner Befragung | |
im Bundestag gab er später selbst an, im April 2006 vom | |
Landespolizeipräsidenten telefonisch über den Fall informiert und danach | |
mündlich über den Ermittlungsstand unterrichtet worden zu sein. Hinter den | |
Kulissen bahnte sich damals schon ein Streit zwischen den | |
Sicherheitsbehörden an. Doch Bouffier bügelte kritische Nachfragen mit dem | |
Hinweis auf die Persönlichkeitsrechte des Verfassungsschützers und die | |
laufenden Ermittlungen ab. | |
## Kein Fan des Ausschusses | |
Inzwischen ist Bouffier hessischer Ministerpräsident, in einer Koalition | |
mit den Grünen – und natürlich kein Fan des Wiesbadener | |
Untersuchungsausschusses zum NSU-Skandal, der nach achtmonatigen, zähen | |
Vorarbeiten heute zum ersten Mal öffentlich verhandeln soll. Es könnte | |
pikant werden, nicht nur für den Regierungschef, sondern auch für dessen | |
Koalitionspartner. Die CDU kann kein Interesse daran haben, dass die | |
unrühmliche Rolle ihres Spitzenmannes erneut diskutiert wird. Die Grünen | |
stecken in der Klemme. Weder CDU noch Grüne haben im Landtag für den | |
Ausschuss gestimmt – ein bundesweites Novum. Alle anderen NSU-Ausschüsse in | |
Bund und Ländern wurden einmütig beschlossen. | |
Die Grünen wollten „natürlich nach Kräften in diesem Untersuchungsausschuss | |
mitarbeiten“, versichert Jürgen Frömmrich, inzwischen Ausschuss-Obmann | |
seiner Fraktion. Doch dabei wirken sie ungewohnt defensiv. Frömmrich | |
verweist auf die umfassende Vorarbeit des NSU-Untersuchungsausschusses im | |
Bundestag: „Mir ist noch nicht klar, wie wir mit denselben Zeugen und | |
denselben Akten zu neuen Erkenntnissen kommen sollen“, sagt er. | |
Zudem wisse man doch dank des Bundestages längst, dass in Hessen bei der | |
Verfolgung des NSU grobe Fehler passiert seien. Frömmrich plädiert daher | |
dafür, schleunigst daraus zu lernen. „Der Bundestags-Untersuchungsausschuss | |
hat dazu sehr konkrete Handlungsempfehlungen erarbeitet, an deren Umsetzung | |
für Hessen eine unabhängige Expertenkommission arbeitet.“ | |
## Opposition widerspricht | |
Dem widerspricht die Opposition. Man müsse doch erst mal genau verstehen, | |
wo und warum die Behörden nicht richtig zusammengearbeitet hätten, sagt die | |
SPD-Obfrau Nancy Faeser. Der Obmann der Linksfraktion, Hermann Schaus, | |
spricht gar von einer „politischen Schutzbehauptung“ der Grünen für | |
Bouffier und den Verfassungsschutz. | |
Natürlich bietet der Ausschuss der hessischen Opposition die willkommene | |
Chance, endlich beherzt die schwarz-grüne Koalition zu attackieren, die | |
bisher so unerwartet wenig Angriffspunkte bot. Doch der Argumentation der | |
hessischen Grünen widerspricht auch Parteifreund Hans-Christian Ströbele, | |
der im NSU-Ausschuss des Bundestags saß. Seine Einschätzung ähnelt den | |
Argumenten der hessischen Opposition. | |
Im Bundestag seien nur vier Zeugen aus Hessen geladen worden, sagt die | |
SPD-Obfrau Nancy Faeser. Der für den Kasseler Mord zuständige Staatsanwalt | |
sei ebenso wenig befragt worden wie die Arbeitsebene des hessischen | |
Verfassungsschutzes – etwa die direkte Vorgesetzte des Verfassungsschützers | |
Andreas T. Es gebe also „jede Menge neue Zeugen“. | |
Der Linken-Obmann ergänzt: „Man muss sehr ernst die Frage stellen, ob die | |
Mord- und Terrorserie hätte gestoppt werden können, wenn sich die | |
Beteiligten anders verhalten hätten.“ Zudem müsse das mögliche NSU-Umfeld | |
in Hessen durchleuchtet werden. „Es gibt viele Hinweise auf Beziehungen | |
zwischen hessischen Nazis und dem NSU“, urteilt Schaus. | |
## Geklärt bleibt Lauschangriff | |
Unklar ist bis heute auch, wie es nach dem Mord in Kassel zu | |
Verdächtigungen gegen den Vater des Opfers kam. Laut dem | |
Bundestagsausschuss wurden Telefone zur „Gefahrenabwehr“ abgehört. Der | |
hessische Verfassungsschutz hatte gewarnt, Ismail Yozgat solle beim | |
Freitagsgebet zur Blutrache am Verfassungsschützer Andreas T. aufgefordert | |
werden. Dann kam heraus: Yozgat hatte an keinem Freitagsgebet teilgenommen. | |
Der Lauschangriff wurde gestoppt. | |
Bis sich der Ausschuss solchen Fragen widmet, wird es noch dauern. In der | |
Sitzung am Donnerstag treten zunächst Sachverständige auf. Die Opposition | |
hat die Journalistin Andrea Röpke und den Rechtsextremismus-Forscher Hajo | |
Funke benannt. Schwarz-Grün hat einen ehemaligen Verfassungsschützer | |
geladen, der vor allem als Linksextremismus-Experte bekannt geworden ist. | |
Die Grünen verteidigen die Personalie: „Wir wissen zwar, dass er einen | |
Schwerpunkt im Bereich Linksextremismus hat“, sagt Obmann Frömmrich, „aber | |
immerhin hat er auch im NSU-Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtages | |
ausgesagt und war für die Expertenkommission in Baden-Württemberg | |
vorgesehen.“ | |
18 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Astrid Geisler | |
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Martina Renner | |
Beate Zschäpe | |
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