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# taz.de -- Fotoausstellung Vivian Maier in Berlin: Ein menschlicher Blick
> In den 50er Jahren erforschte das Kindermädchen Vivian Maier New York und
> Chicago. Ihre Fotografien sind aufsehenerregend.
Bild: Negative von Vivian Maier.
Gerümpel steht am Straßenrand zwischen hohen Backsteinmauern, ein schmaler
Spiegel wird weggetragen. In ihm sieht man im Rücken des Arbeiters eine
große Frau mit kleinem Hut, eine Kamera um den Hals. Sie lächelt. Das
Lächeln ist ein sehr seltener Moment unter den vielen Selbstbildnissen von
Vivian Maier.
Ihre Selbstporträts bilden den Auftakt in der Ausstellung „Vivian Maier –
Street Photographer“ im Willy-Brandt-Haus in Berlin. Sie fotografiert ihr
Spiegelbild in Schaufenstern, Zigarettenautomaten, Lampenschirmen im Gras.
Man sieht eine große hagerere Frau mit kleinem Hütchen, stupsnasig, ernst,
meist konzentriert in den Sucher ihrer Rolleiflex nach unten blickend.
Keine Spur von Pose oder Koketterie, und doch ein Bedürfnis danach, sich
anzuschauen, ein wenig bedrückt manchmal. Eine einsame Frau, denkt man bei
diesen Bildern aus den 50er Jahren, und wahrscheinlich war Vivian Maier
(1926–2009), die ihren Lebensunterhalt viele Jahre lang als Gouvernante in
New York und Chicago verdiente, das auch.
Ein Super-8-Film ist in der Ausstellung zu sehen, von 1973, von Rindern und
Schafen auf dem Schlachthof von Chicago. Nach Vivians Maiers Tod, als der
junge Enthusiast John Maloof ihre meist unentwickelten Negative entdeckt,
150.000 geschätzte Aufnahmen, sucht er nach Menschen, die sie kannten, und
macht mit ihnen den schönen [1][Dokumentarfilm „Finding Vivian Maier“].
## Auf alles richtete sie ihren Blick
Eine Frau erinnert sich darin, wie ihr Kindermädchen sie mit großen
Schritten auf ihren Ausflügen in die Stadt hinter sich herzerrte, auch zu
den Schlachthöfen. Man kommt nicht umhin, über das Exzentrische und Bizarre
im Leben dieses Kindermädchens nachzugrübeln, das ein Leben lang
leidenschaftlich fotografierte, seine Bilder aber kaum zeigte. Aber diesen
Punkt überwindet man bald angesichts ihres Werkes, das jetzt in mehreren
Wanderausstellungen um die Welt tourt.
Da sind die glamourösen Momente, die sie den pompös auftretenden älteren
Damen im Pelz, die sich ihr zuwenden, genauso zugesteht wie einer jungen,
schwarzen, mit sorgfältiger Eleganz gekleideten Frau in einem Wartesaal. Da
sind die humorvollen Momente, wie der Blick auf einen Mann im
Nadelstreifenanzug, der hinter dem Steuer seines Wagens schläft, oder auf
ein Paar Füße, die zwischen den Konservendosen in einem Schaufenster
irritieren.
Vivian Maier blieb bei ihren Ausflügen mit Schützlingen und Kamera nicht in
den Villenvierteln ihrer Arbeitgeber, sie durchstreifte alle Viertel der
Stadt, interessierte sich für Betrunkene im Rinnstein oder den Streit einer
Frau mit einem Polizisten. Wie sehr ihr Blick dabei oft von Verständnis und
Menschlichkeit geprägt war, erzählen gerade ihre Bilder von Kindern, die
der Fotografin trotzen, Arme verschränkt, Tränen mit Dreck verschmiert, mit
einem Blick, der ein bisschen böse ist.
Aufsehen erregt die Entdeckung dieses so lange ungesehenen Werkes unter
Fotoprofis und Fans aber auch durch seine ästhetische Qualität: wie sie
Schatten und hartes Sonnenlicht zwischen den Hochhäusern New Yorks zur
Akzentuierung nutzt, wie vielfältig sie Nähe und Distanz spannungsreich ins
Verhältnis setzt, wie gut die Bildausschnitte auf das Motiv fokussieren.
Die Sicherheit, mit der sie sich entschied, wann sie auf den Auslöser
drückte, geht weit über Amateurwissen hinaus. Dieses hohe künstlerische
Vermögen, das sich ohne Ausbildung, ohne Kontakt zu anderen Künstlern
entwickelte, verborgen vor ihrer Umwelt, bringt ein Erstaunen vor, das der
Neugierde auf ihr Werk zugute kommt. Ihre erste Ausstellung in Berlin ist
zu einem gut besuchten Magneten geworden.
27 Feb 2015
## LINKS
[1] http://findingvivianmaier-derfilm.de/
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
## TAGS
Berlin
Chicago
New York
Fotografie
Nazis
Fotobuch
Buch
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