# taz.de -- Fotobuch "Soul of Hamburg": Auf der Straße | |
> „Soul of Hamburg“ nennen sich Nino Vela und Daniel Nide, zwei junge | |
> Fotografen, die ohne Inszenierung und ohne Absprachen den Geist der | |
> Straße einfangen wollen. Und dabei fast keine Kompromisse einzugehen | |
> bereit sind. | |
Bild: Der öffentliche Raum dürfe nicht in viele kleine Privatsphären zerfall… | |
Erstaunlich, dieses Hamburg, das man da sieht, man trifft da Leute, die | |
bunter sind, sonderbarer, exzentrischer. Eine Frau mit Pandakopf, geführt | |
von einer Frau, die einen Kinderwagen schiebt. Ein Mann in Jeans und | |
Turnschuhen und einem Kreuz um den Hals, der an einer U-Bahn-Station den | |
Kopf in die Hände vergräbt, ein Polizist und ein arabisch-stämmiger Mann, | |
die aneinander vorbeigehen, der Polizist alt und schmal in schwarzer | |
Uniform, der andere im weißen Hemd wirft einen Blick von schräg unten, | |
skeptisch, schwer zu deuten. „Soul of Hamburg“ haben Nino Vela und Daniel | |
Nide ihren Fotoband genannt, eigentlich müsste es „Souls of Hamburg“ | |
heißen, sagen sie. | |
Aber viel öfter sprechen sie ohnehin von Straßenfotografie, wenn sie über | |
ihre Arbeit reden, und sie tun das mit einer Begeisterung, die man für eine | |
neue Liebe hat und für ein Kind, das nicht so blonde Locken hat wie die | |
Geschwister, aber dafür einen Charakterkopf. Und vielleicht hängt es auch | |
damit zusammen, dass sie Mitte, Ende zwanzig sind und ohne die | |
Vorstellungen, einen karrieretauglichen Weg einschlagen zu müssen. Sie | |
sagen nicht „Street photography“, was vielleicht hipper klingen würde, aber | |
Straßenfotografie passt besser zu dem, was sie machen. „Leute, die hier | |
leben und arbeiten und den Kram machen“, sagt Daniel dazu. Es sind in der | |
Tat Leute, die den Kram machen, eine alte Frau am Kassenschalter, | |
Bauarbeiter auf dem Gerüst, ein junger Mann in Weste und weißem Hemd, der | |
einen Sarg ins Auto schiebt, und schemenhaft darüber zu erkennen, ein Mann | |
am Fenster im Erdgeschoss, der ihm dabei zusieht. Die Seele der Stadt – | |
zumindest der Stadt, die Nino und Daniel wahrnehmen – lebt nicht an der | |
Außenalster und trägt keine Burberry-Jacke. Genau betrachtet, sind es | |
eigentlich selten Arbeitende, die man auf den Bildern sieht. Es sind | |
Menschen, die herumstehen, die Plastiktüten nach Hause tragen, es sind zwei | |
Männer, einer im Kaftan, einer in Shorts, die durch die Lücken in einem | |
Zaun spähen, es sind zwei Frauen, die an einer besprühten S-Bahn | |
vorübergehen, eine trägt einen schwarzen langen Mantel und hochgesteckte | |
Haare und sieht aus wie eine Hexe. | |
Das Erstaunliche an diesen Bildern ist, dass sie Ruhe und Bewegung zugleich | |
vermitteln, vielleicht verraten sie darin etwas von ihrer Entstehung, die | |
oft nebenbei geschieht, wenn die Fotografen eigentlich auf dem Weg zu einem | |
Termin sind und etwas entdecken, das sie festhalten müssen. Die Kameras | |
haben sie immer dabei, es klingt so, als würden sie unruhig, sobald sie | |
ohne aus dem Haus gingen. Dass die Fotos oft nebenbei entstehen, ist nicht | |
Konzept, aber es scheint ihnen gut zu tun: die eine Serie, die gezielt | |
entstanden ist, die Hände von Menschen, die sich in Bussen festhalten, ist | |
viel weniger zwingend. | |
Daniel Nide und Nino Vela haben ein gewisses Understatement, wenn sie über | |
ihre Arbeit sprechen, das nichts Englisches an sich hat, es wirkt nicht | |
verspielt, eher sachlich. Ursprünglich haben sie ihre Bilder gezeigt, ohne | |
dass ihre Namen dabei auftauchten, die Fotos sollen für sich sprechen und | |
nicht eine Trophäe im Selbstvermarktungs-Zirkus sein. Aber es ist kein | |
Understatement, was die Ernsthaftigkeit anbelangt. Sie haben sich das | |
Fotografieren selbst beigebracht, Nino hat damit begonnen und sein Wissen | |
dann an Daniel weitergegeben, oft sind sie zusammen zum Fotografieren | |
unterwegs und in ihrem Fotoband ist nicht ersichtlich, wer welches Bild | |
gemacht hat. Ihre Ausstattung ist, vorsichtig gesagt, einfach – Nino hat | |
jahrelang mit einer kaputten Kamera fotografiert, bei der etwa jedes zehnte | |
Foto etwas wurde. | |
## Verdammt viel Arbeit | |
Vielleicht ist es bei ihnen so wie bei vielen, die etwas um seiner selbst | |
willen tun, es lässt sich leichter sagen, was sie nicht wollen: Sich einen | |
großen Namen machen, reich werden. Es wäre schön, sagen sie, davon leben zu | |
können, aber das ist aussichtslos und das passt zugleich zu diesem Genre, | |
das direkt daher kommt und das den Blick und das Können, das dahinter | |
steht, indirekt zeigt. Es gibt einen Fotografen, Jerry Mermelstein, den sie | |
gern zitieren, wenn es heißt, dass diese Fotos doch reine Glückssache | |
seien. Mag sein, hat Mermelstein geantwortet, aber es erfordert verdammt | |
viel Arbeit, dieses Glück zu bekommen. | |
Es gibt einen Punkt, an dem man sehr genau merkt, was Nide und Vela die | |
Straßenfotografie bedeutet: wenn es um die rechtlichen Fragen geht. Da | |
werden sie sehr entschieden, entschieden nämlich, sich in einen Graubereich | |
zu begeben, wenn es um das geht, was man juristisch, Recht am eigenen Bild | |
nennt. Eigentlich müssten sie nämlich all die Menschen, die auf ihren Fotos | |
wiedererkennbar sind, um ihr Einverständnis bitten. Das funktioniert in der | |
Praxis selten. Vorab nicht, weil das bedeuten würde, dass die Leute ihr | |
Fotografiergesicht aufsetzen, und hinterher nicht, weil sie und die | |
Fotografierten längst eilig in unterschiedliche Richtungen laufen – und | |
vielleicht auch, weil sie die Bilder nicht aufs Spiel setzen wollen. „Der | |
öffentliche Raum darf unserer Meinung nach nicht in viele kleine | |
Privatsphären zerfallen“, sagen Nino und Daniel und werden unvermittelt | |
sehr grundsätzlich. | |
## Eine spielerische Szene fehlt | |
Bei „Soul of Hamburg“ hat der Anwalt des Verlags sie dazu bewegt, ein paar | |
der riskantesten Bilder herauszunehmen, riskant sind Paare – einerseits | |
intim, andererseits möglicherweise mit einer Affäre unterwegs – und Kinder. | |
Bei einem Bild hat es sie besonders geschmerzt: es zeigt einen Vater, der | |
seinen kleinen Sohn auf dem Arm trägt, der Sohn ist unfroh und zieht den | |
Vater am Bart. „Es ist eine ganz spielerische Szene“, sagt Daniel Nide und | |
man hört, wie ungern er darauf verzichtet hat. | |
Man kann darüber streiten, wessen Interesse hier wichtiger ist, wie | |
eigenmächtig man hier entscheiden darf. Sicher ist, dass Nide und Vela | |
entschlossen sind, weiter Straßenfotografie so zu betreiben, wie sie | |
richtige Straßenfotografie verstehen: ohne Inszenierung, ohne Absprachen. | |
Und – ohne dass das eine Rolle für die Rechtmäßigkeit spielte – kann man | |
doch sagen, dass sie selbst versuchen, den öffentlichen Raum, den sie | |
einfordern, zu schaffen. Ihre Fotos haben sie lange an Brücken, Wände und | |
Unterführungen gehängt, versehen mit einem Zettel, dass man die Bilder bei | |
Interesse gern mitnehmen könne. Bei einer dieser Freiluft-Ausstellungen | |
haben sie Holger Krauss kennengelernt, der ihnen seine Karte gab. Projektor | |
stand drauf und verwies auf einen Raum auf St.Pauli, den Krauss für Kunst | |
aller Art geöffnet hat. Dort hatten sie ihre erste Ausstellung unter festem | |
Dach und es scheint logisch, dass der Weg von dort halb unabsichtlich zu | |
ihrer ersten Veröffentlichung führte: Krauss hat einmal in einem Nebensatz | |
den Gudberg Nerger Verlag erwähnt, Wochen später sind Nide und Vela an der | |
Adresse vorbeigekommen und erinnerten sich, dass dort Fotografie verlegt | |
werden sollte. Sie gingen hinein, fragten nach Straßenfotografie. Bislang | |
nicht, sagte der Verleger, aber vielleicht in Zukunft – und so entstand das | |
Buch. Ihre Namen findet man ganz hinten, noch hinter der Bestellnummer. | |
Davor findet man sehr, sehr gute Fotos. | |
## Daniel Nide und Nino Vela: Soul of Hamburg, Gudberg Nerger 2015, 152 S., | |
29,90 Euro | |
3 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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Agentur Ostkreuz | |
Berlin | |
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