# taz.de -- Persönlichkeitsrecht versus Kunstfreiheit: Nicht immer vorteilhaft | |
> Eine Frau entdeckt sich selbst auf einem öffentlich ausgestellten Foto | |
> und verklagt den Urheber. Aber ist doch Kunst!? Die Rechtslage ist | |
> diffizil. | |
Bild: Grenzwertiges Motiv: Weiß der Mann mit der grünen Jacke, dass er in die… | |
Irgendwann war die Frau im Leopardenmantel dann einfach weg. Abgehängt, ihr | |
Foto in der Berliner C/O-Galerie. Doch auch das war ihr noch nicht genug. | |
Im Mai 2013 hatte der Berliner Fotograf [1][Espen Eichhöfer] ein Bild von | |
ihr gemacht. Für seine Fotoserie „A nach B“, die Straßenszenen und | |
Passanten an einer belebten Kreuzung am Charlottenburger Bahnhof Zoo in | |
Berlin zeigte. Alltag, hektisches Umsteigen, arm und reich nebeneinander. | |
Als Eichhöfer seine Bilder in der C/O-Galerie ausstellte, entdeckte die | |
Frau sich. Sie bestand darauf, dass das Bild aus der Galerie entfernt wird. | |
Und verklagte Ausstellungsstätte und Fotografen. | |
Von einem „mürrischen Gesichtsausdruck“ ist in der Anklageschrift zu lesen | |
und von „unvorteilhaften Falten ihres Kleides im Bauchbereich“. Und, dass | |
sie einer Ausstellung der Bilder nicht zugestimmt habe. 5.500 Euro | |
Schmerzensgeld wollte sie dafür haben. Verletzte Persönlichkeitsrechte. | |
Vielleicht auch verletzte Eitelkeit. | |
Fotograf Eichhöfer wehrte sich. Berief sich auf Kunstfreiheit. Sein Anwalt | |
argumentiert mit der „Unmittelbarkeit des Blicks“, mit einem „Anspruch an | |
die Wahrhaftigkeit des Bildes“. Fotos von Straßenszenen zeigen Menschen | |
häufig nicht so, wie sie sich lächelnd und vorteilhaft in Pose geworfen | |
vielleicht gerne sehen. | |
Die Rechtslage in Deutschland ist etwas schwammig. Das Kunsturhebergesetz, | |
in Kraft seit 1907, als sich die Erben Bismarcks die Veröffentlichung eines | |
Fotos des Reichskanzlers auf dem Totenbett verhindern wollten, schreibt | |
fest, dass Abbildungen nur verbreitet oder ausgestellt werden dürfen, wenn | |
die abgebildete Person ihre Einwilligung erteilt. Ausnahme: Personen der | |
Zeitgeschichte. Und „Bildnisse, die nicht auf Bestellung angefertigt sind, | |
sofern die Verbreitung oder Schaustellung einem höheren Interesse der Kunst | |
dient“. | |
Nur: Was genau ist höheres Interesse an der Kunst? Ist es an Richtern, die | |
künstlerische Güte einer Arbeit zu bewerten? | |
Im Juni befand das Berliner Landgericht, dass im Fall der Dame mit dem | |
Leopardenfellmantel keine schwere Persönlichkeitsverletzung vorliege. | |
Trotzdem sollen Galerie und Eichhöfer die Prozesskosten tragen – weil die | |
Frau in diesem privaten Lebensvorgang ohne Öffentlichkeitsbezug nicht damit | |
habe rechnen können, „unter Beobachtung der Medien“ zu stehen. | |
## Doppelt oder nichts: Beide Seiten legen Berufung ein | |
Die Klägerin legte Berufung ein – Fotograf Eichhöfer ebenso. Ein Termin für | |
die nächste Verhandlung steht noch aus, im Mai oder Juni könnte es so weit | |
sein. Notfalls will Eichhöfer sich bis zum Bundesverfassungsgericht | |
durchklagen. Um sich das leisten zu können, hat er [2][via Crowdfunding] | |
binnen weniger Tage 14.000 Euro eingesammelt. „Ich denke, dass es wichtig | |
ist, da auch mal eine Rechtssicherheit zu erlangen“, sagt Eichhöfer heute. | |
Der Rechtsstreit mutet fast schon skurril an, in einer Zeit, in der man es | |
kaum bis zum Supermarkt schafft, ohne zufällig von einem Touristen oder | |
einer Selfie-wütigen Horde Teenies versehentlich mitabgelichtet zu werden. | |
Kameras überall, Digitalbilderflut. „Andererseits gibt es auch das | |
Bedürfnis, die Bilder zu kontrollieren“, sagt Eichhöfer. „Mir kommt das | |
auch absurd vor.“ Eine Gesellschaft, in der man zu klagen anfängt, um das | |
kontrollieren zu wollen, wirke „hysterisch“. | |
„Ich kann auch schon verstehen, wenn jemand nicht will, dass sein Bild | |
öffentlich gezeigt wird“, sagt der Fotograf. Aber es gehe eben um die | |
Abwägung, welches Recht schwerer wiege – das am eigenen Bild oder die | |
Freiheit der Kunst. | |
## Die Selbstzensur im Hinterkopf | |
Eigentlich, sagt der Fotograf, der bei der renommierten Agentur Ostkreuz | |
unter Vertrag steht, beeinflusse der Fall seine alltägliche Arbeit kaum. | |
Nur bei einem freien Projekt, an dem er derzeit arbeite, merke er, dass er | |
keine Lust auf einen weiteren Streit habe. Genau hier liegt vielleicht die | |
eigentliche Relevanz des Falles: Wie viel professionelle Alltagsfotografie | |
wäre überhaupt noch möglich, wenn Persönlichkeitsrecht über die | |
Kunstfreiheit gestellt würde? | |
Gäbe es sie noch, die ikonografischen Bilder, die sich tief in das | |
kollektive Gedächtnis eingefressen haben – die Fotos von spielenden Kindern | |
am Mauerstreifen? Das berühmte Urinjogginghosen-Bild aus | |
Rostock-Lichtenhagen? Verzichten Fotografen künftig auf solche Bilder, aus | |
Angst vor Rechtsstreit? Klar dürfte sein: Dass sie jede abgelichtete Person | |
im Vorfeld oder nach einem von unzähligen gemachten Fotos einzeln um | |
Erlaubnis fragen, ist in der Praxis kaum praktikabel. | |
Und was bedeutet das für Fotografien für Medien? „Bei Veröffentlichungen in | |
der Presse ist es noch heikler, noch komplizierter“, sagt Eichhöfer. Denn | |
hier kommen noch weitere Ebenen hinzu: In welchem Kontext steht ein Bild | |
zum Text, was ist der Anlass? | |
Im angelsächsischen Raum ist das einfacher: Wer sich im öffentlichen Raum | |
bewegt, darf fotografiert werden. Anders könnten Alltagsbeobachter wie der | |
Fotograf Martin Parr auch kaum arbeiten. Eine Rechtslage, die auch die | |
Arbeit von Espen Eichhöfer erleichtern würde. | |
26 Mar 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.ostkreuz.de/fotografen/espen-eichhoefer/ | |
[2] http://www.startnext.com/streetphotography | |
## AUTOREN | |
Meike Laaff | |
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