| # taz.de -- Fotoausstellung in Hamburg: Die Welt dahinter | |
| > Es gibt weiche Töne im harten Straßenleben einer Großstadt. Zu sehen ist | |
| > das auf Fotos des New Yorker Fotografen Saul Leiter in den Hamburger | |
| > Deichtorhallen. | |
| Bild: Die Bilder der Großstadthektik sind noch bis Mitte April zu sehen. | |
| Der Fotograf Saul Leiter steht in den Straßen von New York und | |
| fotografiert, er ist ein Teil des Geschehens, aber wenn man seine Bilder | |
| sieht, dann ist da immer etwas, das ihn von der Welt abschottet. | |
| Mal ist es ein Schaufenster, durch das Leiter blickt, mal eine Wand aus | |
| Schneeflocken, mal ein Strauch oder ein Geländer. Hinter den Schaufenstern | |
| und Schneeflocken befinden sich New Yorker Passanten, Briefträger, Damen | |
| beim Shopping. Man könnte sagen, Leiter habe sie aus der Deckung heraus | |
| fotografiert. Aber seine Bilder haben nichts Verdruckstes. | |
| Saul Leiter ist mittlerweile 88 Jahre alt und hat 65 Jahre lang als Maler | |
| und Fotograf in New York gearbeitet. Er bekommt mit 12 Jahren seine erste | |
| Kamera geschenkt und schmeißt mit 23 Jahren sein Studium am theologischen | |
| Kolleg in Cleveland, zieht nach New York und wird Künstler. Ab den späten | |
| 1950er Jahren arbeitet er auch für Modemagazine, aber eigentlich geht es | |
| ihm zeitlebens um die Kunst. | |
| „Ich ging immer davon aus, ich versänke einfach so in Vergessenheit“, sagt | |
| er. Dann aber kommt der späte Ruhm, beginnend durch eine Ausstellungsserie | |
| seiner frühen Farbfotografien ab 1997. Im Jahr 2006 folgte die Monografie | |
| „Early Color“. Und derzeit ist in den Hamburger Deichtorhallen die | |
| weltweite erste große Retrospektive mit über 400 Arbeiten zu sehen. | |
| Die Verantwortlichen in Hamburg macht ihre Ausstellung euphorisch. Leiter | |
| sei ein „endlich entdeckter und nachgeholter Pionier“, mit dessen Werk „d… | |
| Fotogeschichte bereits faktisch umgeschrieben“ sei, findet Kurator Ingo | |
| Taubhorn. Leiters Farbfotos sieht Taubhorn als Beleg, dass der Beginn der | |
| künstlerischen Farbfotografie auf die 1940er Jahre zu datieren sei – und | |
| nicht etwa auf die 1970er Jahre, in denen Leute wie Stephen Shore und | |
| William Eggleston mit ihren Farbfotos berühmt wurden. Außerdem habe Leiter | |
| in seiner Schwarz-Weiß-Fotografie die Grenzen zwischen Street Life, | |
| Porträt, Still Life, Mode und Architektur eingerissen. | |
| Leiter steht mit seinen Bildern vom Straßenleben in der Tradition von Henri | |
| Cartier-Bresson, dessen Street Photography er 1947 im Museum of Modern Art | |
| sah. Anders als Cartier-Bresson aber will Leiter mit seinen Bildern nicht | |
| erzählen, sondern malerische Qualitäten schaffen. Die Farbe dient ihm als | |
| Mittel der Komposition, die Perspektive steht im Dienst des Bildaufbaus. | |
| Saul Leiter verstand sich zeitlebens als Maler und Fotograf. | |
| ## Sonnenschirme, Mauervorsprünge oder Türen im Vordergrund | |
| Leiters Stilmittel, durch etwas hindurch zu fotografieren – seien es | |
| Schaufester oder Schneeflocken –, gibt seinen Bilder Tiefe. Außerdem setzt | |
| Leiter immer wieder Dinge wie Sonnenschirme, Mauervorsprünge oder Türen als | |
| Flächen im Vordergrund ein, um den Blick zu lenken und zugleich das Motiv | |
| im Hintergrund zu abstrahieren. Es zeigen sich Anleihen etwa bei der | |
| Farbfeldmalerei von Mark Rothko, aber auch bei den geometrischen Gemälden | |
| von Piet Mondrian – Letzteren zitiert Leiter in einem Foto namens „Mondrian | |
| Worker“, das einen Arbeiter zeigt, der eine Hausfassade zufälligerweise so | |
| abdeckt, dass sie wie ein Mondrian-Bild aussieht. | |
| Ein weiteres Stilmittel Leiters ist, mit Spiegelungen zu arbeiten. Dazu | |
| nutzt er mal Fenstern, mal Autospiegel oder regennasse Straßen. Leiter | |
| schafft damit eine Atmosphäre des Ungreifbaren, des Unwirklichen und | |
| Verschwommenen im prosaischen Alltag. Mitunter braucht es einen zweiten und | |
| dritten Blick, um sich auf seinen Fotos zu orientieren. Oder die Passanten | |
| verlieren an Präsenz, als wären sie Wesen aus einem Schattenreich. | |
| Leiters Fotos entwickeln eine Poesie des Alltags: Es ist mehr dahinter, als | |
| sich bei vordergründiger Betrachtung zeigt. Die formale Umsetzung des | |
| poetischen Anliegens ist das Durchblicken, Dahinterblicken, Spiegeln, aber | |
| auch der Einsatz der Farbe als geheimnisvolle Bande. Das Grün einer Ampel | |
| im Winter hat bei Leiter so viel Weißtöne wie der Schnee, der sie umgibt. | |
| Der Hut des Passanten hat die Farben des Taxis, in das er gleich steigt. | |
| Die Wirklichkeit hat mehrere Dimensionen, sagen diese Bilder. | |
| Für seine urbanen Farbfotos hat Leiter das New Yorker East Village so gut | |
| wie nie verlassen, seit 1953 wohnt er in der gleichen Wohnung. „Ich nehme | |
| Fotografien in meiner Nachbarschaft auf. Ich glaube, dass wunderbare Dinge | |
| an bekannten Orten passieren. Wir müssen nicht immer ans andere Ende der | |
| Welt rennen“, sagt Leiter. Da er sich zu Beginn seiner Karriere die teueren | |
| Farbfilme und ihre kostspielige Entwicklung nicht leisten konnte, nutzte er | |
| überalterte Filme und billige Emulsionen von Kleinanbietern. Er nahm in | |
| Kauf, dass dadurch die Kontrollmöglichkeiten über das Ergebnis und die | |
| Brillanz der Farben litten. | |
| ## Vielseitiger Künstler: Von Werbefotografie bis Malerei | |
| Seiner malerischen, poetisch entrückten Farbfotografie kam das entgegen. | |
| Obligatorisch war der Einsatz von Farbfilm dann bei Leiters Arbeiten für | |
| die Werbung. Ab 1958 arbeitet er für das Modemagazin Harper’s Bazaar und es | |
| folgen Aufträge von Magazinen wie Esquire, Elle oder der englischen Vogue. | |
| Leiter führt seine malerischen Prinzipien auch in der Modefotografie fort, | |
| allerdings weniger radikal. | |
| Auch Leiters abstrakte Malerei, für die er vor allem wasserlösliche Farben | |
| wie Aquarell oder Gouache verwendet, ist weniger interessant. Es sind | |
| Bilder mit Titeln wie „Seascape“, in denen er Farben und Oberflächen | |
| auskostet, ohne etwas zu riskieren. Ambitioniert wirken diese Bilder | |
| allerdings noch im Vergleich mit den übermalten Aktfotografien, die Leiter | |
| auch hergestellt hat und die einen deutlichen Hang zum Kitsch haben. | |
| Straßenfotografie, Werbung, Akte, abstrakte Malerei, übermalte Akte, alles | |
| das ist in der Hamburger Ausstellung zu sehen und es sind die | |
| Street-Ansichten, die im Gedächtnis bleiben. Es sind die Bilder eines | |
| zurückhaltenden Menschen, der die Reduktion schätzt, das Besondere im | |
| Alltäglichen sucht und so zu einer lyrischen Weltsicht kommt. Seine Bilder | |
| gewinnen einer harten Großstadt weiche Töne ab – und weisen weit über New | |
| York hinaus. | |
| Saul Leiter. Deichtorhallen Hamburg. Bis 15. April. Katalog, Kehrer Verlag, | |
| 49,90 Euro | |
| 5 Apr 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus Irler | |
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