| # taz.de -- Solarindustrie in Thüringen: So produktiv wie sechs Chinesen | |
| > Vor einem Jahr hat Solarworld die Sonnenenergiesparte von Bosch | |
| > übernommen. Von Thüringen aus will es der chinesischen Konkurrenz Paroli | |
| > bieten. | |
| Bild: Auch sein Job wurde gerettet: Arbeiter bei der Solarzellproduktion in Arn… | |
| ARNSTADT taz | Sie sehen aus wie kleine Sputniks oder Weltraumraketen: Die | |
| Kristallisationsanlagen sind fünf bis sechs Meter hohe Säulen mit einem | |
| Durchmesser von rund einem Meter; sie sind weiß ummantelt, und an ihrem | |
| oberen Ende drehen sich ein paar Quader und Kügelchen um die zentrale | |
| Achse, so, als ob die Raumschiffchen versuchen, Kontakt mit Außerirdischen | |
| aufzunehmen. Aber die Dinger fliegen nicht durch den Weltraum, sondern es | |
| sind ganz irdische Anlagen, die Basismaterial für die Solarindustrie | |
| herstellen. | |
| Dass sie jetzt im thüringischen Arnstadt in einer Werkhalle des | |
| Photovoltaikunternehmens Solarworld wieder in Betrieb gehen – das ist für | |
| Firmenchef Frank Asbeck ein Zeichen: „Wir überlassen die Sonne nicht den | |
| Chinesen.“ Auch in Deutschland und in Europa ließen sich Solarmodule | |
| produzieren. Trotz der staatlich gestützten Billigkonkurrenz aus Fernost. | |
| Vor einem Jahr hat das Bonner Unternehmen, ein Pionier der deutschen | |
| Solarindustrie, das Werk in Arnstadt von Bosch Solar übernommen. Es ist ein | |
| riesiges modernes Werk, das seinen Mitarbeitern unter anderem eine Kantine | |
| mit Loungecharakter und Dachterrasse bietet. Für mehr als eine halbe | |
| Milliarde Euro hatte Bosch hier in der Nähe von Erfurt vor einigen Jahren | |
| eine der modernsten Produktionsanlage für Solarzellen und -module | |
| aufgebaut. Dann kam die Solarkrise, und Bosch trennte sich von seinem | |
| Solargeschäft; 1.400 Beschäftigte in Arnstadt standen vor dem Nichts. | |
| Bis Asbeck kam – dessen Firma selbst nur durch einen Schuldenschnitt und | |
| den Einstieg des Großaktionärs Katar überlebte. Im März 2014 übernahm | |
| Solarworld das Werk in Arnstadt von Bosch, das sogar eine Mitgift dafür | |
| lockermachte. Von außen möge es ausgesehen haben, als stütze ein Blinder | |
| einen Lahmen, so Asbeck, aber es sei ein völlig neuer Solarproduzent | |
| entstanden, der zu den zehn größten der Welt gehöre. Nach einem Verlust | |
| 2014 sollen in diesem Jahr im operativen Geschäft schwarze Zahlen | |
| geschrieben werden. | |
| ## 80 Prozent Exporte | |
| Die Marktaussichten seien fantastisch, sagt Asbeck. Weltweit erwartet er | |
| Zuwächse von 20 Prozent in diesem Jahr; und im wichtigen US-Markt, für den | |
| das Werk Arnstadt produziert, sollen es sogar 30 Prozent sein. Dass die | |
| Lage in Deutschland weniger rosig aussieht, trifft die Firma offensichtlich | |
| nicht existenziell. Nur 20 Prozent ihrer Produktion gehen nach Deutschland. | |
| Gleichwohl sagt Asbeck: „In dem Bett, in dem man liegt, will man sich immer | |
| ausbreiten.“ Das gelte insbesondere für den deutschen Markt mit | |
| Kleinanlagen, bei dem es vor allem auf Langlebigkeit und Qualität ankomme; | |
| hier habe Solarworld einen Marktanteil von einem Drittel. Asbeck: „Das | |
| Hausdach ist unsere Heimat.“ | |
| Davon profitiert auch das Solarwerk Arnstadt, in dem nach der Übernahme | |
| rund 830 Bosch-Beschäftigte bleiben konnten. Mit der Wiederinbetriebnahme | |
| der Kristallisationsanlagen werden noch einmal 60 Mitarbeiter eingestellt. | |
| Weltweit hat Solarworld 3.400 Beschäftigte, rund 2.300 davon in | |
| Deutschland. | |
| ## Hoher Energiebedarf | |
| In den Kristallisationsanlagen werden sogenannte Ingots produziert. Das | |
| sind runde Blöcke aus einem Siliziumkristall, die knapp 2 Meter lang sind, | |
| bei einem Durchmesser von 20 Zentimetern. In der Anlage, die an einen | |
| kleinen Hochofen erinnert, wird bei mehr als 1.400 Grad der Kristall aus | |
| flüssigem Silizium gezogen, was rund 60 Stunden dauert. Die Hitze des Ofens | |
| wird elektrisch erzeugt, entsprechend hoch ist der Energiebedarf der | |
| Produktion, die im Rund-um-die-Uhr-Betrieb läuft. | |
| Der fertige Block wird nach dem Abkühlen auf Lkws verladen und zum | |
| Schneiden ins sächsische Freiberg gefahren, rund 200 Kilometer entfernt. | |
| Mit einer Spezialsäge werden dort aus dem Kristallblock hauchdünne Scheiben | |
| geschnitten, sogenannte Wafer, die die Basis der Solarzellen darstellen. | |
| Per Lkw kommen die Wafer nach Arnstadt zurück und werden hier zu fertigen | |
| Solarmodulen weiterverarbeitet. Fünf bis zehn Laster fahren täglich | |
| zwischen dem thüringischen und sächsischen Standort hin und her. | |
| „Mit der neuen Ingotfertigung in Arnstadt bauen wir die Wertschöpfungstiefe | |
| in Deutschland weiter aus“, sagt Asbeck. Spitzenqualität erziele man „nur | |
| an Standorten mit maximalen Qualitäts-, Umwelt- und Sozialstandards, | |
| qualifiziertem Personal und hoher Automatisierung“. Oder anders | |
| ausgedrückt: Ein Thüringer oder Sachse müsse so produktiv sein wie sechs | |
| Chinesen, so Asbeck. | |
| 15 Mar 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Richard Rother | |
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