# taz.de -- Q-Cells stellt Produktion ein: Kein Staat ohne Sonne | |
> Der ostdeutsche Solarzellenhersteller Q-Cells wuchs rasant, dann folgte | |
> der Absturz. Der Traum vom „Solar Valley“ in Bitterfeld ist aus. | |
Bild: Das Schlüsselbrett im Verwaltungsbüro auf dem alten Werksgelände von Q… | |
BITTERFELD taz | „Solar Valley“ steht über der Autobahn, als würden sich | |
gleich hinter der Abfahrt Kokospalmen zeigen. Stattdessen zieht eisgraue | |
Wolkensuppe übers Land. Solar Valley? Nein, das ist kein zweites San José. | |
Das hier ist Thalheim bei Bitterfeld, die Gegend ist platt wie ein | |
Rollfeld. Sechs Meter Höhenunterschied gibt es, wird Bürgermeister Manfred | |
Kressin heute zwar noch korrigieren. Dennoch, „eine Senke“ wäre die | |
passendere Bezeichnung. | |
„Q-Cells streicht radikal Stellen“ – die Regionalzeitung ist schon einige | |
Tage alt und liegt noch auf Kressins Schreibtisch, so als müsse man die | |
Nachricht dosieren. „Von 830 Mitarbeitern sollen 550 gehen. Die verbliebene | |
Produktion wird nach Malaysia verlagert“, steht auf Seite eins. Am 1. März | |
ist Schluss. Im „Solar Valley“ geht die Sonne unter. Eigentlich würde | |
Manfred Kressin lieber über Fußball reden, über Rot-Weiß Thalheim und | |
Grün-Weiß Wolfen. Abwegig ist das nicht. „Q-Cells hat beide Vereine | |
gesponsert“, sagt er. Dann zieht er den Reißverschluss hoch, setzt sich vor | |
der Tür die wollene Mütze auf das verbliebene Haar. | |
Wenn man nach den Anfängen von „Solar Valley“ sucht, kommt man unweigerlich | |
auf Manfred Kressin. Ohne den 71-Jährigen kein Q-Cells, ohne Q-Cells kein | |
„Solar Valley“. Und ohne „Solar Valley“? Man muss Kressin nur ins Dorf | |
folgen, um die Antwort zu wissen. Ohne „Solar Valley“ keine Freilichtbühne, | |
keine Mehrzweckhalle, keine glatten Straßen, kein saniertes | |
Feuerwehrgebäude, keine restaurierte Kirche – und keine 2.700 Arbeitsplätze | |
in einem Ort mit kaum 1.500 Einwohnern. | |
Und da Kressin jetzt auf der Stadiontribüne steht – ohne Q-Cells auch keine | |
Fußballplätze, keine Tennisanlage, kein Stadion. „Das Flutlicht hat | |
Bundesliga-Niveau.“ Kressin weist auf die vier Masten. „Aber es ist noch | |
nicht fernsehtauglich“, schränkt er ein. Derzeit spielt Rot-Weiß in der | |
Landesliga Süd. Acht bis zehn Millionen Euro an Gewerbesteuern habe | |
Thalheim bis zur Gemeindefusion 2007 ausgegeben, resümiert er. Jetzt, am | |
Vormittag, sind die Spielfelder leer. Doch am Nachmittag ändert sich das, | |
versichert Kressin. Zweihundert Kinder trainieren hier, es gibt zwölf | |
Nachwuchsmannschaften. | |
## Das Q hinter den Ställen | |
Die Banden werben für Bitterfelder Bier, für die Kreissparkasse, sogar für | |
Orwo, die alte DDR-Filmmarke. Und für Q-Cells wirbt nichts? Von wegen. | |
Kressin deutet in die Ferne. Ein gewaltiges Q erhebt sich hinter den alten | |
LPG-Ställen. Der Südgiebel der alten Q-Cells-Zentrale mit der | |
Photovoltaikfassade und dem bauchigen Q preist erneuerbare Energie und | |
produziert sie selbst. Doch der Block gehört längst einem anderen Herrn. | |
Das Areal, der Q-Cells-Nukleus, wurde schon 2012 verkauft. Da hatte sich im | |
„Solar Valley“ längst der Himmel verdunkelt. | |
Angefangen hatte es 1999, als Manfred Kressin drei Absolventen der TU | |
Berlin, die keine Lust auf Karriere bei Siemens oder VW hatten, sondern in | |
einem selbstverwalteten Kollektiv über Lösungen für Solarenergie tüftelten, | |
nach Sachsen-Anhalt lockte. Kressin muss sie mit seinem anhaltischen | |
Mundwerk regelrecht belabert haben. Immerhin ging es um 70, vielleicht um | |
140 Arbeitsplätze – bei einer Arbeitslosenquote von 25 Prozent in der | |
Region. | |
Kressin erzählte ihnen von Agfa Wolfen, davon, dass die Leute keine | |
Schwierigkeiten haben mit Industrie und Schichtarbeit und dass die | |
Werktätigen was draufhätten. Was denn, fragte einer. | |
Oberflächenmodifizierung, erwiderte Kressin. Und das im Dunkeln, | |
schließlich haben die mal Filme hergestellt. | |
Als Manfred Kressin das erzählt, ist immer noch Genugtuung zu spüren. Die | |
drei Westberliner haben wohl die Gegend und ihre Menschen unterschätzt, | |
haben gezögert, wollten in ihrem Kreuzberger Biotop verweilen. Doch 2001 | |
beginnen sie mit 19 Mitarbeitern. Was folgt, gehört zum Sagenschatz von | |
Sachsen-Anhalt. Umsatz, Gewinn, Beschäftigte – alles verdoppelt sich von | |
Quartal zu Quartal. Im Oktober 2005 dann der Börsengang. 2007 hat Q-Cells | |
1.700 Beschäftigte. Es war das Jahr, als Thalheim zum „Solar Valley“ | |
veredelt wurde. Von 5.000 Arbeitsplätzen war die Rede, von 10.000 gar, vom | |
ersten DAX-Konzern aus Ostdeutschland und vom Weltmarktführer. Mancher in | |
Sachsen-Anhalt, dessen Landesregierung im Laufe der Jahre 37 Millionen Euro | |
Fördergeld überwies, wähnte sich schon im ersten Sonnenstaat auf deutschem | |
Boden. Und wer sich anstrengte, sah hinter Thalheim schon Zitronen blühen. | |
## Leere Hallen, tiefe Bunker | |
Ein paar Topfpflanzen kümmern in der Zentralpforte der Hanwha-Q-Cells AG | |
vor sich hin. Der Betonbau, der wirkt wie ein verglaster Bunker, ist | |
Endstation für Anfragen. Tiefer hinein geht es kaum. Kein Vergleich zu | |
früher, als Q-Cells ein offenes Haus war wie eine WG in Kreuzberg. | |
Vielleicht zu offen. Noch heute berichten sie hier, wie Besucher aus Asien | |
emsig die Produktion fotografiert haben. „Solar Valley“ ist zur Festung | |
geworden. | |
Mit dem Geld aus dem Börsengang ließ Q-Cells hier auf knapp 200 Hektar | |
Hallen errichten. Zwanzig Prozent der Solarzellen weltweit kamen aus | |
Thalheim. Inzwischen stehen viele Hallen leer. Wirtschaftskrise, | |
chinesische Konkurrenz und Preisverfall ruinierten den Hoffnungsträger. | |
2012 kaufte der südkoreanische Hanwha-Konzern das insolvente Unternehmen. | |
Uwe Schmorl kommt mit schwerer Karosse angeprescht, neben sich den | |
Pressesprecher des Unternehmens. Schmorl ist eine Legende in der Legende. | |
In den achtziger Jahren arbeitete er als Instandhaltungsmechaniker in der | |
Filmfabrik Wolfen, wurde nach der Wende arbeitslos, arbeitete in einem | |
Dämmstoffwerk, wurde wieder arbeitslos. In dieser Situation – er hatte | |
gerade ein Haus gebaut und eine Familie zu versorgen – ließ er sich von | |
Manfred Kressin die Adresse der Kreuzberger Freaks geben. Wenig später | |
gehörte er zu den ersten drei Beschäftigten, wurde dann Produktionsleiter, | |
dann erster Betriebsratsvorsitzender, dann Mitglied im Aufsichtsrat. | |
Der 52-Jährige hat den etwas steifen, schaukelnden Gang, wie er sich bei | |
Arbeitern einstellt, die zu lange ihren Buckel krumm machen mussten. Jetzt | |
sitzt Schmorl in der Zentralpforte im Besprechungsraum, der so kahl wirkt, | |
als wäre er noch nicht richtig eingerichtet. Die Entscheidung des | |
südkoreanischen Mutterkonzerns, in Thalheim die Produktion einzustellen, | |
habe ihn genauso überrascht wie alle anderen, eröffnet er. Dann macht | |
Schmorl seinem Herzen kurz Luft. Man habe hier vom ersten Mitarbeiter, vom | |
ersten Haus an alles mit aufgebaut. Das darf nicht spurlos zu Ende gehen. | |
Sicher, die Kostenfrage war immer ein Thema, doch man habe aufgeholt. Nach | |
Ansicht der Konzernleitung im fernen Seoul nicht genug. Schmorl hat alle | |
Mitarbeiter über die Entlassungen informiert. „Mir geht’s beschissen“, | |
entfährt es ihm. | |
## Ein Ausweis als Andenken | |
Pressesprecher Jochen Endle sind solche Aufwallungen fremd. Endle | |
wiederholt das, was er seit Tagen verbreitet. Hanwha-Q-Cells habe zwar 2014 | |
schwarze Zahlen geschrieben, aber eben nicht in Deutschland. Daher werde | |
die Produktion von Solarzellen im Q-Cells-Werk in Malaysia zusammengeführt. | |
Er betont, dass Forschung und Entwicklung hier verbleiben mitsamt einer | |
kleinen Produktionslinie, um die Massenfertigung zu testen, Arbeit für etwa | |
350 Beschäftigte. Dann steigen die beiden wieder in die Limousine und | |
brausen, von Terminen getrieben, die Sonnenallee hinunter. So heißt die | |
Hauptstraße im „Solar Valley“. | |
Andreas Konieczny hat eine beschaulichere Aufgabe. Eben hat er noch mit der | |
Flex ein bisschen Lärm gemacht. Jetzt zieht der 59-Jährige den | |
Q-Cells-Werksausweis aus seiner Tasche und zeigt ihn her wie ein Andenken. | |
Konieczny war die Nummer 47 und ist immer noch da, wo er für die | |
Sonnensucher gearbeitet hat. Nur Q-Cells ist weg. Konieczny ist Hausmeister | |
im Gebäudeareal mit dem markanten Q in der Fassade, wo das Wunder begann. | |
Seit dem Verkauf 2012 firmiert das Gelände als Gewerbegebiet „Q-Park“. | |
Manches ist vermietet, anderes steht noch leer. Ähnlich wie Schmorl | |
arbeitete sich Konieczny schnell nach oben, zum Schluss koordinierte er den | |
Einsatz der Leiharbeiter. Wie eine Solarzelle hergestellt wird, welche | |
Parameter sie erfüllen muss, welche chemischen Verfahren zum Einsatz kommen | |
– Konieczny, der 26 Jahre bei der Reichsbahn gearbeitet hat, könnte das im | |
Halbschlaf herbeten. Stolz führt er ins menschenleere Foyer, wo in einer | |
Vitrine Solarzellen stecken. Wie aufgespießt stehen sie hinter Glas, | |
mächtigen Faltern nicht unähnlich, und leuchten so typisch tiefblau. Das | |
komme vom Siliziumnitrit, erklärt Konieczny. | |
Als Konieczny dann in der Halle steht, wo aus Glas und Siliziumblöcken | |
Solarzellen wurden und in der es jetzt still ist wie in einer Kirche, | |
seufzt er kaum hörbar „Tja“. 1.600 Beschäftigte arbeiteten hier auf dem | |
Gelände in vier Schichten. Demnächst wird hier die Diakonie | |
Behindertenarbeitsplätze einrichten. | |
## Und Schluss | |
Ende 2011 war Schluss. Konieczny wollte nicht mit aufs neue Werksgelände | |
umziehen. Und vielleicht ahnte er, dass die Nachnutzung der Q-Cells-Flächen | |
das krisenfestere Geschäft wird. Auf der Treppe kommt ihm seine Frau | |
entgegen. Sie erzählt, dass sie damals als 130ste angefangen hat. Der | |
Vorstandschef, der Anton, habe bei ihr am Imbiss immer eine Bratwurst | |
gekauft. Da hat sie ihn dann angesprochen. Erinnerung gerinnt zur Legende. | |
Die Arbeit habe Spaß gemacht, beteuert sie. In den ersten Jahren wollten | |
die Leute gar nicht nach Hause. Man blieb einfach zusammen. Der Anton, der | |
Rainer, die anderen Q-Cells-Gründer saßen alle mitten unter ihnen. Es | |
klingt, als hätte hier der Sozialismus wirklich gesiegt, der in der DDR | |
gepredigt wurde. Jedenfalls für ein paar Jahre. „Das war die schönste Zeit | |
unseres Lebens“, sagt sie dann. Andreas Konieczny nickt ihr still zu. | |
7 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Thomas Gerlach | |
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