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# taz.de -- Aufarbeitung des Polizeieinsatzes: Wie viel Terror drohte in Bremen?
> Die Informationen, auf deren Grundlage die Polizei im Februar von einer
> Gefahr terroristischer Anschläge ausging, sind nach wie vor äußerst
> fragwürdig.
Bild: Rechtfertigungsversuche: Innensenator Mäurer (2.v.l) mit Verfassungsschu…
BREMEN taz | Mehr als zwei Wochen es ist nun her, dass mit einem massiven
Polizeieinsatz Wohnungen durchsucht und Unterlagen sowie elektronische
Datenträger beschlagnahmt wurden. Wer erwartet hatte, dass Bremer
Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) und Polizeipräsident Lutz Müller am
Mittwoch irgendein Ergebnis der Fahndung und der Auswertung der Maßnahmen
bekannt geben würden, der muss enttäuscht sein: Nichts ist offenbar
gefunden worden. Geredet wird über unvorstellbare Pannen, nicht über die
Frage, worum ging es eigentlich bei dem Anti-Terror-Einsatz am 28. Februar.
Immerhin steht in dem gerichtlichen Durchsuchungsbeschluss für die
Gebetsräume des „Islamischen Kulturzentrums“ (IKZ) am Breitenweg, dass ein
Mitglied dieser Gemeinde im vergangenen Herbst „60 Maschinenpistolen, Uzi
und Automatikpistolen Kaliber 38 ... erworben und bis Mitte Dezember 2014
an die dem IKZ nahestehenden Personen verteilt“ habe. Sollte das stimmen,
gäbe es seit Dezember 2014 höchste Terrorgefahr in Bremen.
Ist diese Geschichte am 28. Februar für die Staatsanwaltschaft aufgebauscht
worden, weil ein Durchsuchungsbefehl für sakrale Räume nicht bei geringem
Gefahrenszenario zu bekommen ist? Wenn die Polizei die Wahrheit gesagt
hätte, nämlich: Da sind uns unbekannte Leute am Freitag reingegangen,
deswegen wollen wir am Samstag die Gebetsräume stürmen, dann hätte die
Richterin womöglich gesagt: Warten Sie doch, bis sie rauskommen.
Die Geschichte mit den 60 Maschinenpistolen steht allerdings schon
wortgleich in dem Durchsuchungsbefehl für die Privaträume des
„Hauptbeschuldigten“ Muhamad M. aus Vegesack – und der ist fast acht Woch…
älter, datiert vom 10. Januar 2015. Das macht die Sache noch merkwürdiger:
Trotz der erheblichen Gefahr, die von einer solchen Waffenmenge ausgeht,
hat die Polizei zwei Monate lang weder dessen Wohnung Räume durchsucht noch
den Beschuldigten festgenommen und überprüft. Der Mann wurde überwacht,
auch sein Telefon, da gab es nichts Verdächtiges. Das machte die Polizei
nicht skeptisch, sondern verstärkte den Verdacht – jedenfalls nach dem
Durchsuchungsbeschluss: Der Beschuldigte verhalte sich „konspirativ“, heißt
es da. Da aber auch am 28. Februar bei der Durchsuchung dann nichts
gefunden wurde, war er schnell wieder auf freiem Fuß.
Sein Bruder, der vorbeikam und in die Wohnung zu der Polizei ging mit der
Begründung, er wolle sich um die Kinder seines Bruders kümmern, wurde
gleich auch verhaftet. Und wieder freigelassen, weil ihm offenbar nichts
vorzuwerfen war. Während der Mann zu seiner Mutter fuhr, stürmte die
Polizei in seiner Abwesenheit seine Wohnung und durchwühlte sie. Ohne
Durchsuchungsbefehl. Begründung: Es bestünde „Gefahr im Verzuge“. Falls d…
so gewesen sein sollte - warum hat man den Mann dann vorher auf freien Fuß
gelassen?
Offenbar hatte die Polizei Zweifel an der Geschichte mit den 60
Maschinenpistolen – die Informantin, die die Geschichte aufgrund ihrer
guten Kontakte zu dem Familienclan der Mhallamiye erfahren und dem
Verfassungsschutz erzählt hatte, gilt dort als höchst unseriös.Der
Miri-Clan sollte angeblich als Waffenhändler ins Spiel gebracrden.
Dass der Zugriff dann ausgerechnet am 28. Februar stattfand, wird mit einer
andere Information erklärt: Zwei Tage zuvor soll der Hauptbeschuldigte
Mohamad M. Kontakt zu vier französisch sprechenden Männern gehabt haben,
die „unter anderem über zwei Maschinengewehre Kalaschnikow sowie
Faustfeuerwaffen verfügen“. So steht es in dem Durchsuchungsbeschluss für
die Gebetsräume. Da am Freitag, den 27.2. vier unbekannte Männer in die
Moschee gegangen seien, könnte es sich um diese handeln, man könne sie dort
festnehmen. Die Polizei muss bei der Stürmung des IKZs am Samstagabend
sicher gewesen sein, dass die, falls sie immer noch da sein sollten, ihre
Kalaschnikows nicht dabei hatten – die deutschen Beamten wären sonst ein
tödliches Risiko eingegangen.
Statt der Franzosen wurde ein französisches Auto überprüft – eine Familie
war damit aus Bremerhaven nach Bremen gekommen, um den Dom zu besichtigen.
Die skandalösen Umstände der stundenlangen Ingewahrsamnahme dieser Familie,
zu der vier Menschen im Rentenalter gehörten, die wegen ihres christlichen
Glaubens vor Jahren aus Syrien geflüchtet waren, sind über eine
Dienstaufsichtsbeschwerde ihres Anwaltes öffentlich geworden. (siehe taz
12.23.) Das 14 Seiten lange Papier mit einer detaillierten Schilderung des
Vorfalles lag dem Bremer Innensenator seit dem 4.3.2015 vor – da war sie an
Mäurer „persönlich“ vorab per Fax geschickt worden.
Am 11.3., also eine Woche später, erklärte Innensenator Ulrich Mäurer vor
laufender Kamera bei buten&binnen: „Ob etwas da schief lief, weiß ich
nicht.“ Dienstaufsichtsbeschwerde? Ja, die „prüfen wir“. Mit todernster
Miene redet Mäurer von „Staatsgefährdung“ – dafür habe es „ganz konk…
Hinweise“ auf „dieses Fahrzeug oder jedenfalls den Halter“ gegeben. Schon
diese Formulierung zeigt, dass der Innensenator frei von der Leber weg
schwadronierte. Das war zudem gelogen, und Mäurer konnte es sogar dann
wissen, wenn die Polizei ihm das nicht mitgeteilt hat: Ein Einsatzleiter
der Polizei hatte sich schon am 28.2. spätabends bei der Freilassung der
Familie entschuldigt, so steht es in der Dienstaufsichtsbeschwerde.
Und es gab auch keinen Zahlendreher, wie Mäurer am 12.3. zur Entschuldigung
für seinen peinlichen Fernsehauftritt nachschieben ließ, sondern eine
Ermittlungspanne der Bremer Polizei: Es gibt in Frankreich mehrere
Menschen, die den Namen des Fahrzeughalters tragen – einer von ihnen ist
der Polizei verdächtig, aber nicht der Halter. Diese Version wurde
jedenfalls den Bürgerschaftsabgeordneten am 18.3. erzählt. Mario H., der
das durchsuchte Auto gefahren hat, mag auch das nicht glauben. Ihm habe die
Polizei auf seine Frage, was ihm und seiner Familie denn vorgeworfen würde,
erst erklärt, das Fahrzeug sei als gestohlen gemeldet worden, sagte er zur
taz. Er habe ausdrücklich nachgefragt, ob es wirklich um genau dieses
Kennzeichen gehe – das Auto gehört seinem Bruder. „Keine islamische Familie
heißt so wie wir“, sagt er. Auch das habe er den Polizisten gesagt. Und
dass er als Christ aus einem islamischen Land geflüchtet sei. Später hieß
es dann, nein, nicht das Kennzeichen stehe auf Fahndungslisten, aber es
gebe Hinweise aus Frankreich, „ein blauer Kastenwagen“ werde zum Transport
vom Bomben benutzt.
Nach seiner Freilassung gegen Mitternacht hat Mario H. übrigens nichts mehr
von den Bremer Behörden gehört. Dass der Innensenator die Maßnahme
weiterhin rechtfertigt und gleichzeitig „Unannehmlichkeiten für die
Betroffenen" bedauerte, hat er in der Zeitung gelesen. Entschuldigung?
Nein. Auch bei seinem Bruder in Frankreich, über den öffentlich
schwerwiegende Vorwürfe verbreitet wurden, habe sich niemand von der Bremer
Innenbehörde gemeldet, um zu dem Vorgehen der Polizei abschließend etwas zu
sagen.
18 Mar 2015
## AUTOREN
Klaus Wolschner
## TAGS
Polizei
Bremen
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