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# taz.de -- Deutsch-griechischer Gipfel in Berlin: Der selbstbewusste Bittstell…
> Alexis Tsipras mag keinen Kotau machen – doch er macht deutlich, dass er
> in den Beziehungen zur Bundesrepublik auf Vertrauen statt auf
> Konfrontation setzt.
Bild: Im Gleichschritt? Angela Merkel und Alexis Tsipras vorm Kanzleramt.
BERLIN/ATHEN taz | Um 18.31 Uhr am Montagabend treten Angela Merkel und
Alexis Tsipras vor die Presse. Im Bundeskanzleramt, wo die beiden gerade
mehr als eine Stunde miteinander gesprochen haben, ist der Presseauflauf
riesig. Der Besuch des griechischen Ministerpräsidenten ist aufgeladen mit
Erwartungen, auch Vorurteilen – auf beiden Seiten. Erst vor einer Woche
hatte Angela Merkel ihn eingeladen – auch diese Turbodiplomatie ist ein
Zeichen dafür, wie dringend das persönliche Treffen der beiden ist.
Beide treten der Erwartung entgegen, hier und heute würden Lösungen für die
griechische Finankrise gefunden. „Deutschland ist nicht die Institution,
die darüber entscheidet“, sagt Merkel. Die Gespräche würden geführt in der
Überzeugung, dass Griechenland Teil der Europäischen Union und der Nato
sei. Es ist ein klares Bekenntnis zum Miteinander.
Alexis Tsipras tritt höflich, aber auch selbstbewusst auf. Das
Eurorettungsprogramm sei für die Griechen „keine Erfolgsgeschichte“, sagt
er, „es hatte schreckliche Auswirkungen auf unsere Volkswirtschaft“. Sein
Land brauche nicht immer neue Kredite, „sondern die Chance auf einen
eigenen sozialen Weg aus der Krise“. Weder seien die Griechen Faulenzer
noch seien die Deutschen schuld an der Krise seines Landes. Ein Bittsteller
sieht anders aus.
Eines machen Tsipras wie auch Merkel deutlich: Mit den gegenseitigen
Ressentiments müsse Schluss sein. „Das heutige Deutschland hat nichts mit
dem Deutschland des Dritten Reichs zu tun“, sagt Tsipras unter Verweis auf
eine Schäuble-Karikatur, die den Finanzminister in Tsipras Parteizeitung
als blutsaugenden Nazi gezeigt hatte. „Beide Länder wollen gut
zusammenleben“, sagt Merkel.
Dem Treffen vorangegangen waren jede Menge Spekulationen. Der Erwartung,
der griechische Ministerpräsident würde der deutschen Kanzlerin lediglich
seine erledigten Hausaufgaben annoncieren, hatte Angela Merkel bereits
mehrfach widersprochen. Auch Regierungssprecher Steffen Seibert machte am
Montag noch einmal deutlich, dass die griechischen Finanzen zwar ein Thema
des Gesprächs im Kanzleramt sein würden. „Aber Herr Tsipras hat bereits der
Eurogruppe zugesagt, eine Liste spezifischer Reformen vorzulegen.“ Von
einem bilateralen Treffen wie diesem solle man besser keine
finanzpolitischen Festlegungen erwarten.
## Anlass für politische Gesten
Gleichwohl ist Tsipras Termin in Berlin Anlass für politische Gesten. Jeder
Blick, jede Handbewegung zwischen den beiden Regierungschefs wird bei der
Pressekonferenz im Kanzleramt genauestens registriert. Im Laufe des Montags
waren Details eines griechischen Regierungsprogramms durchgesickert: Alexis
Tsipras soll gemeinsam mit Finanzminister Gianis Varoufakis und
Vizeregierungschef Gianis Dragasakis ein von der Eurogruppe immer wieder
eingefordertes Reformpapier erarbeitet haben.
Jetzt, zu Tsipras Berlin-Visite, werden erste Details bekannt. Und die
überraschen durchaus: Demnach dürfen griechische Arbeitnehmer künftig erst
mit 67 statt mit 65 Jahren in Rente gehen. Die Rente mit 62 soll es nur für
jene geben, die mindestens 40 Jahre lang gearbeitet haben. Sollten diese
Ankündigungen umgesetzt werden, käme dies einem Salto rückwärts gleich –
schließlich hatte Syriza versprochen, am Renteneintritt nicht zu rütteln.
Der Maßnahmenkatalog beinhaltet zudem eine Erhöhung der Mehrwertsteuer
sowie Steuern auf Tabak und Alkohol. Doch nicht nur den Armen soll genommen
werden, sondern auch den Wohlhabenden: Die Steuerbehörden wollen in den
kommenden Tagen alle Griechen mit Schwarzgeldkonten im Ausland auffordern,
sich freiwillig zu stellen. Etwa 3,7 Millionen Griechen sollen dem Staat
gigantische 76 Milliarden Euro vorenthalten haben.
Ist es das nun, das Reformpapier, auf das alle gewartet hatten? Können in
den nächsten Tagen oder Wochen endlich die ersehnten Euros nach Athen
fließen? Tatsächlich ist das Papier ein deutliches Zeichen für Athens
Reformanstrengungen. Die Frage ist aber, wie schnell die Punkte
durchgesetzt werden können. 7,2 Milliarden liegen bei der EZB auf Eis – nun
könnte es heißen: Geld gegen Tempo. Ob Geld fließt, hängt aber nach wie vor
von der Eurogruppe ab und nicht von der deutschen Kanzlerin. Unbenommen
davon wäre Merkel eine starke Fürsprecherin. Bei der Pressekonferenz betont
sie erneut: „Ich bin die Vertreterin eines Mitgliedslandes von 19.“
## Warnbrief von Tsipras
Als gäbe es nicht schon in Berlin genügend Aufregendes, wurde am Montag
auch noch ein Warnbrief von Alexis Tsipras öffentlich, der noch vor dem
Brüsseler Sondertreffen am letzten Freitag an Deutschland, Frankreich und
die EU-Kommission verschickt worden war. In seinem Schreiben vom 15. März
erklärte Tsipras ohne Umschweife, er habe bald nicht mehr die Möglichkeit,
aus eigener Kraft die Verpflichtungen gegenüber den Gläubigern einzuhalten.
„Diese Rückzahlungen allein aus internen Ressourcen zu bestreiten, würde
tatsächlich die ohnehin schon geschwächte griechische Sozialwirtschaft in
einen weiteren Niedergang stürzen – eine Perspektive, die ich nicht
tolerieren werde“, schrieb er. Seiner Regierung bleibe keinerlei Spielraum
mehr. Es falle „schwer zu glauben, dass unsere Partner meinen, dass unter
solch restriktiven und erdrückenden Bedingungen – einschließlich des
finanziellen Würgegriffs, in dem meine Regierung derzeit steckt – ein
erfolgreicher Reformkurs gefahren werden könnte.“
Die Opposition in Athen warf Tsipras daraufhin vor, er würde im Ausland um
Geld betteln, während er im Inland alle Probleme abstreite. Ein Vorhalt,
den der Regierungschef bei der Pressekonferenz im Kanzleramt nachdrücklich
zurückwies.
Schon an diesem Dienstag wird es unmittelbar weitergehen mit Alexis Tsipras
Berlin-Tournee. Die diplomatische Etikette ließe eine Begegnung mit dem
Vizekanzler und SPD-Vorsitzenden geboten erscheinen, möglicherweise auch
mit Sigmar Gabriels Fraktionschef Thomas Oppermann. Doch von einem solchen
Treffen ist, ungewöhnlich genug, bis zum Abend nirgendwo die Rede. Fände es
nicht statt, wäre dies durchaus ein Affront.
Die Verabredung mit der befreundeten Linkspartei ist dagegen schon perfekt.
Tsipras trifft sich mit Fraktionschef Gregor Gysi und Parteichefin Katja
Kipping. Auch die Grünen-Spitze wird mit Tsipras sprechen. Parteichefin
Simone Peter erklärte, man werde an diesem Dienstag mit ihm über „einen
Green New Deal in Griechenland und Europa“ reden. Green und new – das
klingt gut. Doch Tsipras hat aktuell wohl eher andere Sorgen.
23 Mar 2015
## AUTOREN
Anja Maier
Jannis Papadimitriou
## TAGS
Alexis Tsipras
Tsipras-Besuch
Austeritätspolitik
Griechenland
Deutschland
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Streitfrage
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Griechenland
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