# taz.de -- Debatte Konflikt im Jemen: Riads seltsame Freunde | |
> Viele Medien berichten tendenziös über den Konflikt im Jemen. Sie | |
> übersehen die Verantwortung des Westens für die Eskalation des Konflikts. | |
Bild: Keine guten Aussichten für den Jemen. | |
Die Huthi hatten ein großes Zelt auf dem „Platz des Wandels“, wo die | |
jemenitische Revolution ein Jahr lang kampierte, 2011 bis 2012, mitten in | |
der Hauptstadt. Am Nachmittag die ortsübliche Männerrunde, eine Wange | |
vollgestopft mit zerkauten Qat-Blättern. Die Huthi guckten dazu | |
Märtyrer-Videos. | |
Tote hatten sie reichlich: Ali Abdallah Saleh, Jemens Langherrscher, der | |
gemeinsame Feind von allen auf dem „Platz des Wandels“, hatte gegen die | |
Huthi-Bewegung sechs brutale Kriege geführt. Nicht etwa wegen der Religion: | |
Auch Saleh ist ein Zaidit, wie die örtlichen Schiiten genannt werden. 40 | |
Prozent der Jemeniten zählen dazu. | |
Von „schiitischen Rebellen“ zu sprechen, wie es die meisten Medien jetzt | |
tun, ist deshalb irreführend. Die Huthi, die sich selbst als Ansar Allah | |
(„Verteidiger Gottes“) bezeichnen, sind als politisch-soziale Bewegung | |
gegen die Marginalisierung von Jemens Nordwesten entstanden. | |
Während der Revolution zählten sie zu den neuen politischen Akteuren auf | |
der nationalen Bühne, wie die Jugend und die Bewegung des Südens. Gemeinsam | |
verlangten sie die Ablösung der alten korrupten Elite, insbesondere des | |
Clans von Saleh. Er und sein Sohn sollten sich auch für Kriegsverbrechen in | |
der nordwestlichen Stadt Saada verantworten. | |
## Stabilität statt Demokratie | |
Es kam anders. Das Konstrukt, das die internationale Gemeinschaft – | |
Saudi-Arabien, USA, EU – Jemen auferlegte, zielte auf sogenannte | |
Stabilität, nicht auf Demokratie und Neubeginn. Die Revolutionäre, darunter | |
die Huthi, wurden beiseitegeschoben zugunsten der alten Elite. Saleh bekam | |
Immunität garantiert; sie wurde die Basis seines Wiederaufstiegs. | |
Heute, viele Runden später, zeigt der Jemen: Das Demokratieverlangen derart | |
abzuwürgen hat auch der Stabilität nicht gedient – im Gegenteil. Die | |
westliche Politik ist im Jemen gescheitert, genauso wie anderswo. Aber | |
dieser Gedanke ist zu unbequem. Darum wird der Jemen lieber religiös | |
erklärt: sunnitisch-schiitisch, da hat jeder Journalist seine Schublade. | |
Nur passt der Jemen da ganz schlecht rein. Denn die Grenze zwischen den | |
beiden muslimischen Konfessionen ist hier so porös wie nirgends sonst. | |
Das liegt an den Zaiditen. Sie haben ihren Namen von einem Ururenkel des | |
Propheten, den sie im innermuslimischen Nachfolgestreit als fünften Imam | |
anerkannten. Mit dieser Entscheidung verabschiedeten sie sich vom | |
schiitischen Mehrheits-Tross – bevor es überhaupt eine religiöse Doktrin | |
der Schiiten gab. Als kleine Strömung auf sich selbst gestellt, hatten die | |
Zaiditen viel Freiheit des Denkens. Sie brachten eine bemerkenswerte | |
intellektuelle Geschichte hervor, zunächst in einem Kleinstaat in Nordiran, | |
am Kaspischen Meer, und ab dem 10. Jahrhundert dann im Norden Jemens, mit | |
der Hauptstadt Saada. | |
## Mythos „Shiitische Moschee“ | |
Die Theologie der Zaiditen war verwandt mit einer rationalistischen Schule | |
der Sunniten: den sogenannten Mutaziliten. Sie betonten vor allem die | |
Willensfreiheit des Menschen; heutige muslimische Reformdenker knüpfen | |
deshalb bei ihnen wieder an. Damals indes gingen die Rationalisten bei den | |
Sunniten nach dem 11. Jahrhundert unter – nur bei den Zaiditen lebte ihr | |
Erbe weiter. Von diesem erstaunlichen Kulturtransfer über große Distanzen | |
hinweg zeugen im Jemen heute etwa 50.000 alte Manuskripte. | |
Dieser Ausflug in die Vergangenheit war nötig, um zu verstehen, warum | |
gerade die Zaiditen für das Medienmuster vom schiitisch-sunnitischen | |
Religionskrieg wenig taugen. Manche ihrer Gelehrten stehen den Sunniten | |
sehr nahe. Deshalb beten im Jemen die zaiditisch-schiitischen und die | |
sunnitischen Gläubigen in denselben Moscheen. „Schiitische Moscheen“ gibt | |
es nur in den Nachrichten. | |
Lässt sich das jetzige Geschehen trotzdem als Stellvertreterkrieg zwischen | |
Saudi-Arabien und Iran erklären? Anders als die Medien sagen Experten und | |
Thinktanks: Die Huthi werden zwar von Teheran unterstützt, aber nicht | |
gesteuert. Und ihr Vormarsch in den vergangenen Monaten wurde vor allem | |
durch innerjemenitische Faktoren begünstigt: Saleh, dem keine Taktik zu | |
schmutzig ist, hat sich mit den Huthi verbündet und jene Armeeteile, die er | |
weiter kontrolliert, auf ihre Seite gestellt. | |
Die Huthi als Marionetten Teherans zu betrachten macht auch logisch wenig | |
Sinn. Denn warum wäre ihr Vormarsch dann ausgerechnet in die heikle letzte | |
Phase der Nuklearverhandlungen gefallen, in der die iranische Seite ständig | |
bemühte Signale von Entspannung aussendet? | |
## Erzwungene Gegnerschaft | |
Für Saudi-Arabien hingegen macht es großen Sinn, genau zu diesem Zeitpunkt | |
einen Krieg zu beginnen, der die USA zumindest auf diesem Schauplatz in | |
eine Gegnerschaft zu Iran zwingen soll. Nur ist der Ausdruck | |
Stellvertreterkrieg dafür falsch und unangemessen neutral. Wenn das reiche | |
Saudi-Arabien (plus neun Verbündete) dem armen Jemen androht, ihn „solange | |
zu bombardieren, bis er stabil ist“, müsste eigentlich ein Aufschrei durch | |
die Meinungsseiten gehen. | |
Viele Kommentatoren schreiben indes so einfühlsam über die saudischen | |
„Albträume“, vom Iran „eingekreist“ zu werden, als seien sie gerade vom | |
Briefing in Riads Botschaft gekommen. Den Huthi wird sogar unterstellt, sie | |
könnten al-Qaida den Weg nach Saudi-Arabien ebnen – eine wirre Fantasie. Da | |
ist ein alter Reflex am Werk: Saudi-Arabien ist auf Seiten des Westens, ist | |
unser Verbündeter. Und Iranophobie ist in den Medien fest verankert. | |
Aber da ist noch etwas. Der Ton der Nahostberichterstattung ist heute | |
wieder so wie vor Beginn der Arabellionen. Es gibt Mächte, Religion, | |
Geopolitik. Es gibt keine Bevölkerungen, die für Rechte und Teilhabe | |
kämpfen. In der Vorstellung, ein Teil der Jemeniten ließe sich vom fernen | |
Teheran instrumentalisieren, schwingt viel Verachtung mit. | |
Man braucht für die Huthi keine Sympathie zu haben. Zu sehr hat sie die | |
alte jemenitische Krankheit befallen: auf die Waffe setzen und die Waffe | |
sich ihre Verbündeten suchen lassen. Aber der Westen gibt ihnen aus anderem | |
Grund nicht die Hand: Ebenso wie gegen al-Qaida sind die Huthi gegen den | |
amerikanischen Drohnenkrieg. | |
3 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Charlotte Wiedemann | |
## TAGS | |
Zehn Jahre Arabischer Frühling | |
Sunniten | |
Schiiten | |
Jemen | |
UNHCR | |
John Kerry | |
Huthi | |
Vereinte Nationen | |
Zivilisten | |
Iran | |
Ägypten | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Sunniten | |
Huthi | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kämpfe im Jemen: Stündlich schlimmer | |
Der Jemen ist weiterhin das Ziel schwerer Luftangriffe. Die UNO verlangt | |
eine Feuerpause und plant den humanitären Großeinsatz von Afrika aus. | |
Krieg gegen die Huthis: Konflikt im Jemen weitet sich aus | |
Die USA betanken saudische Kampfjets. Der Iran schickt Kriegsschiffe vor | |
Jemens Küste. Russland und Venezuela kritisieren einen Resolutionsentwurf | |
des Sicherheitsrats. | |
Kämpfe im Jemen: „Aden ist eine Geisterstadt“ | |
Bei Gefechten in der jemenitischen Hafenstadt Aden werden 50 Menschen | |
getötet, 17 davon Zivilisten. Laut Augenzeugen dauern die Kämpfe an. | |
Saudischer Luftangriff im Jemen: Russland fordert Feuerpause | |
Die saudischen Luftangriffe gegen die Huthis im Jemen fordern immer wieder | |
zivile Opfer. Moskau will die saudischen Luftangriffe per UN-Resolution | |
stoppen. | |
Saudischer Luftangriff im Jemen: Luft-Boden-Rakete trifft Wohngebiet | |
Der Stellvertreterkrieg im Jemen fordert immer mehr zivile Opfer. Auf | |
Antrag Russlands will sich der UN-Sicherheitsrat am Samstagabend mit dem | |
Konflikt befassen. | |
Kommentar Arabische Liga: Der Jemen interessiert nicht wirklich | |
Die Nachbarstaaten wollen den Jemen mit Bombenangriffen ruhig stellen. Aber | |
wo war die Arabische Liga, als sich al-Qaida dort festsetzte? | |
Reaktion auf die Entwicklung im Jemen: Eine panarabische Armee | |
Bei ihrem Gipfeltreffen vereinbarte die Arabische Liga die Bildung einer | |
Eingreiftruppe. Die saudische Intervention im Jemen ist umstritten. | |
Kommentar Krieg in Jemen: Der Feind eint | |
Saudi-Arabien und seine Verbündeten riskieren einen Flächenbrand. Iran wird | |
nicht zusehen, wie die Arabische Liga die Huthi-Milizen niedermetzelt. | |
Krieg im Jemen: Attacke der „sunnitischen Allianz“ | |
Saudi-Arabiens Luftangriffe auf schiitische Huthi-Rebellen sollen Irans | |
Einfluss schwächen. Zugleich braucht der Westen Iran im Kampf gegen den IS. | |
Analyse der Lage im Jemen: Iran und Saudi-Arabien vor der Tür | |
Keine der militärischen Parteien im Jemen scheint stark genug, es droht ein | |
langer Bürgerkrieg – oder gar eine Regionalisierung des Konflikts. |