| # taz.de -- Kommentar Freihandel: Finanz-TÜV retten | |
| > Die SPD will, dass in Europa alle Finanzprodukte öffentlich geprüft | |
| > werden. Abkommen wie TTIP, Tisa und Ceta können das aber verhindern. | |
| Bild: Bei TTIP geht es um Marktzugang. Proteste im Oktober in Leipzig | |
| Ein Finanz-TÜV, der komplexe Finanzprodukte vor ihrer Zulassung prüft, wäre | |
| ein entscheidender Schritt nach vorn. Viele Finanzinnovationen bringen | |
| keinen zusätzlichen Nutzen für die Realwirtschaft, sondern laden das | |
| Finanzsystem mit unnötigen Risiken auf. Oft werden Finanzinstrumente | |
| geschaffen, um Regulierungen zu umgehen und Steuern zu vermeiden. Derivate | |
| werden zum Beispiel eingesetzt, um steuerpflichtige Gewinne in Bilanzen | |
| zeitlich zu verschieben und das Verhältnis von Fremd- und Eigenkapital | |
| steuervermeidend zu optimieren. | |
| Bereits von 1974 bis 2000 hatte es in den USA einen Finanz-TÜV für | |
| börsengehandelte Derivate gegeben: Ohne Zulassung waren die | |
| Finanzinstrumente illegal und Ansprüche rechtsunwirksam. Die Finanzbranche | |
| hatte die Abschaffung des Verfahrens durchgesetzt. | |
| Mit der Finanzkrise kam der Finanz-TÜV erneut als Vorschlag auf die Agenda. | |
| Unter den Befürwortern befindet sich auch der Wirtschaftsnobelpreisträger | |
| Joseph Stiglitz. | |
| Doch in den geplanten Handelsabkommen TTIP, Tisa und Ceta geht es um | |
| Marktzugang. Finanzdienstleistungen sind ein zentraler Bestandteil aller | |
| drei Abkommen. Die Europäische Union drängt darauf, dass jedes neue | |
| Finanzinstrument aus einem Mitgliedsland der Abkommen auch in allen anderen | |
| Mitgliedsländern zugelassen ist. Genehmigungsverfahren sollen lediglich für | |
| die Anbieter möglich sein, nicht für ein Finanzinstrument selbst. | |
| ## Gesetzgeber und Regulierer in der Defensive | |
| Zusätzlich geraten Gesetzgeber und Regulierer insgesamt in die Defensive. | |
| Statt sie mit einem Mandat für ein realwirtschaftlich produktives und | |
| stabiles Finanzsystem zu stärken, werden sie strukturell geschwächt. TTIP | |
| (EU, USA) zufolge müssen Regulierer nachweisen, dass Reformen die | |
| Finanzbranche nicht mehr belasten als nötig. Bei Tisa (EU, USA, Kanada und | |
| 20 weitere Länder) wird darüber hinaus betont, bisherige | |
| Absatzmöglichkeiten nicht antasten zu wollen. Sogar eine Stillstandsklausel | |
| ist im Spiel: Schutzvorkehrungen, die den Handel bremsen könnten, sollen | |
| auf dem Niveau von vor Abschluss des Abkommens stehen bleiben. | |
| Verbesserungen unerwünscht. | |
| In Ceta (EU, Kanada), das noch dieses Jahr verabschiedet werden soll, | |
| beschränkt sich der Marktzugang für neue Finanzinstrumente zwar auf jene, | |
| die auch nationalen Anbietern erlaubt wären. Jedoch dürfen | |
| Finanzmarktreformen nur dann über internationale Standards hinausgehen, | |
| wenn die Dringlichkeit der Situation es erfordert. | |
| Ziel aller drei Abkommen ist, Regeln, die das Finanzgeschäft behindern, zu | |
| vermeiden. Es geht keineswegs nur darum, internationale Anbieter nicht zu | |
| benachteiligen. | |
| Klagen der Finanzbranche können dabei außerordentlich kostspielig sein – | |
| egal ob vor einem privaten Schiedsgericht oder regulären Gerichten. Das | |
| internationale Geschäft mit Derivaten ist hochlukrativ. Der Löwenanteil | |
| konzentriert sich dabei auf wenige Großbanken. Die US-Bank JP Morgan machte | |
| 2014 im Derivatehandel allein im dritten Quartal des Jahres 2,7 Milliarden | |
| Dollar Gewinn mehr als Rolls-Royce, Henkel oder die Telekom im ganzen Jahr. | |
| ## Vorsorge für Finanzmärkte | |
| Wenn ein Ereignis potenziell schwerwiegende Folgen hat wie eine Finanzkrise | |
| oder Umweltkatastrophe, spricht das für die Anwendung des Vorsorgeprinzips | |
| in der Gesetzgebung. Die Rio-Erklärung der Vereinten Nationen hat das | |
| bereits 1992 für den Umweltschutz formuliert. Das muss auch für | |
| Finanzmarktregulierung gelten. | |
| Statt Gesetzgeber und Regulierer durch Rechtfertigungsdruck gegenüber der | |
| Finanzbranche auszubremsen, kann ein Finanz-TÜV die Beweislast umkehren: | |
| Anbieter müssten den zu erwartenden zusätzlichen Nutzen und die | |
| vergleichsweise geringe Schädlichkeit neuer Finanzinstrumente nachweisen. | |
| Damit wäre zugleich eine sinnvolle Entschleunigung für Finanzinnovationen | |
| geschaffen. Regulierer wären im Vorfeld informiert und müssten Risiken | |
| durch neue Finanzinstrumente nicht mehr ständig hinterherlaufen. | |
| Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), der für die Handelsabkommen | |
| wirbt, hat auf die Vorbehalte seiner Partei mit der Formulierung roter | |
| Linien reagiert. Dazu zählen Sozial-, Umwelt- und Verbraucherstandards, die | |
| er den Handelsabkommen nicht opfern will. Gabriels rote Linie muss auch für | |
| Finanzmarktreformen wie den Finanz-TÜV gelten. Er ist gewählt worden, um | |
| die Vorschläge seiner Partei voranzubringen. | |
| Im Europawahlprogramm der SPD ist die Rede von besseren Regeln für Banken | |
| und Finanzmärkte. Eigenkapitalvorschriften für Banken sollen ergänzt und | |
| Hedgefonds nach Maßstäben des Bankensektors reguliert werden. Auch diese | |
| zukunftsorientierten Reformen werden mit den Handelsabkommen, die alle | |
| Weichen für möglichst niedrige Standards stellen, umso unwahrscheinlicher. | |
| ## Finanzhandel ist ein Selbstzweck | |
| In der sozialdemokratischen Position zu TTIP heißt es: „Handel ist kein | |
| Selbstzweck“ und „Wir sollten die Verhandlungen zu TTIP abspecken, um uns | |
| auf einzelne Handelsbereiche zu konzentrieren“. Finanzhandel ist jedoch | |
| genau ein solcher Selbstzweck, der vor allem der Branche selbst dient. | |
| Die Realwirtschaft braucht keinen zusätzlichen Finanzhandel. Kredite, | |
| Kapital und andere Finanzdienstleistungen gibt es in der EU, den USA und | |
| allen an den geplanten Handelsabkommen beteiligten Ländern mehr als genug. | |
| Auslandsfilialen und -tochtergesellschaften von Finanzunternehmen sind seit | |
| Jahrzehnten gang und gäbe. Privates Finanzvermögen fließt zudem, egal ob | |
| aus dem In- oder Ausland, immer nur dorthin, wo Gewinne erwartet werden. | |
| Die SPD sollte sich dafür einsetzen, Finanzdienstleistungen aus den | |
| Handelsabkommen auszunehmen. Finanzmarktreformen gehören nicht in Abkommen, | |
| in denen notwendige Reformen zuallererst als Handelshemmnis gesehen werden. | |
| Die Gefahr weiterer Finanzkrisen wächst doppelt: zum einen, weil wirksame | |
| Prävention verhindert wird; zum anderen, weil die Risiken mit einer | |
| steigenden Verflechtung des Finanzhandels zunehmen. | |
| 13 Apr 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Suleika Reiners | |
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