| # taz.de -- Kreative Steuerpolitik in NRW: Die Cayman-Inseln am Rhein | |
| > Die Stadt Monheim ist dank Steuersenkung schuldenfrei. Die | |
| > Erfolgsgeschichte eines jungen Bürgermeisters und seiner Partei. | |
| Bild: Im Jahr 2003 war Monheim noch verschuldet, heute werden Kitas und Musiksc… | |
| MONHEIM taz | Der Herr Bürgermeister fährt Hollandrad, eine schwarze alte | |
| Gazelle. Vom Rathaus geht es zum Fähranleger. Dort wartet die „Piwipp“, ein | |
| 46 Jahre altes Boot, um ihn über den Rhein von Monheim nach Dormagen zu | |
| tuckern. Der Fluss glitzert in der Sonne; Paddler queren grüßend. | |
| Monheims Bürgermeister Daniel Zimmermann will mit dem Dormagener Kollegen | |
| bei Kaffee und Mettbrötchen ein gemeinsames Jugendprojekt vorstellen. | |
| Einzeln, erläutert Zimmermann der lokalen Presse, wäre man zu klein gewesen | |
| für die fünfstelligen Landeszuschüsse. | |
| Zusammen habe man die Mindestzahl von 4.000 Kindern unter den Einwohnern | |
| erreicht – für den „Kulturrucksack 2015“– mit Zirkus- und Theaterangeb… | |
| oder dem Bau eines Seeungeheuers aus Treibholz. Die „Piwipp“ wird die Kids | |
| shuttlen. | |
| Aufbruch zu neuen Ufern, und der Termin hat noch eine andere Symbolik: | |
| Dormagens SPD-Bürgermeister Erik Lierenfeld, seit 2014 im Amt, hat mit | |
| seinen 28 Jahren Zimmermann als jüngsten NRW-Bürgermeister abgelöst. Die | |
| beiden tuscheln und kichern zwischendurch ein paarmal. Bei Rheinkilometer | |
| 713, mittig zwischen Düsseldorf und Köln, sind offenbar überall, na ja: | |
| Kinder an der Macht. | |
| ## Eine fordernde Jugend | |
| Daniel Zimmermann, 32, ledig, Hobby: Klassikgitarre, leger von Kopf bis | |
| Fuß; ein ruhiger Zeitgenosse, der immer noch in seiner alten Studentenbude | |
| wohnt, unprätentiös und immer verbindlich mit seinem Grübchenlächeln. 2009 | |
| hatte die Stadt mit 43.000 Einwohnern Schlagzeilen gemacht: Mit 27 wurde er | |
| der jüngste hauptamtliche Bürgermeister in Nordrhein-Westfalen. | |
| Noch bemerkenswerter: Die Wahl gelang nicht im Fahrwasser einer etablierten | |
| Partei, sondern mit der eigenen. „1998 hatten wir vier Schüler, alle 16, | |
| überlegt, was man so anstellen kann.“ Eine Band? Theatergruppe? „Da hat | |
| einer aus einer Laune heraus gesagt: Lasst uns doch ’ne Partei gründen“, | |
| erzählt er, „ich musste dann ins Rathaus gehen und fragen, wie das geht.“ | |
| Gefragt, getan: Man gründete Peto. Lateinisch für: Ich fordere. Die | |
| Gymnasiasten wurden tatsächlich gewählt. 6 Prozent, ein Achtungserfolg. | |
| 2004 waren es schon 16 Prozent, 2009 fast 30. Im Mai 2014, nach den ersten | |
| fünf Jahren Bürgermeister Zimmermann, errang Peto 65,6 Prozent und stellt | |
| seitdem 26 der 40 Ratsmitglieder; Durchschnittsalter: 25 Jahre. | |
| Was will Peto? „Gute Politik machen, immer am Problem orientiert“, sagt der | |
| schlaksige Stadtchef. „Wir sind ein kunterbunter Haufen.“ Ein Moment | |
| Nachdenken: „Ich glaube, bei der Bundestagswahl werden einige von uns Linke | |
| oder Grüne wählen, andere die CDU.“ In der lokalen Steuerpolitik sei man | |
| „sehr wirtschaftsliberal, das freut die FDP“. Und die neue Monheimer | |
| Gebührenfreiheit für Kitas und Nachmittagsbetreuung von Grundschülern komme | |
| einer alten SPD-Forderung nah. | |
| ## Glücksfall Steuernachzahlung | |
| 2011 war Monheim wie viele andere Kommunen hochverschuldet. Zimmermann | |
| senkte den Gewerbesteuerhebesatz radikal, von 435 auf 300 Punkte, später | |
| auf 285, Tiefstwert im Hochsteuerland NRW. Ein Lockmittel, das eine Firma | |
| nach der anderen anzog. Heute ist Monheim schuldenfrei. Und boomt. | |
| Das ist die Kurzversion. Wenn man Zimmermann durch den holzvertäfelten | |
| Rathausflur folgt, vorbei an den Bildern grimmer Respektspersonen an der | |
| Wand – seiner Vorgänger –, erläutert er in seinem lichten Büro, dass | |
| Monheim auch Glück hatte. „Ein großer Player vor Ort“ musste 2011 für vi… | |
| Jahre 40 Millionen Gewerbesteuern nachzahlen. Das war die Basis für die | |
| Wende. Zimmermanns Coup bestand darin, dass er erst die Mehrheit der | |
| Stadträte ins Boot holte. Sie würden die Steuersenkung abnicken, gegen alle | |
| Ideologie, aus Fatalismus womöglich: Hilft ja sonst eh nichts mehr gegen | |
| den Nothaushalt, die komplette Handlungsunfähigkeit. | |
| Gleichzeitig hatte sich Zimmermann bei Dutzenden Firmen, mehrheitlich aus | |
| dem Pharma- und Chemiesektor, Ansiedlungsversprechen geholt. Sie hielten | |
| sich dran. „Ohne Vertrauen geht nichts“, sagt er. Die Einnahmen der Stadt | |
| verzehnfachten sich trotz der Steuersenkung. Für die, die schon da waren, | |
| war die Hebesatzreduzierung wie ein Lottogewinn. Konnte er denen im | |
| Gegenzug satte Spenden abringen? „Hatte ich auch erst gehofft. Nein, ging | |
| nicht. Aber viele sind seitdem deutlich großzügiger bei Sponsoring.“ | |
| ## Die „goldene Mohrrübe“ | |
| Zu Monheims Erfolg gehören auch Neider und ihre Argumente. Stichworte: | |
| Steueroase, Geschenke für die Industrie, Cayman-Inseln am Rhein. Peer | |
| Steinbrück (SPD), zu dessen Wahlkreis Monheim gehört, schimpfte über die | |
| „goldene Mohrrübe“, die die kleine Stadt den Industriebossen hinhalte. | |
| Zimmermann will das entkräften: Die Erträge der umliegenden Gemeinden haben | |
| sich per Sogeffekt ebenfalls erhöht, drei Viertel der Ansiedlungen seien | |
| von außerhalb Nordrhein-Westfalens gekommen. | |
| Ein Haken am Monheimer Modell: Zu den Neuansiedlungen gehören auch | |
| Briefkastenfirmen, die nur Patente und Lizenzen verwalten. Zimmermann | |
| streitet das nicht ab, aber er hat auch ein Gegenbeispiel: „Eine | |
| Düsseldorfer Firma hat ihre Tochter aus Irland zurückgeholt. Hierhin.“ | |
| Indes: „Hardliner und Dogmen sind im Kommunalparlament fehl am Platz. Da | |
| hilft Pragmatismus oft viel weiter.“ Aber, sagt er: „Pragmatismus bedeutet | |
| nicht Beliebigkeit.“ | |
| 2014 wurde Daniel Zimmermann mit 94,6 Prozent wiedergewählt. 94,6! Rot und | |
| Schwarz hatten erst gar keinen Gegenkandidaten aufgestellt. Nur ein Grüner | |
| opferte sich, damit es nicht komplett volkskammerhaft ausgehe. Zimmermann | |
| hatte Mitleid: „Dass er keine Chance hat, wusste er, aber nur 5 Prozent war | |
| wohl doch ein Schock.“ | |
| ## Kita-Neubau, Schwimmbad, Musikschule | |
| Die Brötchen kosten heute in Monheim auch nicht weniger als anderswo. | |
| Zimmermann lächelt. „Aber die Bäcker investieren mehr, einer expandiert | |
| richtig.“ Handwerker seien durch viele Bauvorhaben gut ausgelastet, ob neue | |
| Gewerbe, Bürogebäude, Sanierung oder den städtischen Kita-Neubau. Fünfzügig | |
| für 90 Kinder. Das alte Schwimmbad hat man kernsaniert und eine neue | |
| Musikschule gebaut, für 4 Millionen Euro. | |
| In seiner Neujahrsansprache kündigte Zimmermann Projekte in einer | |
| Größenordnung an, dass man sich als Monheimer im Paradies wähnen könnte: | |
| Schulausbauten, Sportanlagen, Glasfasernetze bis in jeden Keller, | |
| Flüchtlingsunterkünfte. „Wir sind damit nicht überfordert.“ Und es gibt | |
| Geld für vermehrtes Engagement des Jugendamtes in den sozialen | |
| Brennpunkten. Seitdem steigt dort die Gymnasiastenquote deutlich. „Monheim | |
| ist die Hauptstadt für Kinder“, sagt Zimmermann beiläufig. | |
| Kinderfreundlichkeit ist ein weicher Standortfaktor, gefüttert mit harten | |
| Zahlen: Gutverdienende Akademiker in Köln nebenan zahlten leicht an die | |
| tausend Euro für zwei Kinder, da könne man schon rechnen, weiß Zimmermann, | |
| ob man in Monheim ein Eigenheim kauft und vom gesparten Geld über sechs | |
| oder acht Jahre Tilgung und Zinsen bezahlt. „Es gibt eine sehr positive | |
| Stimmung am Ort.“ | |
| „Sehr viel“ habe er gelernt in sechs Jahren, „überall gibt es Einblicke, | |
| die man sonst nicht bekäme.“ Mit Tochterfirmen von Bayer könne man in der | |
| Ansiedlungspolitik gut zusammenarbeiten, aber sehr wohl deren | |
| Kohlenmonoxid-Leitung quer durch die Stadt nach Uerdingen ablehnen. „Da | |
| unterstützen wir die Bürgerinitiativen. Wir können da sehr gut trennen, und | |
| das wissen die Bayer-Leute auch.“ | |
| ## Der lähmende rote Filz | |
| Am späten Nachmittag geht es nach Oberhausen. Zimmermann lenkt einen | |
| betagten Renault, Dienstwagen der heimischen Stadtwerke, durch die Staus | |
| auf der A 3. Eingeladen hat die Mittelstandsvereinigung der CDU zu | |
| Impulsreferat mit Fragestunde über das Märchen von Monheim. In der zur | |
| Hälfte in ein Bistro umgewidmeten St.-Bernardus-Kirche gibt es feurige | |
| Currywurst an Stangenbrot – und viele staunende Gesichter. | |
| Unter den hundert unionsnahen Unternehmern und Politikern wirkt Zimmermann | |
| mit seinen Sneakers, Jeans und Pulli noch jugendlicher. Eloquent berichtet | |
| er von der einst „prekären Lage“ seiner Gemeinde mit ihrer | |
| „Vergeblichkeitsfalle“, weil nichts mehr sinnvoll gegen die | |
| Hochverschuldung erschien. Er gibt mit aufwendigen Grafiken Nachhilfe in | |
| Finanzmathematik über Gemeindefinanzierungsgesetze, Sollsätze, Messbeträge. | |
| Nein, sorry, das Modell sei nicht 1:1 kopierbar. Und überhaupt: „Monheim | |
| ist nur so besonders, weil es in NRW liegt.“ | |
| Oberhausen ist der Gegenpol: die höchstverschuldete Stadt in NRW, | |
| gleichzeitig die mit dem höchsten Steuerhebesatz. Hier trifft Zimmermann | |
| auf Menschen nach altem Muster. Sie schimpfen auf den lähmenden roten Filz | |
| im Ruhrgebiet und wirken selbst gelähmt in ihrer besserwissenden Empörung. | |
| Am Ende holt sich der junge Politiker kopfschüttelndes Lachen ab. „Wir | |
| haben ein Service-Versprechen in der Verwaltung. Liegt zum Beispiel ein | |
| Bauantrag vollständig vor, ist das Thema nach fünf Wochen durch“, sagt er. | |
| Bei uns, meint ein Oberhausener Unternehmer fassungslos, „sin dat manchmal | |
| Jahre“. Zimmermann empfiehlt: Als Stadt müsse man heute verlässlicher | |
| Partner sein und Servicepakete schnüren, für Unternehmen und für Bürger. | |
| Offenbar ist Monheim schon deshalb so gut, weil die anderen so schlecht | |
| sind. Es gebe kein Schulgeld in Deutschland, sagt Zimmermann, warum dann | |
| teils happige Kitagebühren? | |
| 2020 will Daniel Zimmermann wahrscheinlich aufhören. „Ich sehe das nicht | |
| als Lebensaufgabe.“ Um dann in seinen Lehrerjob einzusteigen. Französisch | |
| und Physik hat er studiert. Eigentlich ist Zimmermann jetzt schon zu alt. | |
| Bei Peto gehört er zur „Arbeitsgemeinschaft 30+“. Das ist quasi der | |
| Veteranenclub der Jungeleutepartei, die Entsprechung zu den | |
| Jugendorganisationen der Altparteien. | |
| 16 May 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernd Müllender | |
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