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# taz.de -- Politisches Engagement: Kinder an die Macht
> Daniel Zimmermann ist erst 27 und wurde jetzt zum Bürgermeister in
> Monheim gewählt. Mit seiner Partei Peto zeigt er, dass auch die Jugend
> sich in der Politik engagiert.
Bild: Bei den Kommunalwahlen eroberte der erst 27-jährige Daniel Zimmermann de…
Manchmal, in den wenigen Momenten Ruhe zwischendurch, fragt sich Daniel
Zimmermann, was eigentlich alle von ihm wollen. Radiojournalisten klingeln
ihn aus dem Schlaf, Kamerateams belagern ihn, bei der Polittalkshow "Hart
aber fair" soll er schlaue Dinge über Politikverdrossenheit sagen. Aus ganz
Deutschland erreichen ihn Glückwunsch-Emails. Viele junge Leute schreiben
und ein paar Ältere, sie wollen wissen: Wie habt ihr das hinbekommen? Dabei
hat er doch nur dasselbe gemacht wie in den vergangenen zehn Jahren:
Kommunalpolitik. Und vor einer Woche wurde er eben zum Bürgermeister
gewählt.
Aber Zimmermann weiß natürlich, dass es etwas Besonderes ist. Er ist 27,
seine Partei heißt "Peto - Die junge Alternative", eine Jugendpartei. Er
gewann 30,4 Prozent. Bei der separaten Stadtratswahl lag Peto nur 107
Stimmen hinter der CDU und stellt nun wie diese zwölf Mitglieder im Rat der
Stadt Monheim am Rhein. Durchschnittsalter: 21 - zwei Schülerinnen sind
gerade 18 Jahre alt.
In Monheim, 43.000 Einwohner, gelegen zwischen Köln und Düsseldorf,
passiert etwas, das sonst vermisst wird: Jugendliche interessieren sich für
Politik. Mehr noch: Sie machen Politik, übernehmen Verantwortung - auch
Ältere wählen sie. Warum nur klappt das dort?
Zimmermann stellt sein schwarzes Hollandrad, die "Gazelle", vor dem Rathaus
ab. Mit dem will er weiterhin durch die Stadt fahren - trotz Amt. Er
befürchtet nur, dass er bald nicht mehr so viel Zeit hat mit den Leuten zu
plaudern. Inzwischen kennen ihn alle, auch wenn er ein unauffälliger Typ
ist. Schmales Gesicht, kurze blonde Haare, lockere Haltung.
Er eilt ins kleine Fraktionsbüro im ersten Stock, hängt sein graues Jackett
über den Stuhl und krempelt die Ärmel des rot-weiß gestreiften Hemdes hoch.
Er versucht, Vorurteile aus der Welt zu schaffen. "Wir sind keine
Spaßpartei. Aber das bedeutet nicht, dass wir keinen Spaß haben dürfen." Er
sagt das in einem gelassenen Ton, eine Spur zurückhaltend aber souverän.
"Wir wurden nicht wegen, sondern trotz unseres Alters gewählt". Das mit dem
Alter nervt ihn, schließlich war sein Vorgänger bei Amtseintritt auch nur
drei Jahre älter. Zimmermann hat Französisch und Physik studiert und mit
seiner Doktorarbeit begonnen. Er wollte Lehrer werden. Doch statt vor 30
Schülern zu stehen, führt er bald 500 Mitarbeiter. Davor habe er Respekt -
aber keine Angst.
Als Daniel Zimmermann und vier Mitstreiter an einem Dezemberabend 1998
zusammensaßen, hatten sie keine große Vision. Ihnen war einfach ein wenig
langweilig in ihrer Stadt, in der das Aufregendste ist, dass die Kneipen
sowohl Kölsch als auch Altbier ausschenken. Sie wollten was eigenes machen.
Nur was? Eine Band gründen? Eine Theatergruppe? "Es hätte alles sein
können", sagt Zimmermann. Und weil gerade das Kommunalwahlalter in
Nordrhein-Westfalen auf 16 herabgesetzt wurde, gründete sie eben eine
Partei: Peto, für lateinisch "Ich fordere". Was sie fordern sollten,
wussten sie da nicht so richtig.
Zur Kommunalwahl 1999 hatten sie ein paar Themen gefunden: Ein Nachtbus
sollte her und ein Schülercafé. Für eine Mark kauften sie von der CDU 20
ausgediente Plakatständer und stellten ihre Forderungen damit in der Stadt
auf. Am Wahlabend dann die Überraschung: 6,1 Prozent und damit der Einzug
in den Stadtrat. 2004 wurden aus den zwei Ratssitzen sieben und die
Peto-Fraktion tauschte ihre umgewandelte Besenkammer gegen das Büro der
FDP. Keiner sprach mehr von einer Eintagsfliege. Aus einem Lächeln über die
"Schülerpartei" wurde immer mehr Respekt. Oder gar tiefe Bewunderung.
Der scheidende Bürgermeister Thomas Dünchheim braucht in seinem Büro nur
ein paar Sekunden Anlauf, bis er eine Lobeshymne ansetzt. "Peto ist eine
Bereicherung für die politische Landschaft. Das sind tolle Leute mit
Sachverstand und Intelligenz", schwärmt er. "Die arbeiten sachbezogen und
im Team." Und Zimmermann? Der sei sehr mutig, besonnen, "ein politisches
Riesentalent".
Der 40-jährige Jurist Dünchheim klingt wie seines Nachfolgers größter Fan -
obwohl sein eigener CDU-Schützling bei der Wahl den Kürzeren ziehen musste.
Dünchheim ist CDU-Mitglied, wurde vor fünf Jahren aber als unabhängiger
Bewerber für eine zweite Amtszeit gewählt. Bis zur Amtseinführung Ende
Oktober will er dem Neuen zeigen, wie das so funktioniert mit der Macht im
Rathaus.
Nicht alle sind dem neuen Bürgermeister so wohlgesonnen. Die SPD-Kandidatin
Ursula Schlößer, die mit 19 Prozent unterging, ist skeptisch: "Ihm fehlt
die Erfahrung mit einer Verwaltung." Aber die, die Zimmermann länger
kennen, seine Freunde aus der Partei etwa, haben keinen Zweifel, dass er es
packen wird. Weil er integriere und nicht die Konfrontation suche.
Zimmermann benutzt gern den Begriff "Verantwortung", will aber nicht zu
angepasst wirken. "Auf unsere Art sind wir schon sehr revolutionär",
beteuert er. Aber Peto ist eben nicht radikal, sie wollen nicht die Welt
verändern. Sondern nur so profane Dinge erreichen wie den Erhalt der
Sportplätze in Monheim. "Wir haben deshalb Erfolg, weil wir unpolitisch
sind", sagt Zimmermann.
Er ist der einzige von den Parteigründern, der miterlebt, wie die spontane
Idee jetzt zum städtischen Chefsessel führte. Wie aus der Fünferrunde eine
große Partei geworden ist. Knapp 300 Mitglieder sind es nun, allein 40
traten in der vergangenen Woche bei. Die Orts-CDU haben sie damit überholt,
die SPD hat ein paar Genossen mehr. Noch.
Denn mit dem Otto-Hahn-Gymnasium hat Peto einen riesigen Nachwuchspool. Ein
großer Klotz, 1350 Schüler, 150 Abiturienten jedes Jahr: Ein Segen für die
Partei. Am Anfang waren es oft Geschwister und deren Freunde, die zu Peto
dazustießen. Bei einer Podiumsdiskussion vor der Wahl wurde Daniel
Zimmermann in der Aula von 500 Schülern gefeiert.
Schulleiter Hagen Bastian, 55, hat den Aufstieg von Peto von Anfang an
miterlebt. Jetzt legt er kurz den Zeigefinger ans Kinn und nennt als
wichtigsten Erfolgsfaktor: Glaubwürdigkeit. "Das sind keine Parteibonzen,
die sind mit dem Herzen dabei." In seiner Stimmer schwingt der strenge
Stolz eines Lehrers mit. Die Hemmschwelle mitzumachen sei bei Peto sehr
niedrig: "Da kommt einer hin und wird sofort ernst genommen", sagt der
Schulleiter.
Jedes Mitglied kann auch an der Fraktionssitzung teilnehmen. 19 junge Leute
sitzen Montagabend im Saal, die letzte Ratssitzung steht an, es gibt vorher
Einiges zu besprechen. Die Fraktionsvorsitzende Lisa Riedel, 25, streckt
den Rücken durch und legt los. Sie spricht schnell, mal ironisch, und immer
sehr bestimmt. "Ich finde, die neuen Proberäume sollen mit der Presse
eingeweiht werden." Die anderen nicken.
Gerne würde Riedel noch eine Amtszeit dranhängen. "Aber nur, wenn die
Fraktion das wirklich will." Denn: "Bei uns schlägt sich keiner um die
Posten." Man ist froh, wenn sich genügend engagieren möchten. Und
irgendwann hört jeder wieder auf und kann sich höchstens noch in der "AG 30
plus" für Ältere tummeln. Aus der Jugendpartei soll kein Seniorenclub
werden.
Für Christian Weiffen, 31, ist es heute die letzte Sitzung, deshalb hat er
ein Abschiedsgeschenk mitgebracht: Ein Überraschungsei für jeden. Weiffen,
ist Lehrer und gibt jetzt den Staatsmann: "Weil unser Sieg eine
Überraschung war. Weil wir die Kinderpartei sind. Weil wir jetzt Eier
brauchen". Schmunzeln. Das mit der Kinderpartei war ein Witz. Von ihren
politischen Gegnern wurden sie so bezeichnet - nur ein Ventil für den
Schock der Wahlverlierer, sagen sie.
Die Peto-Ratsleute haben längst bewiesen, dass sie gut mithalten können.
Sie bereiten sich akribisch auf die Sitzungen vor. Sie lesen jede Vorlage
und sagen auch, wenn etwas unverständlich formuliert ist. Sie sind, wenn
man so will, Politstreber.
Aber zoffen sie sich wenigstens mal? Oder sägen an den Chefs von Partei und
Fraktion? Schulterzucken. Natürlich, es werde mal laut. Aber nur Argumente
zählen, keine persönliche Eitelkeiten: Tut uns Leid, aber mit Intrigen
können wir nicht dienen.
Was die Jugendlichen zur Genüge an den Tag legen, ist konzentrierter
Pragmatismus. Sie machen Politik, weil ihnen Peto die Möglichkeit bietet.
Sonst würden sie vielleicht gemeinsam musizieren. Oder Theater spielen.
Aber Wahlkampf ist für sie ein Gemeinschaftserlebnis, das seinesgleichen
sucht. Und mit der Politik erreichen sie sogar noch etwas. Auch wenn es
manchmal mühsam ist.
"Es ist ein Hobby mit Sinn", sagt Jana Lang, 21, die seit fünf Jahren dabei
ist und jetzt knapp in den Rat gewählt wurde. Viele Politiker hält sie für
Selbstdarsteller, die großen Parteien für verlogen. Da würde sie nie
mitmachen, sagt sie energisch. "Wir sind nicht links oder rechts oder grün.
Und das ist gut so." Es gibt die unterschiedlichsten Überzeugungen in der
Partei, aber die spielen nur selten eine Rolle.
Politik ohne Ideologie, das funktioniert nur in der Kommune, meint Daniel
Zimmermann. Deshalb glaubt er auch nicht, dass Peto irgendwann auf Landes-
oder gar Bundesebene antritt. "Dann müssten wir uns auf ein Programm
einigen und würden einzelne Leute ausgrenzen." So wie er schaut, ist es das
Letzte, was er sich vorstellen mag.
Er muss dann weg, der Noch-Bürgermeister nimmt ihn mit nach Düsseldorf zu
einem Empfang der Staatskanzlei. "So eine Veranstaltung für Leute, die sich
wichtig fühlen", sagt Daniel Zimmermann. Er mag es drehen und wenden wie er
will - da gehört er jetzt irgendwie dazu.
10 Sep 2009
## AUTOREN
Sebastian Erb
## TAGS
Steuersenkung
Kommunalwahlen
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