| # taz.de -- Moscheen für Monheim: M wie Heimat | |
| > Vor 23 Jahren kam Farid El Karrouchi nach Monheim. Heute ist er | |
| > Busfahrer, Familienvater, Vorbildmigrant. Aber zum Ankommen gehören zwei | |
| > Seiten. | |
| Bild: Busfahrer Farid El Karrouchi: „Na, bist du wieder hier um zu nerven?“ | |
| MONHEIM taz | Mittwochmorgen 10.29 Uhr am Busbahnhof Monheim. Quietschend | |
| öffnen sich Türen des Busses Nummer 971 in Richtung Solingen Bahnhof. | |
| Vierte und letzte Runde für Farid El Karrouchi, 53. „Guten Morgen! Na | |
| geht’s dir gut?“ begrüßt er seine Fahrgäste in einem leichten, | |
| rheinländischen Singsang. Für einen Moment erscheinen die schmalen, dunklen | |
| Augen im Rückspiegel, dann kreisen seine Hände über das Lenkrad und El | |
| Karrouchi steuert auf die Landstraße in Richtung Langenfeld zu. Vorbei am | |
| Einkaufszentrum, dem Berliner Viertel, vorbei auch an dem Betonwerk, neben | |
| dem bald eine Moschee stehen könnte. | |
| Hier und da hebt El Karrouchi den Zeigefinger zum Gruß. Jeder kennt hier | |
| jeden, sagt er. Monheim, knapp 40.000 Einwohner, nicht zu groß, nicht zu | |
| klein, weder Land noch Stadt, M wie Mittelmaß. Eine Altstadt mit ein paar | |
| Fachwerkhäusern, holländischer Backsteincharme. Nächster Halt: Hackhausen. | |
| Ein abgehetzter Mann mit einem Schweißband in Deutschlandfarben am Arm | |
| steigt ein. „Na du? Bist wieder hier um zu nerven?“, wirft ihm El Karrouchi | |
| lachend zu. „Wie immer“, antwortet der. | |
| Man könnte die Geschichte über den Busfahrer Farid El Karrouchi als die | |
| Geschichte einer gelungenen Integration erzählen. Als die eines | |
| Vorbildmigranten, der sich stets bemüht hat. Und dann würde man sagen: Ja, | |
| es geht doch, man muss nur wollen. Aber die Geschichte über Farid El | |
| Karrouchi ist eigentlich die eines lebenslangen Hindernislaufs, eine über | |
| das Ankommen an einem Ort. Und so lässt sie sich nicht erzählen ohne den | |
| Ort selbst und einen jungen Bürgermeister, der sich Dinge traut, vor denen | |
| andere Politiker zurückschrecken. | |
| Seit 16 Jahren ist El Karrouchi also Busfahrer. „So einen Ort wie Monheim, | |
| den findest du sonst nicht“, sagt er. Er ist Vorstandsmitglied der | |
| marokkanischen islamischen Gemeinde und Mitglied im Integrationsrat. Seine | |
| Söhne spielen im Fußballverein der Stadt. Er führte eine Studie zum | |
| Schulniveau in Monheim durch, die so komplex war, dass die Leute danach | |
| sagten „oh, das kann aber nicht jeder“. Er ist Teil dieser Stadt, die | |
| irgendwo zwischen Düsseldorf und Köln liegt und deren Name so typisch | |
| deutsch klingt wie Neustadt oder Müller. | |
| ## Frittieren statt studieren | |
| Aber Farid El Karrouchi heißt eben nicht Müller. Vor ein paar Jahren ist er | |
| mit seiner Frau und seinen fünf Kindern aus der Mietwohnung in eine | |
| Eigentumswohnung gezogen. Dorthin, wo die Straßennamen nach Dichtern und | |
| Denkern benannt sind, „wo sonst nur ‚richtige‘ Deutsche wohnen“, so sag… | |
| El Karrouchi. Seine Frau trägt ein Kopftuch, seine Kinder sind die mit den | |
| dunklen Haaren. Wo andere Kinder selbstverständlich spielen dürfen werden | |
| sie verjagt. Die Eltern nicht gegrüßt. | |
| Nach einem Jahr kommen die Nachbarn zu einem Bewohnertreff zusammen. El | |
| Karrouchi stellt sich vor die Runde: „Wollen Sie Respekt von mir?“ Die | |
| Nachbarn bejahen. El Karrouchi sagt: „Ich möchte dasselbe.“ | |
| Als Farid El Karrouchi 1994 als 30-Jähriger nach Deutschland kam, wusste er | |
| nicht, dass er den Großteil seines Lebens einmal zwischen Monheim und | |
| Solingen, zwischen Busbahnhof und Fahrerkabine verbringen würde. In seinem | |
| Geburtsland Marokko war er unter den nur sechs Prozent der Schüler, die das | |
| Abitur schafften. Er studierte Physik und Chemie. Dann kam er nach | |
| Deutschland. Er spricht fünf Sprachen, will weiter studieren, etwas mit | |
| Energie soll es sein. Stattdessen findet er sich an der Fritteuse bei | |
| McDonalds wieder. Studieren darf er nicht. | |
| Vor ein paar Wochen hat der Staat ihm einen Brief geschrieben. Darin steht, | |
| dass man ihm seinen marokkanischen Schulabschluss anerkannt habe. Er darf | |
| sich nun auch in Deutschland Abiturient nennen und könnte studieren. 38 | |
| Jahre nachdem er die Schule verlassen hat. 23 Jahre nachdem er den Namen | |
| Monheim zum ersten Mal hörte. | |
| Man könnte jetzt noch über sein Ringen um einen Kindergartenplatz für ein | |
| Mädchen mit dem Namen El Karrouchi schreiben. Oder darüber, wie er dem | |
| AfD-Kandidaten erklärte, dass er für seine Vorstellung einer Umvolkung mehr | |
| als ein Kind bekommen müsse, eher fünf, so wie er selbst. Und dann könnte | |
| die Geschichte hier enden. Dann wäre es aber keine Geschichte über das | |
| Ankommen. Denn Ankommen erfordert eine Annäherung von beiden Seiten. Die | |
| andere Seite vertritt seit einigen Jahren ein junger Monheimer namens | |
| Daniel Zimmermann. | |
| Durch das offene Fenster dringt Brunnengeplätscher ins Büro. Daniel | |
| Zimmermann, 34, sitzt am Konferenztisch vor den Erinnerungsfotos. | |
| Zimmermann ist seit sieben Jahren Bürgermeister der Stadt Monheim, er | |
| gehört einer Regionalpartei an, die es nur hier gibt. Er trägt Karohemd und | |
| Sneakers, die Stimme ist weich, seine Sätze überlegt. | |
| Zimmermann versteht es, seine Amtszeit als Erfolgsgeschichte Monheim zu | |
| verkaufen. Nachdem er 2010 als erst 27-Jähriger gewählt wurde, stieg der | |
| Etat der Stadt von 125 Millionen Schulden auf einen Überschuss von 78 | |
| Millionen an. 2014 wird er mit 95 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Er | |
| arbeitet ein Großprojekt nach dem anderen ab. Skatepark, neue Kitas, | |
| Feuerwache, Kreisverkehr. Dazu seit drei Jahren kostenlose Kinderbetreuung. | |
| „Wir fragen uns nicht zuerst, ob wir uns das leisten können, sondern ob es | |
| sinnvoll ist“, sagt Zimmermann. | |
| ## Beleidigte Opposition | |
| Kürzlich hat Zimmermann beschlossen, dass es sinnvoll ist, wenn Monheim | |
| zwei Moscheen bekommt. Insgesamt 850.000 Euro hat der Stadtrat der | |
| türkischen und der marrokanischen islamischen Gemeinde zu den Neubauten | |
| dazu gegeben. Eine Entscheidung, die Monheim für kurze Zeit ins Rampenlicht | |
| rückte und Zimmermann zur Hassfigur der Rechten machte. | |
| Kritik kam vor allem auf, weil die türkische islamische Gemeinde zum | |
| Moscheeverband Ditib gehört, der oft als langer Arm Erdogans gesehen wird. | |
| Rechte Bewegungen wie ProNRW riefen zu Protesten auf. Auch die Opposition | |
| versuchte die Bezuschussung durch die Stadt zu verhindern. Ein | |
| Bürgerbegehren von SPD und CDU mit dem Titel „Keine Steuergelder für | |
| Moscheegrundstücke“ lehnte der Bürgermeister jedoch kurzerhand ab – wegen | |
| einer unzulässigen Fragestellung. | |
| Die Opposition sprach daraufhin von einem „Durchwinken“ und einem | |
| politischen Stil „entgegen aller demokratischen Gepflogenheiten.“ | |
| Beleidigte Reaktionen zweier Parteien, die die Integration selbst jahrelang | |
| verschleppten. Sie fühlen sich ausgeschlossen, nicht „abgeholt und | |
| mitgenommen“. | |
| ## Die Stadt fordert Verfassungstreue und Toleranz | |
| Alles richtig gemacht, sagt Zimmermann heute. „Wir wussten, dass die | |
| Religionsgemeinden das alleine nicht stemmen können. Sonst hätten sie an | |
| bestimmten Dingen wie Räumen für Begegnungen und Jugendarbeit sparen | |
| müssen.“ Doch gerade die wollte die Stadt unterstützen. Und sie kann | |
| Bedingungen stellen. In den Verträgen wurde beispielsweise festgehalten, | |
| dass sich die Gemeinden zu Verfassungstreue und Toleranz verpflichten. Den | |
| Kritikern von Ditib konnte man so etwas entgegensetzen. „Wenn man die | |
| Einflussnahme der türkischen Seite überlässt, dann darf man sich hinterher | |
| nicht darüber beschweren, dass viele Deutschtürken sich dorthin | |
| orientieren“, argumentiert Zimmermann. | |
| Jetzt müssen die Gemeinden Spenden sammeln. Denn in den nächsten acht | |
| Jahren muss der Bau stehen – so steht es im Vertrag. Für die marokkanische | |
| islamische Gemeinde ist das eine große Herausforderung, denn hinter ihr | |
| steht kein zahlungskräftiger Moscheeverband. Im Moment rechnet sie mit zwei | |
| bis drei Millionen Euro Baukosten. | |
| Tags darauf wartet Farid El Karrouchi vor einem unauffälligen, weißen | |
| Wohnhaus. An manchen Stellen blättert der Putz ab, auch das Werbeschild | |
| eines Baumarkts kann das nicht verdecken. Nichts weist darauf hin, dass | |
| sich hier das Marokkanische Islamische Zentrum befindet. Im Hof sitzen zwei | |
| ältere Männer auf Plastikstühlen und blättern in einem Reisekatalog. | |
| ## Endlich sichtbar werden | |
| El Karrouchi geht an ihnen vorbei in den kleinen Anbau mit den Schuhregalen | |
| davor, der mehr nach Gartenlaube aussieht als nach Moschee. Dunkelrote | |
| Teppiche, Holzverkleidung: der Gebetsraum für die Männer. Der Raum für die | |
| Frauen ist noch kleiner. Ein Zimmer mit nur einer Neonleuchte an der Decke. | |
| „Es ist uns unangenehm, Leute einzuladen“, sagt El Karrouchi. Neulich erst, | |
| beim Zuckerfest, hätten die Menschen auf der Straße gestanden, weil drinnen | |
| kein Platz war. Der Bürgermeister war auch da. Sie sind schlau, dass Sie | |
| uns mit der Moschee helfen, hat El Karrouchi ihm da in bester Laune gesagt, | |
| Sie wollen uns unter die Lupe nehmen. | |
| Die Zukunft liegt nur ein paar Schritte entfernt. Über die Straße, dann | |
| links, neben dem Betonwerk soll sie bald stehen – eine richtige Moschee mit | |
| zwei Minaretten. Maximal 25 Meter hoch, auch das steht im Vertrag. | |
| Brombeersträucher klettern am Bauzaun empor. Dahinter ist bislang nicht | |
| mehr zu sehen als ein Schotterplatz und ein Kiesberg. El Karrouchi steht am | |
| Zaun und sagt: „Jetzt werden wir endlich sichtbar sein.“ Die Idee von der | |
| Moschee ist bereits wie ein Geschenk für El Karrouchi. Wie eine verspätete | |
| Einladung, sich hier zu Hause zu fühlen. | |
| 12 Aug 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Paul Toetzke | |
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