# taz.de -- Buch „Israel ist an allem schuld“: Die Dämonisierung Israels | |
> Eigentlich wollten die Autoren ein „Schwarzbuch Antisemitismus“ | |
> schreiben. Doch dann kam der Gaza-Krieg und sie überlegten es sich | |
> anders. | |
Bild: Ein Polizeibeamter patroulliert vor der Joseph-Carlebach-Schule in Hambur… | |
„Mich hat die Geschichte von Dieter Kunzelmann, der an einem 9. November | |
eine Bombe im jüdischen Gemeindehaus deponiert, sehr verstört“, sagt der | |
Fernsehjournalist Georg M. Hafner. Während er für den Dokumentarfilm | |
„München 1970“ in seinem ehemaligen linken Umfeld recherchierte, erkannte | |
er, wie antisemitisch viele seiner Weggefährten sind – oder schon immer | |
waren. Ein Schlüsselerlebnis. | |
In dem Buch „Israel ist an allem schuld. Warum der Judenstaat so gehasst | |
wird“, das er mit der Journalistin Esther Schapira geschrieben hat, widmet | |
sich ein Kapitel dieser pauschalen Palästinensersolidarität – und ihrer | |
Kehrseite, dem Hass auf Israel. | |
Die siebziger Jahre sind da grundlegend mit ihren schockierenden | |
Höhepunkten: dem Attentat auf ein jüdisches Altenheim in München 1970, auf | |
die israelische Olympiamannschaft 1972, der versuchten Entführung der | |
El-Al-Maschine 1970. Eigentlich hatten Hafner/Schapira ein „Schwarzbuch | |
Antisemitismus“ schreiben wollen. Im Sommer 2014 aber überlegten sie es | |
sich anders. | |
Wochenlang demonstrierten in Deutschland Tausende gegen die Bombardierung | |
Gazas durch die israelische Armee, eine Reaktion auf den anhaltenden | |
Raketenbeschuss – und gegen Israel. [1][Alte Stereotype poppten auf – vom | |
„Kindermörder Israel“] bis zu den Rufen „Hamas, Hamas – Juden ins Gas�… | |
Diese notorische Vermischung des Nahostkonflikts mit der Nazi-Vergangenheit | |
ist Thema des Buches, genauso wie das Unvermögen, zwischen Israel und „den“ | |
Juden zu unterscheiden. | |
## Israel als Back-up | |
Die jüdischen Gemeinden waren damals fassungslos. Antisemitismus wollte | |
aber trotz einer steigenden Zahl von Übergriffen kaum jemand sehen, nur | |
„Israelkritik“. „Es reicht schon, gegen Auschwitz zu sein, um nicht als | |
Antisemit zu gelten“, fasst Schapira zusammen. Dazu passt das Urteil zum | |
Brandanschlag auf die Wuppertaler Synagoge – nicht antisemitisch, entschied | |
das Gericht, sondern ein Statement zum Nahostkonflikt. Kein Wunder, dass | |
sich da viele jüdische Deutsche in Deutschland allein fühlen. | |
In einem persönlichen Vorwort schreibt Schapira über die Gefühlskälte ihrer | |
FreundInnen beim Thema Israel. „Komm nach Israel“, schrieb ihr im Sommer | |
2014 eine besorgte Bekannte. Sich unter täglichem Raketenbeschuss sicherer | |
fühlen als in Berlin? Eigentlich absurd. Für viele jüdische Deutsche ist es | |
das aber nicht. Denn während der Antisemitismus hier aufblüht, wird Israel | |
immer wichtiger. Der Staat ist ein Back-up. Eine Beruhigung. | |
Auch in den Gesprächsprotokollen, die zwischen die Sachkapitel geschoben | |
sind, scheint dies durch. Raphael Gross, Leiter des Simon-Dubnow-Instituts | |
Leipzig, die Direktorin des Jüdischen Museums Berlin, Cilly Kugelmann, oder | |
der Psychologe Ahmad Mansour, ein palästinensischer Israeli – sie alle eint | |
die Sorge um einen radikalen Antisemitismus und eine Angst, die meist | |
unverstanden bleibt. | |
Nicht so differenziert wie die Befindlichkeiten der – auch arabischen – | |
Israelis betrachten die Autoren die Nakba, die sie aus stoischer Distanz in | |
Anführungszeichen setzen. Die faktische Instrumentalisierung der Flucht und | |
teilweisen Vertreibung der Palästinenser aus dem britischen Mandatsgebiet | |
schließlich ist eine Sache, das Trauma, das sie hinterlassen hat, aber eine | |
andere. Dies anzuerkennen sollte so schwer nicht sein. | |
## Dämon Holocaust | |
Immer wieder kommen Hafner/Schapira auf die 68er-Generation zurück, deren | |
Beschäftigung mit Israel/Palästina sie als Teil der Aufarbeitung der | |
Täter-Geschichte der Eltern sehen. Sie betonen die Entlastungsfunktion, die | |
die pauschale Schuldzuweisung an Israel hat: „Die Dämonisierung Israels | |
hilft, den Dämon des Holocaust zu beseitigen.“ | |
In dieser Welt, in der Arafat als ein Held und das Palituch als ein Zeichen | |
des Antiimperialismus gelten, werden selbst die Angriffe der Hamas zum | |
rechtmäßigen Widerstand der arabischen Völker gegen den „zionistischen | |
Kolonialismus“, zum Schlüssel im großen Kampf gegen den US-Imperialismus. | |
Bis heute wirkt diese Schwarz-Weiß-Malerei nach – Beispiele sind „Marvi | |
Marmera“ oder das sogenannte Toiletten-Gate, die unverhältnismäßige | |
Boykott-Kampagne. Die Liste ist lang. | |
Dass hier aber der Hass auf Israel eine größere Rolle spielt als die Liebe | |
zu den Palästinensern, zeigte sich wieder zu Beginn des Jahres. [2][Während | |
Assad in Jarmuk Tausende Palästinenser aushungern ließ], ging hier niemand | |
auf die Straße. Weil der Mobilisierungsfaktor Israel fehlte. | |
Ob die Lektüre dieses Buches einige notorische IsraelkritikerInnen über | |
ihre Ressentiments, über dieses Messen mit zweierlei Maß stolpern lassen | |
wird? Leider ist das Problem mit dem Antisemitismus ja seine Tautologie, | |
die Selffullfilling Prophecy. Er ist immun gegen Argumente. | |
17 May 2015 | |
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## AUTOREN | |
Sonja Vogel | |
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