| # taz.de -- Mirna Funk über Deutschland: „Es gibt diese Wut“ | |
| > „Warum hat jeder Hanswurst eine Meinung zu Israel?“, fragt sich Mirna | |
| > Funk. Ihr Roman handelt unter anderem von der Nahost-Obsession. | |
| Bild: Mirna Funk im Sommer. Ihr erster Roman heißt „Winternähe“. | |
| Im vergangenen Jahr ging Mirna Funk nach Tel Aviv, wo sie den Gazakrieg | |
| miterlebte und ihren Roman „Winternähe“ schrieb. Darin erzählt sie die | |
| Geschichte der Selbstfindung einer jungen, jüdischen Frau. Jetzt ist Mirna | |
| Funk wieder in Berlin. Wir sind um Punkt 13 Uhr verabredet beim Italiener, | |
| wo sizilianisch und bio gekocht wird. Mirna Funk hat vorher gefragt, ob es | |
| in Ordnung sei, wenn sie während unseres Gesprächs ihre Salsiccia isst. | |
| taz.am wochenende: Essen Sie immer pünktlich um eins? | |
| Mirna Funk: Um 13 Uhr bekomme ich Hunger. Ich habe eine strenge | |
| Tagesroutine, die mir Struktur im Leben gibt. Ich stehe früh auf, und ich | |
| gehe früh ins Bett. | |
| Sie sind schwanger, was gut zur Meldung passt, dass im vergangenen Jahr in | |
| Deutschland zum ersten Mal seit zehn Jahren mehr als 700.000 Kinder geboren | |
| worden sind. | |
| Das hab ich auch gelesen. Ich habe das Gefühl, dass man wieder Kinder | |
| kriegt in Deutschland, und dass man das auch nicht so verkompliziert. | |
| Dieses Kind wird deutsche und israelische Staatsbürgerin werden. | |
| Junge oder Mädchen? | |
| Es wird ein Mädchen. Sie wird Deutsch sprechen und Hebräisch und Englisch. | |
| Sie kommen aus Berlin, und der Vater des Kindes ist Israeli. Ich habe | |
| gelesen, dass Sie heiraten wollten. | |
| Wir haben noch nicht geheiratet. Es war ein stressiges Jahr. Die meiste | |
| Zeit sind wir hin- und hergeflogen. Am Anfang war das schwierig, weil es | |
| die ersten Besuche in Deutschland für ihn waren. Langsam gewöhnt er sich | |
| dran. | |
| Was heißt das? | |
| Er wird jedes Mal krank vor dem Flug. Gestern sagte er wieder, sein Hals | |
| tue ihm weh. Ich habe schon darauf gewartet, er fliegt demnächst. Das sind | |
| sicherlich auch Schuldgefühle seinen Großeltern gegenüber, die seit 15 | |
| Jahren nicht mehr leben. Sie haben sich in Deutschland im KZ kennengelernt. | |
| Bei denen gab es nichts Deutsches zu Hause, wie bei vielen Familien in | |
| Israel, und er weiß nicht, wie die das sehen würden. Wenn er dann hier ist, | |
| fühlt er sich sehr wohl. Er genießt die Ruhe, die man erst genießen kann, | |
| wenn man eine Weile in Israel war. | |
| Wie nehmen Sie die aktuelle Eskalation im Land wahr? | |
| Vor einer Woche habe ich mit meinem Mann telefoniert, während er in einem | |
| Café in Tel Aviv saß, wo im Fernsehen ein Live-Bericht über ein Attentat in | |
| der Innenstadt lief. Plötzlich sagte er: „Mirna, ich sehe meinen Vater! Er | |
| steht neben der Leiche des Terroristen, ich muss ihn anrufen.“ Sein Vater | |
| war dabei, als der Attentäter Leute mit dem Messer angriff. Ich bin froh, | |
| wenn mein Mann am Mittwoch nach Berlin kommt. | |
| Seit einiger Zeit gibt es fast täglich Messerattacken auf jüdische | |
| Israelis. Aber es wird auch beinahe jeden Tag jemand durch israelische | |
| Sicherheitskräfte erschossen, zum Teil unter fragwürdigen Umständen. Im | |
| deutschen Fernsehen wird wenig über die Hintergründe berichtet, anders als | |
| beim Gazakrieg im vergangenen Jahr. | |
| Ja, das fällt einem im Moment sehr stark auf. Erstens ist es so, dass sich | |
| für diesen Konflikt und seine Hintergründe eigentlich niemand wirklich | |
| interessiert. Das klingt jetzt komisch, weil immer so viel darüber | |
| gesprochen wird. Aber dieser Konflikt wird vor allem für die eigenen | |
| Ressentiments und Schuldgefühle benutzt. Zweitens fehlt eine | |
| Berichterstattung, die beide Seiten sieht – ihren Schmerz und ihre Fehler. | |
| Das wiederum liegt daran, dass die meisten zu wenig über diesen Konflikt | |
| wissen. | |
| Sprachen helfen dabei, sich in das Denken von anderen einzufühlen. Sie | |
| haben vorhin gesagt, dass Ihr Kind drei Sprachen sprechen wird. Halten Sie | |
| das für realistisch? | |
| Wir werden gemeinsam mit ihr Englisch sprechen. Wenn ich mit ihr alleine | |
| bin, spreche ich Deutsch, und wenn er mit ihr alleine ist, spricht er | |
| Hebräisch. So macht man das mit drei Sprachen, hab ich gelesen. Wichtig | |
| ist, dass die Kinder wissen, mit wem was gesprochen wird. Deshalb ist es | |
| auch das Beste, dass wir so lange wie möglich in beiden Ländern leben, | |
| damit sie Gelegenheit hat, die jeweilige Sprache zu sprechen. Dann wird sie | |
| eine kleine Weltenbürgerin. | |
| Das ist eine interessante Perspektive für jemanden, der in Ostberlin | |
| geboren wurde, als die Mauer noch stand. | |
| So schnell kann es gehen! | |
| Auch Lola, die Protagonistin Ihres Romans, ist in Ostberlin geboren. Sie | |
| beschließt, Berlin zu verlassen, weil sie von antisemitischen Ausfällen in | |
| ihrem Milieu genug hat. Sie verliebt sich in einen Israeli und versucht mit | |
| ihrem Vater ins Reine zu kommen. Lolas Vater Simon kommt aus einer | |
| jüdischen Familie. | |
| Ähnlich wie bei mir. Auch mein Vater kommt aus einer jüdischen Familie. | |
| Man fragt sich bei Lolas Vater, ob er für die DDR-Gesellschaft steht, ihre | |
| rebellischen und ihre opportunistischen Teile? Eines Tages ist Simon | |
| verschwunden, abgehauen nach Westberlin. | |
| Simon, der Vater von Lola, ist ein rebellischer, Verantwortung meidender | |
| Mann. Obwohl er in einer relativ stabilen Familie aufwächst, kann er sich | |
| selbst nicht in seine Vaterrolle einfügen. Im Laufe des Romans erfährt man, | |
| dass Simons Vater nicht sein leiblicher Vater ist. Er ist also selbst mit | |
| einem unbewussten Gefühl von Vaterlosigkeit aufgewachsen. Diese | |
| Vaterlosigkeit ist auch ein Teil der Auswirkungen des Holocausts, wie man | |
| im Roman erfährt. Es ging mir darum zu zeigen, wie ein Moment das Leben für | |
| nachfolgende Generationen verändern kann. | |
| Tochter Lola bleibt zurück bei ihren Großeltern. | |
| Mein Vater ist auch abgehauen. Die Umstände waren aber andere als im Buch. | |
| An Simons Flucht kann man sehen, welche Konsequenzen das für ein Kind hat. | |
| Meine beste Freundin durfte nicht mehr mit mir spielen, weil mein Vater | |
| Republikflüchtling war. Die hab ich normalerweise immer abgeholt, weil sie | |
| ein paar Häuser weiter gewohnt hat, das lag auf dem Schulweg. Ich erinnere | |
| mich, wie eines Tages der Vater raus kam und sagte, sie sei schon | |
| losgegangen. | |
| Eines der zentralen Themen des Romans ist die Frage, wie man mit | |
| historischen Ereignissen umgeht. Es gibt Leute, die denken, man muss an die | |
| Naziverbrechen erinnern, und es gibt Leute, die sagen, es sei jetzt auch | |
| mal gut. | |
| In Deutschland habe ich immer das Gefühl, dass das Thema nervt. Erinnern | |
| ist so anstrengend und doof. Ich verstehe das nicht. Erinnerung, die | |
| Auseinandersetzung mit schönen und mit schmerzlichen Erfahrungen, ist für | |
| die individuelle Entwicklung, aber auch für die Entwicklung einer | |
| Gesellschaft enorm wichtig. Es gibt einige Fragen, die Lola für mich | |
| stellt, die mir nicht beantwortet werden. Warum haben wir hier keinen | |
| Holocaust-Erinnerungstag? Warum stellt man da so komische schwarze Steine | |
| auf? Als ich das meinem Mann zum ersten Mal gezeigt habe, fragte er, was | |
| das mit dem Holocaust zu tun habe. | |
| Gute Frage. Wie könnte man es besser machen? | |
| Ich vermisse ein liebevolles, gemeinsames Erinnern. In Israel gibt es den | |
| Holocaust-Erinnerungstag, an dem um 10 Uhr morgens eine Sirene für zwei | |
| Minuten losgeht und alle Menschen einfach stehen bleiben. Ich fände es | |
| schön, wenn Deutschland und Israel das gemeinsam machen würden, am selben | |
| Tag zur selben Zeit. Dann würde es nicht mehr nur darum gehen, wer Opfer | |
| und wer Täter ist. Man würde es als geschichtliches Ereignis begreifen. | |
| Sie plädieren für liebevolles Erinnern. Fehlende Empathie spielt in Ihrem | |
| Roman immer wieder eine Rolle. | |
| Man merkt das auch jetzt bei der Flüchtlingsproblematik. Genauso wie einige | |
| finden, der Holocaust muss erinnert werden, gibt es viele, die Empathie für | |
| Flüchtlinge entwickeln und sehr viel helfen. Aber es gibt auch die anderen, | |
| denen diese Menschen egal sind. Ich glaube, den Letzteren fehlen zwei | |
| Dinge: Zum einen eine Art innerer Dialog, wie Hannah Arendt sagt, und zum | |
| anderen die Fähigkeit, sich selbst als geschichtliches Wesen zu begreifen. | |
| Wenn wir uns dessen bewusst sind, begreifen wir die anderen auch als | |
| Gewordene und können mehr Mitgefühl für ihre Situation entwickeln. | |
| Lola bewegt sich in einem vermeintlich fortschrittlichen Milieu. Eines | |
| Tages aber wird im Verlauf einer Veranstaltung, bei der auch Fotos | |
| ausgestellt sind, ein Porträt von ihr mit einem Hitlerbärtchen verziert. | |
| Daraus entwickelt sich die Geschichte, die einerseits hart ist, | |
| andererseits mit einem hintergründigen Humor erzählt wird. Ich musste immer | |
| wieder lachen. | |
| Das sollte auch so sein. | |
| Die Geschichte mit dem Hitlerbart haben Sie sich ausgedacht? | |
| Nein. Ich habe das selber erlebt, dass auf einer Veranstaltung auf ein | |
| Porträt von mir ein Hitlerbart über die Oberlippe gemalt wurde. Auf dem | |
| Bild sah man noch zwei andere Personen, denen wurde kein Bart aufgemalt, | |
| nur mir. Davon wurde ein Foto gemacht und auf Facebook und Instagram | |
| geteilt. Ich kannte die beiden Leute, die das machten, und die kennen meine | |
| Wurzeln. Ich habe Anzeige erstattet, bin aber auf Anraten meines Anwalts | |
| nicht vor Gericht gegangen, weil er mir ersparen wollte, zu verlieren, was | |
| er nicht für unwahrscheinlich hielt. Ich ließ dann Lola stellvertretend für | |
| mich vor Gericht ziehen. Auch alle weiteren antisemitischen Ereignisse im | |
| Roman sind von mir so erlebt worden. | |
| Haben Ihnen diese Leute zu erklären versucht, was sie sich dabei dachten? | |
| Die Begründung war: „Wir wollten das Groteske der Veranstaltung | |
| symbolisieren.“ Das ist der Originaltext aus dem Schreiben der Anwälte. | |
| Diese Veranstaltung hatte aber keinerlei politischen Kontext. | |
| Es gibt im Roman auch den heruntergekommenen Promi Dominik Dreher, der Lola | |
| antisemitisch beschimpft, weil sie nicht mit ihm schlafen will. | |
| Das Vorbild für Dreher ist weder Schlagerstar noch Soapdarsteller, er hat | |
| aber tatsächlich etwas mit Medien zu tun. Der hatte mir gegenüber einmal | |
| kurz alles rausgelassen, was er immer mal sagen wollte. Wer glaubt, dass | |
| diese Episoden in meinem Roman überspitzt sind, muss sich nur Kommentare in | |
| Onlinezeitungen oder auf Facebook durchlesen. Es gibt diese Vorurteile, | |
| diese Wut auf die ständige Auseinandersetzung mit dem Thema. Da mischt sich | |
| ein alter Antisemitismus mit Schuldgefühlen. Mir geht es nicht darum, | |
| jemandem Schuld zuzuschieben. Ich habe Vorurteile, Sie haben Vorurteile, | |
| wir alle haben Vorurteile. Aber in dem Moment, in dem wir begreifen, dass | |
| wir Vorurteile haben, können wir anders mit ihnen umgehen. Es geht mir | |
| darum, dass man ehrlich zu sich selbst und zu seinen Schwächen ist. | |
| Das funktioniert aber nicht, wenn man behauptet, dass es Antisemitismus in | |
| Deutschland nicht gibt, weil es ihn nicht geben darf: Wir sind keine | |
| Antisemiten, wir sind links und liberal. | |
| Warum behauptet in Deutschland jeder, der antisemitische Äußerungen macht, | |
| kein Antisemit zu sein? Warum möchte jeder Hanswurst eine Meinung zu Israel | |
| haben? | |
| Er möchte nicht nur, er hat auch eine. | |
| Warum ist uns Deutschen das aber so wahnsinnig wichtig? | |
| Eine naheliegende These wäre, dass Menschen gerne auf die anderen | |
| projizieren, was sie selbst umtreibt. | |
| Das größte Problem der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte ist | |
| das unangenehme Gefühl, schuldig zu sein. Ich hatte inzwischen viele | |
| Lesungen, wo wir oft über dieses diffuse Schuldgefühl gesprochen haben. Die | |
| dritte Generation muss sich nicht schuldig für etwas fühlen, das ihre | |
| Großeltern getan haben. Es geht darum, Kontakt zur eigenen Geschichte zu | |
| bekommen, die Lücken in der eigenen Familiengeschichte zu schließen. Wenn | |
| sie geschlossen würden, hätte auch dieses diffuse Gefühl von Schuld keinen | |
| Platz mehr, weil es einen konkreten Adressaten gibt. Auch wenn das | |
| möglicherweise die eigene Großmutter ist. Ich glaube aber nicht, dass es | |
| nur eine Erklärung für das schwierige Verhältnis zu Israel gibt. Ein tiefer | |
| liegender Antisemitismus sprudelt oftmals über das Ventil „Israel-Kritik“ | |
| heraus. Ein Freund von mir hat diese Haltung in einem Satz zusammengefasst: | |
| „Es ist doch so, dass diese Scheiß-Israelis unsere armen Juden umgebracht | |
| haben.“ | |
| Beim Lesen hatte ich das Gefühl, als würden Sie in Ihrem Buch einer | |
| Durchschnittsleserin zu erklären versuchen, was in linken Kreisen seit den | |
| neunziger Jahren diskutiert worden ist. | |
| Ein Großteil des Romans ist während des Gazakriegs entstanden. Ich habe | |
| versucht, einen Roman zu schreiben, in dem man was über die Geschichte | |
| lernt und über die Situation im Nahen Osten, wie sie sich darstellt, wenn | |
| man dort ist. Jetzt werfen mir Journalisten vor, im Roman würden | |
| Leitartikel-Themen über Protagonisten abgehandelt. | |
| Es wird viel erklärt in Ihrem Roman. | |
| Solange es Headlines wie „Israel droht mit Verteidigung“ in deutschen | |
| Medien gibt oder Menschen ernsthaft behaupten, da finde ein zweiter | |
| Holocaust, diesmal an den Palästinensern statt, scheint das Bedürfnis nach | |
| Aufklärung oder Erklärung nicht ganz unberechtigt. In der | |
| Auseinandersetzung mit meinem Roman merke ich immer noch das fehlende | |
| Wissen, ich merke aber auch, dass man sich mit den Punkten, die ich | |
| anspreche, nicht wirklich beschäftigen möchte. | |
| Keiner will sich damit auseinandersetzen? | |
| Lola sagt im Roman: „Als Deutsche dürfen wir nicht Israel kritisieren.“ Da | |
| wird nicht gefragt: Hat sie vielleicht recht? Da ist keiner rangegangen bis | |
| jetzt. Es gab eine Rezension, in der es hieß, es sei absurd und | |
| konstruiert, dass ein Pärchen in Badebekleidung am Strand von Tel Aviv über | |
| Politik diskutiert. | |
| Dort wird doch ständig, überall und kontrovers diskutiert. | |
| Wenn man aus der Merkel’schen Wohlfühlrepublik kommt, kann man sich nicht | |
| vorstellen, dass man im Bikini über Politik spricht. Das ist generell ein | |
| Problem in Deutschland: Diese Vorliebe fürs Glatte und Unkantige. Habt doch | |
| mal eine andere Meinung, sagt mir doch, warum ihr als Deutsche Israel | |
| kritisieren wollt. Lustigerweise werde ich in den Interviews oft gefragt, | |
| warum man Israel nicht kritisieren darf. | |
| Wie lautet Ihre Antwort? | |
| Ich antworte, dass ich erst mal interessant finde, warum man das überhaupt | |
| möchte. Ich reise da seit 20 Jahren hin und lebe seit einem Jahr zum Teil | |
| auch dort. Trotzdem würde ich mir nicht anmaßen, diesen Konflikt zu | |
| beurteilen, weil er so komplex ist. Beide Seiten können stundenlang | |
| argumentieren, und am Ende sitzt man da und weiß nicht mehr, was ist | |
| richtig und was ist falsch. Also ist diese Frage absolut irrelevant. Das | |
| sage ich den hochroten Journalisten, wenn sie mich fragen, warum sie Israel | |
| nicht kritisieren dürfen. Gerade als Deutsche müssten sie das doch. | |
| Warum ist es wichtig, dass Lola so viel Spaß daran hat, Männern einen zu | |
| blasen? | |
| Also so oft macht sie das jetzt auch nicht. Drei Penisse auf 350 Seiten, | |
| das finde ich nicht viel. Der Roman spielt von 2012 bis 2014. Das sind drei | |
| Penisse in drei Jahren. | |
| Die skurrilste dieser Szenen spielt in einem Restaurant. | |
| Das musste irgendwie sein. Ich habe in einem Restaurant noch nie jemandem | |
| einen geblasen. Aber im Ernst: Die sadomasochistisch geprägte Sexualität, | |
| die da eine Rolle spielt, soll zeigen, wie sich Traumata auswirken. | |
| Sexualität ist ein relativ schnell zu findendes Ventil. | |
| Das Schöne an Ihrer Protagonistin ist, dass sie nicht nur sympathisch ist, | |
| sondern auch als nervende Tussi erscheint, die dumme Sachen sagt. | |
| Es war mir wichtig, eine Protagonistin zu schaffen, die nicht so ist wie in | |
| anderen deutsch-jüdischen Romanen. Die zurückgehen zu den Wurzeln ihrer | |
| Familien, und alles ist wahnsinnig weichgespült und aufbereitet für den | |
| Deutschen, damit der sich nicht schämen muss. Das sollte eine | |
| durchgeknallte Jüdin sein, die sagt und denkt, was sie will. Sie sollte das | |
| Kantige repräsentieren, das in Deutschland nicht besonders beliebt ist. | |
| Warum muss die durchgeknallte Jüdin das Kantige darstellen? Eine | |
| durchgeknallte Uschi oder Elke täte es auch. | |
| Schaut man sich die Protagonistinnen junger deutscher Autorinnen an, dann | |
| sind die alle durchgeknallt, obwohl sie aus einer wohligen | |
| Reihenhaussiedlung stammen. Und Lola hat nun wirklich einiges mitgemacht. | |
| Außerdem hat es mir Spaß gemacht, mit der so durchzumarschieren. | |
| 1 Nov 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Gutmair | |
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