# taz.de -- Ein Flüchtling in Berlin: Das Drama des Frank H. | |
> Das Schicksal von Frank H. beweist, dass Flüchtlinge zu wertvollen | |
> Mitgliedern der Gesellschaft werden können, wenn sich die Politik offen | |
> für sie zeigt. | |
Bild: Kein Vergessen: Frank H. erinnert noch heute zu Recht an das traurige Sch… | |
BERLIN taz | Es wird wieder viel über die Flüchtlinge in der Stadt | |
debattiert. Meist sehr pauschal streiten Aktivisten und Politiker, | |
Asylbewerber, Kirchenvertreter und die Medien über Sinn und Machbarkeit | |
eines „Bleiberechts für alle“ oder auch über die Frage, ob der gigantische | |
Polizeieinsatz in Kreuzberg gerechtfertigt ist. Vergessen wird dabei | |
häufig, dass es um ganz konkrete Menschen geht, die höchst individuelle | |
Schicksale und Härten erlebt haben. Wie dramatisch das ist und was den | |
Flüchtlingen tatsächlich helfen könnte, versteht man erst, wenn man die | |
Einzelfälle genauer betrachtet. | |
Nehmen wir zum Beispiel Frank H.*.Er stammt aus einem totalitär regierten | |
Land. Seine Familie steht schon lange in Opposition zur Regierung. Bereits | |
Jahre vor H.’s Geburt werden [1][zwei seiner Onkel nach einem Volksaufstand | |
inhaftiert], später flüchten sie aus Angst vor weiteren Repressalien aus | |
dem Land. | |
H.’s Eltern gehören zwar nicht direkt zur Opposition. Auch wirtschaftlich | |
war die Familie nicht schlecht gestellt. „Materiell ging es uns gut, wir | |
haben nicht gelitten“, [2][bekennt Frank H. offenherzig nach seiner | |
Flucht]. Aber sein Vater wird drangsaliert. Er verliert einen | |
Leitungsposten, weil er sich weigert, der Regierungspartei beizutreten. | |
Zudem gehört die Familie einer religiösen Minderheit an, was zu weiteren | |
Schikanen führt. Der kleine Frank wird von den anderen Kindern gehänselt. | |
„Na, gehste wieder zu deinem Gott?“, hätten sie gerufen, wenn er zum | |
Religionsunterricht wollte, berichtet H. später. „Das hat sich auf der | |
Festplatte eingebrannt.“ Seine Eltern fühlen sich zunehmend eingeengt, so | |
sehr, dass sie schließlich beschließen, ihre Heimat zu verlassen. Doch sie | |
müssen noch vier Jahre warten, bis sich endlich eine Gelegenheit ergibt. | |
In Berlin wird die Familie zunächst im Notaufnahmelager Marienfelde | |
untergebracht. Die Einrichtung dort ist spartanisch: „Links zwei | |
Stockbetten, rechts zwei Stockbetten und in der Mitte ein viereckiger | |
Tisch“, [3][erzählt H]. | |
Aber dann hat die Familie richtiges Glück. Anders als viele andere | |
Flüchtlinge müssen sie sich nicht mit Asylverfahren, Kettenduldung oder | |
Residenzpflicht herumplagen. Nicht einmal die Frage, ob sie nicht doch eher | |
aus wirtschaftlichen denn aus politischen Gründen geflohen seien, spielt | |
bei ihnen eine Rolle. Denn die H.s stammen aus einem Staat, aus dem die | |
Bundesrepublik Flüchtlinge mit offenen Armen aufnimmt. Allein in | |
Marienfelde sind es im Laufe der Jahre 1,3 Millionen Menschen, ohne dass | |
irgendjemand über zu große Belastungen für die bundesrepublikanische | |
Gesellschaft stöhnt. | |
So erhalten die H.’s nicht nur unbürokratisch eine Krankenversicherung und | |
Hilfe bei der Suche nach einer ersten eigenen Wohnung. Sie bekommen sogar | |
ohne Weiteres einen deutschen Pass. Schon bald nach der Flucht kann Frank | |
H., damals 17 Jahre alt, eine Kaufmannslehre beginnen. Später holt er das | |
Fachabitur nach und studiert. | |
Noch Jahre später lobt H. in den höchsten Tönen die Hilfsbereitschaft, die | |
er dank der barmherzigen Flüchtlingspolitik in Berlin erleben durfte. Im | |
Lager Marienfelde, [4][schwärmt H.], „starteten viele in ein neues Leben, | |
selbstbestimmt und ohne politische Drangsalierungen. Vielen öffneten sich | |
mit der Einreise in die Bundesrepublik völlig neue und ungeahnte | |
Möglichkeiten.“ Das gelte auch für ihn ganz persönlich. „Hier begann für | |
meine Eltern und für mich das ’Abenteuer Bundesrepublik Deutschland‘.“ B… | |
heute feiert er alljährlich den Tag seiner Ankunft als seinen „zweiten | |
Geburtstag“. | |
Das Schicksal seiner alten Heimat lässt H. dennoch nie los. Er tauscht sich | |
immer wieder mit anderen Flüchtlingen und Exhäftlingen aus, in Berlin tritt | |
er einer christlichen Partei bei, die der Regierung in seinem Geburtsland | |
sehr kritisch gegenübersteht. Als schließlich das Regime in seinem | |
Herkunftsland fällt, bezeichnet er das als „Geschenk“. | |
H. selbst ist aufgrund der in seinem Fall vorbildlichen Flüchtlingspolitik | |
bestens in die Gesellschaft integriert. Er wird nicht nur | |
Landesvorsitzender seiner Partei, sondern sogar Innensenator von Berlin. | |
Als solcher könnte er den aktuellen Konflikt um die Flüchtlinge in der | |
Gerhart-Hauptmann-Schule mit einem Akt der Barmherzigkeit beenden. | |
Doch H. hält sich in der öffentlichen Diskussion auffällig zurück. | |
Vielleicht möchte er angesichts seiner Vita nicht auf die Themen | |
Flüchtlingspolitik und christliche Barmherzigkeit festgenagelt werden. | |
Vielleicht will er auch nur aus anhaltender Dankbarkeit die Gutherzigkeit | |
seines Aufnahmelandes nicht überstrapazieren. Vielleicht ist er auch nur | |
überintegriert. | |
*Name von der Redaktion nicht geändert. | |
Die Geschichte des Frank H. beruht ausschließlich auf seinen eigenen | |
Angaben nach Aktenlage, sie wurde weder von der Ausländerbehörde noch von | |
der taz überprüft. Die Flucht von Ostberlin nach Westberlin erfolgte 1981. | |
30 Jun 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.munzinger.de/search/portrait/Frank+Henkel/0/26933.html | |
[2] http://www.berliner-zeitung.de/archiv/als-frank-henkel-1981-mit-seinen-elte… | |
[3] http://www.domradio.de/nachrichten/2013-04-14/vor-60-jahren-wurde-marienfel… | |
[4] http://www.notaufnahmelager-berlin.de/de/pressemitteilungen-2013-922,34,16.… | |
## AUTOREN | |
Gereon Asmuth | |
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