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# taz.de -- Debatte Ziviler Ungehorsam: Attac hat die Hosen voll
> Am Sonntag werden die Blockupy-Aktionen 2013 vorbereitet. Bei Sozial- und
> Wirtschaftsthemen fällt der zivile Ungehorsam leider sehr zaghaft aus.
Bild: Blockupy-Aktivistin: Zähne zeigen mit geschlossenem Mund.
Ziviler Ungehorsam ist das Salz in der Suppe einer oft öden Demokratie. Es
ist ein öffentlicher, gewaltloser, gewissensbasierter Akt des Ungehorsams,
der auf demokratische Veränderungen ausgerichtet ist – mit der Konsequenz,
möglicherweise bestraft zu werden.
Ziviler Ungehorsam ist Ausdruck des plebiszitären Drucks derjenigen, die
über keine privilegierten Einflussnahmen verfügen. Es ist die letzte
Möglichkeit, Demokratiedefizite zu korrigieren, nachdem die klassischen
demokratischen Wege versucht worden sind. Ohne zivilen Ungehorsam gäbe es
keine Modernisierung von Demokratie, keine Frauen- und Ökologiebewegung,
kein Gorleben, kein Dresden gegen Rechtsextremismus und keine Bewegung
gegen Stuttgart 21. Ziviler Ungehorsam ist kein Schmuddelkind der
Demokratie, sondern dessen Leuchtfeuer.
Ziviler Ungehorsam bedeutet auch, zu einer neuen Qualität von „Demokratie
von unten“ beizutragen. Ziviler Ungehorsam ist das demokratische Mittel,
das den Verantwortlichen in Politik und Ökonomie am unangenehmsten ist. Es
tut weh, es stört die institutionelle Ordnung, es ist unberechenbar und es
erzeugt oft gesellschaftliche Dynamiken, die nicht so einfach einzufangen
sind.
Viele Untersuchungen zeigen einen wachsenden Zorn in der Bevölkerung über
die Verstockungen der repräsentativen Demokratie. Damit geht eine zumindest
verbale Bereitschaft einher, auch Regelverstöße mit Aktionen bis hin zum
zivilen Ungehorsam für legitim und angemessen zu halten.
## Erfolgreich gegen Rechtsextremismus
Schaut man sich jedoch die Politikfelder an, auf denen der zivile
Ungehorsam eine oder keine Rolle spielt, fallen deutliche Unterschiede auf.
Auf der positiven Seite stehen die in Mitteleuropa fast einzigartig
erfolgreichen Aktionen der Bündnisse gegen Rechtsextremismus. Wie hier
eindrucksvoll verhindert wird, dass Rechtsextremismus Akzeptanz erfahren
könnte, und deshalb rechtsextremistische Parteien – anders als in
Frankreich, Österreich oder Italien – völlig chancenlos sind, gehört zum
Vorzeigbarsten unserer Demokratie.
Auch die unermüdliche Anti-AKW-Bewegung mit ihren vielfältigen Aktionen bis
zum expliziten zivilen Ungehorsam ist eine Erfolgsgeschichte. Wenn 5.000
zumeist junge Leute auf die Schienen gehen, um Castoren zu blockieren, dann
zeugt das von einer massenhaften Souveränität des Ungehorsams.
Die Proteste von Heiligendamm 2007 und zu Stuttgart 21 sind für den zivilen
Ungehorsam eher ambivalent. In Heiligendamm verschwanden alle guten
Argumente der G-8-Protestierenden hinter den gewalttätigen
Auseinandersetzungen von Rostock, der zivile Ungehorsam konzentrierte sich
nur noch auf eine eindrucksvolle Rückgewinnung des Demonstrationsrechts.
Bei Stuttgart 21 war allein die Androhung des zivilen Ungehorsams – vor
allem durch die Parkschützer – über lange Phasen mitentscheidend. Aber nach
der Volksabstimmung war die Bereitschaft zum zivilen Ungehorsam bald am
Ende.
## Aktive Resignation bei Hartz IV
Auf der anderen Seite gibt es ganze Bereiche, in denen nahezu kein ziviler
Ungehorsam stattfindet. Beim Thema Arbeitslosigkeit und Armut bleibt es
seit den für deutsche Verhältnisse eindrucksvollen Protesten von 2003 bis
2005 beunruhigend still. Politische Gruppen sind zerbrochen, im Westen mehr
als im Osten. Und wer im Osten über zivilen Ungehorsam redet, erhält
folgenlosen Beifall. Viele Betroffene prozessieren individuell gegen ihren
Hartz-IV-Bescheid und wählen Die Linke. Aktive Resignation. Wenn mehr als
eine Million Hartz-IV-Bezieher mit Sanktionskürzungen belegt werden, ist
die Republik erstaunt, aber still.
Nicht viel besser steht es mit den Protesten gegen die Finanzmarktindustrie
und die Banken. Der Occupy-Aufbruch war in Deutschland eventorientiert,
aber kopf- und konzeptlos. An den Blockupy-Demonstrationen 2012 in
Frankfurt nahmen nur wenige Tausend Menschen teil. Die erneute Umzingelung
des Frankfurter Bankenviertels, die für Ende Mai 2013 geplant ist und an
diesem Wochenende vorbereitet werden soll, droht in ihrer Fixiertheit auf
das Bankenviertel sehr risikoreich zu werden.
Ein erneutes Demonstrationsverbot ist nicht ausgeschlossen. Vermutlich wäre
mehrtägiger ziviler Ungehorsam in den reichen Villenvororten Kronberg, Bad
Homburg und Königstein viel öffentlichkeitsträchtiger. Und eine erneute
Reputationsschädigung der Deutschen Bank auf deren
Hauptaktionärsversammlung wäre ebenso ein lohnendes Projekt wie eine
Bankenwechselkampagne für die inzwischen zur Deutschen Bank gehörenden
Postbank-Kunden.
## Ein Misthaufen auf der Plane
Auch das beeindruckend breite Bündnis Umfairteilen, das unter anderem von
Gewerkschaften und Attac getragen wurde, hat mit zivilem Ungehorsam wenig
am Hut. Man beließ es 2012 bei Forderungen, bei einem Kongress und einer
abschließenden großen Demonstration. Für Attac ist es schon viel, auf einer
Plane einen Misthaufen vor dem Kanzleramt zu platzieren, um den Mist des
Reichtums und seine notwendige Verteilung zu symbolisieren. Die Plane ist
der Bahnsteigkarte vergleichbar, die Deutsche wohl lösen, wenn sie sich auf
die „Fahrt zur Revolution“ machen, wie Lenin sarkastisch formulierte.
Überhaupt Attac. Der Vollmundigkeit bezüglich des zivilen Ungehorsams
stehen wenige Taten gegenüber: Banken besetzen, ein wenig, aber doch nicht
wirklich – lieber Zeitungen verteilen und fröhliche Bankenwechselpartys
veranstalten. Attac hat leider nur eine große Klappe und denkt eher daran,
seinen Status der Gemeinnützigkeit zu bewahren, der durch Proteste
gefährdet werden könnte, als an zivilen Ungehorsam. Es kann auch eine
Politik der vollen Hosen geben.
Die Ängste vor zivilem Ungehorsam sind verständlich und oft noch
übermächtig. Aber sie passen nicht mehr so ganz zum berechtigten Zorn über
viele gesellschaftliche Entwicklungen. Demokratie und ziviler Ungehorsam
werden noch zu wenig zusammen gedacht. Da hilft nur: üben am geeigneten
Objekt – und lernen, gelassen einen Strafbefehl wegen Besetzung einer
Zockerbank auszuhalten.
16 Feb 2013
## AUTOREN
Peter Grottian
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