# taz.de -- taz-Kolumne über die Polizei: Die Würde des Menschen... | |
> ... ist unantastbar, darauf wollen sich alle einigen können. Doch | |
> unantastbar ist vor allem die Würde der Polizei. | |
Bild: Nach dem Anschlag in der Kölner Keupstraße am 9. Juni 2004 | |
Dieser Text ist Teil einer innerredaktionellen Debatte über die Kolumne | |
[1][„All cops are berufsunfähig“ von unserer Autor:in Hengameh | |
Yaghoobifarah]. Es werden in den kommenden Tagen weitere, konträre Texte | |
aus unterschiedlichen Perspektiven folgen. | |
Ein schwarzer Mann kommt in der sachsen-anhaltinischen Stadt Dessau in | |
Polizeigewahrsam. Seine Zelle ist der letzte Raum, den er betritt. Er | |
verbrennt hier. Beamte der Polizeidienststelle behaupten, er habe seine | |
Matratze angezündet. Der Mann war aber gefesselt. Engagierte sehen sich | |
deshalb gezwungen, selbst aufzuarbeiten. Sie geben Gutachten in Auftrag. | |
Eines ergibt, dass der Mann vor seinem Tod schwer misshandelt worden ist. | |
Ein [2][Dessauer Staatsanwalt] vermerkt in den Akten, dass der Mann vor | |
Ausbruch des Feuers mindestens handlungsunfähig gewesen ist, vermutlich mit | |
Brandbeschleuniger besprüht und [3][angezündet] worden ist. Auch er | |
verweist auf Gutachter. Als Motiv vermutet dieser Staatsanwalt, dass | |
[4][Verletzungen des Mannes] vertuscht werden sollten. Dem Dessauer | |
Staatsanwalt wird der Fall entzogen, die Staatsanwaltschaft Halle | |
übernimmt. Das Verfahren wird eingestellt. | |
Die Würde des Menschen ist antastbar. | |
Über viele Jahre ermorden Neonazis aus dem Untergrund heraus acht Menschen | |
mit türkischen, einen mit griechischen Wurzeln und eine Polizistin. Sie | |
zünden eine Nagelbombe in einer deutschen Straße mit türkischen Geschäften. | |
Nach der Explosion ermitteln Polizisten [5][im Umfeld der Opfer]. Sie | |
vermuten kriminelle Machenschaften im migrantischen Milieu, trotz Hinweisen | |
auf einen rassistischen Hintergrund. Nachdem sich die mordenden Neonazis | |
selbst enttarnen, beginnt ein Prozess, an dessen Ende [6][ein paar Personen | |
verurteilt] werden. | |
Der große Teil der deutschen Öffentlichkeit ist über diesen Prozessausgang | |
nicht empört. Er ist gefasst. Dabei weiß er, wie unwahrscheinlich es ist, | |
dass die Verurteilten allein hinter den Morden stecken. Daran gibt es | |
begründete Zweifel. Der große Teil der deutschen Öffentlichkeit weiß, dass | |
dieser Staat bei den NSU-Morden im besten Fall nur passiv war. Als das | |
Urteil im Münchener Oberlandesgericht vorgelesen wird, applaudieren | |
Neonazis für angeklagte Neonazis. Sie applaudieren in Anwesenheit von | |
Angehörigen der Getöteten. | |
Die Würde des Menschen ist antastbar. | |
In den USA tötet ein Polizist einen Afroamerikaner. Schon wieder. Wütende | |
Proteste brechen aus. Es brennen Polizeireviere. Es wird geplündert. Auch | |
in Deutschland gehen Menschen auf die Straße. [7][In Berlin prügeln | |
Polizisten auf junge Schwarze ein], die sagen: Auch unsere Würde ist | |
unantastbar. In den USA fordern die Betroffenen, die [8][Polizei | |
abzuschaffen]. | |
In Deutschland [9][schreibt eine Kolumnist:in eine polemische Kolumne] | |
über diese Idee. Die einen nennen den Text Satire. Viele schreien Hetze. | |
Polizeigewerkschaften erstatten Anzeige. Rainer Wendt und die CSU | |
interpretieren den Text zu ihren Gunsten. In der taz gehe es „total rund“, | |
zitiert die Konkurrenz aus der Redaktion. Auch der Bundesinnenminister | |
kündigt eine Anzeige an. Die Bild berichtet. | |
Was die Aufgebrachten eint: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Was die | |
Geschichte zeigt: Vor allem die Würde der Polizei ist unantastbar. Was | |
denjenigen, deren Würde in diesem Land angetastet wird, bleibt: Die Würde | |
des Menschen ist relativ. | |
24 Jun 2020 | |
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## AUTOREN | |
Volkan Ağar | |
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