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# taz.de -- taz-Debatte über Müll-Kolumne: Wer spricht? Wer schweigt?
> Die taz besteht aus vielen sehr unterschiedlichen Stimmen. Doch nicht
> alle sprechen unter den gleichen Voraussetzungen.
Bild: So viele Fenster, so viele Perspektiven. taz-Gebäude in Berlin-Kreuzberg
Dieser Text ist Teil [1][einer innerredaktionellen Debatte] über die
Kolumne „All cops are berufsunfähig“ von unserer Autor:in Hengameh
Yaghoobifarah. Es werden in den kommenden Tagen weitere, konträre Texte
folgen.
Im Ressort taz zwei, das ich leite, haben wir am vergangenen Montag eine
[2][Kolumne von Hengameh Yaghoobifarah] veröffentlicht, mit der viele
Kolleg:innen nicht einverstanden sind. Ich habe die Kolumne als eine
polemische und satirisch-groteske Kritik an einer Machtstruktur, an einem
Gewaltmonopol und an einer Reihe von ungeklärten und unverhinderten
Ermordungen in Deutschland gelesen. Ich habe sie im Kontext der aktuellen
politischen Lage gelesen, weil: wie denn sonst?
Ich stehe zur Autor:in, das Ressort ebenso und auch viele weitere
Kolleg:innen aus dem Haus haben direkt, intern oder öffentlich bereits ihre
Solidarität bekundet. Einen tieferen Konflikt in der taz lege diese Debatte
offen, [3][sagte Chefredakteurin Barbara Junge,] und da hat sie durchaus
recht. Es ist eine Tradition, dass große interne Konflikte – und wenn man
genau hinsieht, auch kleine – im Blatt ausgetragen werden. Nicht alle aber
halten diese Form der Debatte unter den gegebenen Umständen für eine gute
Sache.
Was die Aufregung um die taz-zwei-Kolumne derzeit vor allem offenlegt, ist,
dass wir innerhalb der Redaktion nicht alle gleich sind. Zum einen, weil
Solidarität etwas ist, das nicht allen im gleichen Maße und ohne Zögern
zuteil wird.
Zum anderen, weil das Wort „Identitätspolitik“ von einigen, meist weißen
Kolleg:innen immer wieder gebraucht wird, um Autor:innen, Redakteur:innen
und Ressortleiter:innen, die sich selbst als BPoC (Schwarze Menschen und
People of Color) verstehen, Kompetenz, Vernunft, Objektivität oder Relevanz
abzusprechen. [4][Als ginge es am Ende] um Betroffenheit versus
Nichtbetroffenheit. Doch in einer Gesellschaft kann es eine
Nichtbetroffenheit von der Betroffenheit der anderen nicht geben.
## Wer ohne Identität sei, der werfe
Es ist erstaunlich, dass diese Kolleg:innen annehmen, sie selbst seien
objektiv und identitätslos. Als wären sie nicht geboren in eine Familie mit
einer Geschichte, mit Erfahrungen, mit Geld oder ohne, vielleicht im Osten
oder im Westen. Als würden sie die Welt nicht aus einer weißen Perspektive
betrachten – als Frau, als Mann, als Person.
Als könnte man sie nicht genauso einzeln auffächern in die jeweilige
Sprecherposition, die für alles, was sie sagen, maßgeblich ist. Es ist eben
das Private politisch und im Grunde ist alles Identitätspolitik.
Manchen erscheint es dennoch ganz hilfreich, BPoC immer wieder eine
Opferhaltung zu attestieren, während sie selbst auf ihrem über die Jahre
sorgfältig gemäuerten Podestchen die „neutralen“ Beobachter:innen mimen.
Die Enttäuschung, als BPoC mit dem Totschlagargument „identitätspolitisch“
abgekanzelt zu werden, wie es auch die Autor*innen/Kolleg*innen in der
letzten Ausgabe der taz am Wochenende getan haben, ist gerade in einem Haus
wie diesem groß.
## „All Lives Matter“-Take mit Rüschen dran
Denn die taz ist ein Umfeld, in dem andere Emanzipationsbestrebungen
verstanden und unterstützt werden, etwa jene von Frauen oder Homosexuellen.
Jeweils nicht immer einwandfrei und zum Teil noch mit Luft nach oben, aber
der grundlegende Konsens scheint hier vorhanden zu sein.
Dagegen wird die Gleichstellung von BPoC gerne in verschachtelten Vorträgen
als neoliberal oder schlicht egoistisch abgetan. Das ist im Grunde ein „All
Lives Matter“-Take mit ein paar Rüschchen dran. [5][Gaslighting, also eine
Form der Manipulation], durch die unterstellt wird, der Wille, sich für die
eigenen Rechte einzusetzen, käme allein aus einer Motivation, andere
abzuwerten, oder um den Preis, andere Missstände stillschweigend
akzeptieren zu müssen.
Einen weiteren Punkt in der [6][Debatte hat der Tagesspiegel aufgeworfen]:
„Scharfe Kritiker der Kolumne von Yaghoobifarah in der ‚taz‘-Redaktion
stellen sich Polizei-Kritik anders vor – beispielsweise wenn zum extrem
rechten Nordkreuz-Netzwerk recherchiert werde oder über Racial Profiling
berichtet werde“. Und ja, klar, das ist eine Stärke der taz.
Doch die Ressorts sind autonom, sie entscheiden selbst, was sie
veröffentlichen und welchen Themen sie sich widmen – auch das ist eine
Stärke der taz. Die eine Form von Journalismus gegen die andere
auszuspielen, abzuwägen oder unterzuordnen, damit würde sich die taz in
ihren Ausdrucksmöglichkeiten beschränken.
## Wut als rassistische Zuschreibung
Seriösen Journalismus scheint man für viele nur machen zu können, indem man
andere betrachtet, ohne dabei sich selbst zu erkennen. Ohne emotional zu
werden. Auf gar keinen Fall sollte man als BPoC gar wütend werden, das wird
gerne als Hass ausgelegt.
Dass Wut durchaus eine rassistische Zuschreibung sein kann, geschenkt.
Gleichzeitig soll man aber bitte wütend sein, wenn es gerade gut passt, für
redaktionelle Debatten, für publizistische Beiträge. Und dann wird wiederum
unterstellt, es ginge nur um Clickbaiting und um Aufmerksamkeit.
So schreibt [7][zuletzt Stefan Reinecke]: „Mit einer Biografie als
schwuler, urbaner Migrant lässt sich auf den Aufmerksamkeitsmärkten mehr
Kapital generieren als mit einem Dasein als Normalo in Eisenhüttenstadt“,
und dazu kann man nun wirklich nicht mehr viel Vernünftiges sagen, außer:
Dieses „Kapital“ könnt ihr gerne haben und das Trauma gibt's gratis dazu.
Reinecke schreibt auch, die taz habe „in 40 Jahren viel Unfug geschrieben“.
Sie sei libertär und durchlässig für Strömungen gewesen, doch dann
vergleicht er die erschienene Kolumne ausgerechnet mit Beiträgen, die die
RAF oder Kindesmissbrauch – also reale Gewalt – verteidigt haben, was nicht
nur einen Zusammenhang herstellt, wo keiner ist, sondern auch
Machtverhältnisse vollkommen außer Acht lässt.
## Feigenblattexistenz mit Hate-Speech-Garantie
Als BPoC in einer deutschen Redaktion zu arbeiten bedeutet in der Regel,
viele, zum Teil sehr verletzende Debatten führen zu müssen. Die letzte
liegt meistens nicht 20 Jahre zurück, sondern gerade mal zwei Wochen. Es
bedeutet, sich dagegen zu wehren, als Diversity-Feigenblatt eingesetzt zu
werden. Und es bedeutet auch, immer mal wieder die private Erfahrung teilen
zu müssen, wenn etwas veranschaulicht werden muss, das sich der Erfahrung
der Mehrheitsgesellschaft entzieht.
Es heißt für viele, in Themengebieten zu arbeiten, wo es wenig Prestige,
aber umso mehr Hate Speech gibt. Und für manche heißt es, sich den
diskursiven Basisregeln, die andere aufgestellt haben, zu widersetzen. Denn
Gesellschaften haben sich noch nie geändert, weil man so lieb gefragt hat.
Für manche Veränderungen muss man auf die Straße gehen, sich Plätze in den
mehrheitlich weißen Redaktionen erkämpfen, mit spitzer Feder schreiben oder
wie es auch in der taz 1980 für die Frauenquote getan wurde, zu ganz
anderen Mitteln greifen und sich entblößen.
Der Hass und die Drohungen, die unserer Autor:in seit nun bald einer Woche
entgegenschlagen, sind schlicht inakzeptabel. Solidarität zu zeigen und im
Sinne der Sicherheit und des Schutzes der Autor:in zu handeln, hat nichts
mit „Korpsgeist“ zu tun, [8][wie Bettina Gaus schreibt]. Das sollte die
minimale gemeinsame Grundlage in dieser Zeitung bilden.
## Das ist auch unsere taz
Viele Leser:innen haben in den vergangenen Tagen kritisiert, dass nicht
schon in der taz am Wochenende neben den bereits veröffentlichten Artikeln
zur internen Debatte eine Gegenstimme gedruckt wurde. Die Chefredaktion und
die verantwortlichen Redakteur:innen haben nach jemandem gesucht und viele
BPoC im Haus gefragt, ob sie schreiben wollen.
Ich wollte meinen Namen nicht unter einen Text schreiben, der allein dazu
da ist, die Form, den Ton oder den Rahmen anderer Texte zu legitimieren.
Ich wollte keinen Text schreiben, der ein Teil einer Debatte ist, die ein
weiteres Aufbauschen der Empörung und der Bedrohung mitträgt. Für mich wäre
das keine Beteiligung auf Augenhöhe gewesen, sondern ein freier Platz
innerhalb eines Framings.
Und ich war wohl nicht die Einzige mit diesem Gedanken. Mir war der
Wortlaut der erschienenen Texte bei der Ablehnung noch nicht klar, und
rückblickend hätte ich es vielleicht anders machen müssen.
Mein oberstes Ziel war es, Hengameh Yaghoobifarah nicht in den Rücken zu
fallen. Nun schreibe ich dennoch hier, denn es ist auch meine taz. Und es
ist auch Hengameh Yaghoobifarahs taz.
21 Jun 2020
## LINKS
[1] /In-eigener-Sache/!5696448
[2] /Abschaffung-der-Polizei/!5689584
[3] /In-eigener-Sache/!5696448
[4] /Die-taz-die-Polizei-und-der-Muell/!5696446
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Gaslighting
[6] https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/medien/polizisten-auf-den-muell-ei…
[7] /Die-taz-die-Polizei-und-der-Muell/!5696446
[8] /Die-Achtung-der-Menschenwuerde/!5691619
## AUTOREN
Saskia Hödl
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