Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Pressefreiheit in Deutschland: Seehofer will Kolumnist*in anzeigen
> Innenminister kündigt Anzeige wegen eines taz-Textes an. Ob die kommt ist
> unklar. Kanzlerin schaltet sich ein. taz-Chefredakteurin stellt sich vor
> die Autor.in.
Bild: Horst Seehofer nach der Innenministerkonferenz in der vergangenen Woche
Berlin taz/dpa | Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will wegen einer
umstrittenen Kolumne über die Polizei in der taz Strafanzeige stellen. „Ich
werde morgen als Bundesinnenminister Strafanzeige gegen die Kolumnistin
wegen des unsäglichen Artikels in der taz über die Polizei stellen“, sagte
der CSU-Politiker der Bild-Zeitung am Sonntagabend. „Eine Enthemmung der
Worte führt unweigerlich zu einer Enthemmung der Taten und zu
Gewaltexzessen, genauso wie wir es jetzt in Stuttgart gesehen haben. Das
dürfen wir nicht weiter hinnehmen.“
Damit schließt sich Seehofer den Polizeigewerkschaften an. Diese hatten
schon in der vergangenen Woche Anzeige gegen die taz und die Autor.in wegen
der Kolumne unter dem Titel „All cops are berufsunfähig“ angekündigt.
Ob Seehofer die Anzeige tatsächlich stellt, ist indes noch offen. Anders
als von dem Minister per Bild verkündet, sei darüber noch nicht
entschieden, sagte ein Sprecher seines Ministeriums am Montag in Berlin.
Offenbar hat sich auch die Bundeskanzlerin hat eingeschaltet.
Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sei
darüber mit Seehofer im Gespräch.
Die Chefredakteurin der taz, Barbara Junge, hatte am Montagmorgen zu
Seehofers Ankündigung erklärt: „Als Bundesinnenminister ist Seehofer qua
Amt für den Schutz der Verfassung zuständig und damit für die darin
garantierte Freiheit der Presse. Seehofer ist auch für die Polizei
zuständig. In diesem Fall stellt der Bundesinnenminister die Belange der
Polizei über die Pressefreiheit. Seine Entscheidung hätte deutlicher nicht
sein können. Seine Anzeige gegen unsere Autor.in ist ein beschämender
Angriff auf die Pressefreiheit.“
Am vergangenen Montag war der Text mit dem Titel [1][“All cops are
berufsunfähig“] erschienen. Es ging darum, wo Polizisten arbeiten könnten,
wenn die Polizei abgeschafft würde, der Kapitalismus aber nicht. Darin
wurde auch die Option der Mülldeponie aufgegriffen. Aus der Berufsgruppe
heraus und von Politikern kam danach viel Kritik. Polizeigewerkschaften
kündigten an, mit Strafanzeigen dagegen vorzugehen. Beim Deutschen
Presserat – der freiwilligen Selbstkontrolle der Presse – gingen bereits
bis Dienstag rund 50 Beschwerden ein.
Die CSU hatte in der vergangenen Woche bereits ein Foto der Autor.in auf
Twitter veröffentlicht mit dem Zusatz: „Die hässliche Fratze der
hasserfüllten Linken“. Das wirkte wie ein virtueller Pranger. Mittlerweile
hat die CSU den Tweet gelöscht und sich für die Form entschuldigt. „Unsere
Autor.in wurde so zur Zielscheibe von Hass und Hetze gemacht. Mit seiner
angekündigten Anzeige führt Seehofer diesen Kurs fort und setzt Hengameh
Yaghoobifarah erneut Bedrohungen aus“, sagt Barbara Junge.
Die taz-Chefredakteurin [2][hatte bereits auf die Kritik an der Kolumne
reagiert]. Junge schrieb an die Leserinnen und Leser über den Artikel:
„Eine Kolumne, so satirisch sie auch gemeint gewesen sein mag, die so
verstanden werden kann, als seien Polizisten nichts als Abfall, ist
danebengegangen. Das tut mir leid.“
Zudem schrieb Junge, das Ringen in der Redaktion über den Text und darüber,
was gesagt werden soll, darf und muss, lege aber auch „einen tieferen
Konflikt in der taz“ offen. „Wir streiten darum, wie stark der subjektive
Blick, wie stark Diskriminierungserfahrung den Journalismus prägen soll
oder darf.“ Junge kündigte zudem an, dass es Debattenbeiträge mit
unterschiedlichen Perspektiven in der Zeitung geben werde, von denen die
ersten inzwischen erschienen sind.
## Kritik von den Grünen
Auch aus der Politik gab es bereits Kritik an Seehofer. Der
Bundesgeschäftsführer der Grünen, [3][Michael Kellner, schrieb auf
Twitter]: „Das ist ein Angriff auf die Pressefreiheit, unabhängig ob man
den Meinungsbeitrag gut oder schlecht findet.“ Mit Blick auf den
ungarischen Ministerpräsidenten und den Chef der polnischen
Regierungspartei, denen jeweils Illiberalismus vorgeworfen wird, fügte er
hinzu: „Ein Innenminister, der eine Journalistin anzeigt, klingt nach Orban
oder Kaczynski.“
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz äußerte Verständnis
für Kritik an der taz-Kolumne. Aber Seehofer „überschreitet eine Grenze“,
schrieb Notz in dem Kurznachrichtendienst. Seine Fraktionskollegin Renate
Künast nannte Seehofers Vorgehen dort „ungeheuerlich“ und fragte: „Das s…
eine Botschaft sein!? Gegen Pressefreiheit!? Seehofer am Ende.“
Der Fernsehsatiriker [4][Jan Böhmermann schrieb]: „Wir sind hier nicht in
der Türkei, in Russland oder im Jahr 1962! Mit dieser gefährlichen
Effekthascherei beschädigt Horst Seehofer nicht nur das Vertrauen in den
Staat. Welche Autorität hat ein Minister noch, der so eine Axt aus seinem
Amt heraus an die Debatte setzen muss?“
22 Jun 2020
## LINKS
[1] /Abschaffung-der-Polizei/!5689584
[2] /In-eigener-Sache/!5696448
[3] https://twitter.com/MiKellner/status/1274801170771578881
[4] https://twitter.com/janboehm/status/1274807578791415808
## TAGS
Schwerpunkt Pressefreiheit
Horst Seehofer
Verfassungsschutzbericht
Schwerpunkt Pressefreiheit
Schwerpunkt Pressefreiheit
Identitätspolitik
Kolumne Habibitus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Verfassungsschutzbericht 2019: Mehr linke Taten, mehr rechte Täter
Innenminister Seehofer sagt einen Termin zur Vorstellung des
Verfassungsschutzberichtes kurzfristig ab. Was im Bericht steht, dringt
trotzdem bereits durch.
Reaktionen auf Seehofer-Ankündigung: „Angriff auf die Pressefreiheit“
Nach der Ankündigung von Innenminister Horst Seehofer, Anzeige gegen die
taz zu stellen, hagelt es Kritik aus der Politik – aber nicht nur.
Verteidigung taz-Kolumne: Wieso soll das verboten sein?
taz-Anwalt Johannes Eisenberg vertritt die taz-Kolumnist*in Hengameh
Yaghoobifarah. Hier schätzt er Horst Seehofers Anzeigeankündigung ein.
taz-Debatte über Müll-Kolumne: Wer spricht? Wer schweigt?
Die taz besteht aus vielen sehr unterschiedlichen Stimmen. Doch nicht alle
sprechen unter den gleichen Voraussetzungen.
taz sachen: Debatte über taz-Kolumne
In der taz ist eine Kolumne erschienen, die eine vielschichtige öffentliche
Debatte um Polizeigewalt, Rassismus und Journalismus ausgelöst hat.
Abschaffung der Polizei: All cops are berufsunfähig
Falls die Polizei abgeschafft wird, der Kapitalismus aber nicht: Was
passiert dann mit all den Menschen, die heute bei der Polizei sind?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.