| # taz.de -- Die taz, die Polizei und der Müll: Wir müssen reden | |
| > Warum die Polizei-Müll-Kolumne aus der taz mehr als grenzwertig ist und | |
| > radikale Identitätspolitik in bleiernes Schweigen führt. | |
| Bild: Balkone am taz-Haus in der Berliner Friedrichstraße | |
| Dieser Text ist Auftakt einer [1][innerredaktionellen Debatte] über die | |
| Kolumne „All cops are berufsunfähig“ von Hengameh Yaghoobifarah. Es werden | |
| in den kommenden Tagen weitere, konträre Texte folgen, die das gesamte | |
| Spektrum der Diskussion abbilden. | |
| In der taz ist in 40 Jahren viel Unfug geschrieben worden. Die RAF wurde | |
| mal gegen den „Bullenstaat“ verteidigt, Pädophile durften sich, als von der | |
| bürgerlichen Gesellschaft unterdrückte Gruppe, vor Jahrzehnten auf | |
| taz-Seiten austoben. Die taz war immer libertär und durchlässig für | |
| Strömungen und Ideen. Manche davon waren visionär, wie die radikale | |
| Ablehnung der Atomtechnik oder die von manchen Männern lange für lästig | |
| gehalten Frauenquote. | |
| Die Grenzen des Erlaubten sind in der taz weiter gesteckt als in Medien, in | |
| denen Hierarchien Schräges und Sperriges filtern. [2][Die | |
| Polizei-Müll-Kolumne von Hengameh Yaghoobifarah] überschreitet indes eine | |
| Grenze, die wir achten sollten: die Herabwürdigung einer Gruppe von | |
| Menschen. | |
| Der Text ist keine Satire. Damit macht man sich einen schlanken Fuß. Denn | |
| Satire darf ja irgendwie alles. Auch das stimmt nicht. In der taz ist die | |
| Liste der zu vermeidenden Worte und von satirischen Bemerkungen | |
| auszusparenden Gruppen im Laufe der Jahre länger geworden. | |
| PolizistInnen werden in diesem Text als untauglich für jeden anderen Beruf | |
| beschrieben und landen am Ende als Abfall auf dem Müll: „Spontan fällt mir | |
| nur eine geeignete Option ein: die Mülldeponie, wo sie wirklich nur von | |
| Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch | |
| selber am wohlsten.“ Das mag, streng nach Definition, keine gruppenbezogene | |
| Menschenfeindlichkeit sein, riecht aber ähnlich übel. | |
| Man identifiziert eine Gruppe, die in der eigenen Community als Feindbild | |
| tauglich erscheint, und bekübelt sie mit Herabwürdigungen, die ein kleines | |
| bisschen – zwinker, zwinker – lustig gemeint sind. Im Kern aber eben nicht. | |
| ## Klicks auf Kosten der Aufklärung | |
| Deshalb ist der Schluss kein dummer Ausrutscher, wie er TextproduzentInnen, | |
| die einen Ruf als originell und scharfzüngig zu verteidigen haben, halt mal | |
| passiert. Die Müll-Metaphorik ist die notwendige Klimax des Textes: | |
| unbrauchbar, Abfall. Und der Trigger-Punkt, mit dem die taz Klicks | |
| generiert. Nichts gegen Klicks, aber nicht auf Kosten der Aufklärung. | |
| Gilt Abfall eigentlich auch für die 16 Prozent Frauen in der Polizei? Auch | |
| für das Drittel der neu eingestellten PolizistInnen in Berlin mit | |
| Migrationshintergrund? Oder nur für biodeutsche Männer? | |
| Eine Gruppe wird beschimpft, ausgegrenzt, entwürdigt. Das erinnert an | |
| rechte Hate Speech. Und hat mit rhetorisch geschärfter Machtkritik nichts | |
| zu tun. Rechtsextreme Hassrede richtet sich zwar gegen Minderheiten, | |
| während hier eine Berufsgruppe attackiert wird, die eine Wahl getroffen | |
| hat. Aber Polizisten sind selbst schuld, ist gedankenarme Ablenkung. | |
| Wie wäre es mit: Singles sind Müll? (Nehmen anderen die Wohnung weg.) | |
| Unterschichtsangehörige sind Müll? (Hätten sich mehr anstrengen sollen.) | |
| Oder: taz-KolumnenschreiberInnen sind Müll? Das verdeutlicht, wie absurd | |
| Kollektivbeschimpfungen sind. Die extreme Identitätspolitik mit ihrem | |
| Wir-Die-Raster ist ihren Feinden näher, als sie ahnt. | |
| PolizistInnen repräsentieren den Staat: Also fight the power und so? Und | |
| verstehen nur weiße Männer das nicht, die unfähig sind, ihr Privileg zu | |
| begreifen, von der Polizei nicht rassistisch angegangen zu werden? Dieses | |
| Argument ist stets zu bedenken. Wahrscheinlich haben wir, weiße Männer, | |
| diesen Unterschied noch nicht ausreichend begriffen. | |
| ## Ein fast unmöglicher Diskurs | |
| Die Sprecherposition aber zu essentialisieren und zum entscheidenen | |
| Dreh-und Angelpunkt zu machen macht den Dialog fast unmöglich. Wird die | |
| Sprecherposition als finales Argument benutzt (Betroffenheit versus | |
| Nichtbetroffenheit), schrumpfen Argumente zur B-Note. Das ist die | |
| Persiflage jedes aufklärerischen Diskurses. Wenn nur Betroffene legitimiert | |
| sind zu reden, zerfällt die Öffentlichkeit. Der Austausch und Abgleich von | |
| Interessen und Symbolen mit allgemein anerkannten Regeln schützt die | |
| Gesellschaft vor der Barbarei, vor dem puren Recht des Stärkeren. | |
| Die Hybris, diskursive Regeln ignorieren zu dürfen, gedeiht offenbar auf | |
| dem Humus des Bewusstseins, Betroffene zu repräsentieren, recht gut. Aber | |
| dieses Recht hat niemand in der taz. Kein Opferstatus rechtfertigt | |
| Kollektivherabwürdigungen. Polemik? Gerne. Menschenfeindliche Metaphorik? | |
| Nein. Es ist befremdlich, dass einige in der taz diese zivile | |
| Selbstverständlichkeit für eine Zumutung halten. | |
| Und: Überprüfe dein Privileg? Darüber müssen wir reden. Aber das gilt für | |
| alle. Vor ein paar Tagen war die Straße vor der taz gesperrt. Ein junge | |
| Polizistin mit Migrationshintergrund regelte den Verkehr. Es war heiß und | |
| die bösen Blicke der AutofahrerInnen noch das Wenigste. BerufsanfängerInnen | |
| bei der Polizei bekommen in Berlin 2.000 Euro brutto im Monat, mit | |
| Schichtdienst. Aufstiegschancen übersichtlich. | |
| ## Eine Geste sozialer Verachtung | |
| Das linksalternative Bild, dass eine taz-Autor:in mit | |
| Migrationshintergrund, die „nach oben“ (Polizei) tritt, alles darf, weil | |
| sie angeblich aus einer Position der strukturellen Unterlegenheit schreibt, | |
| ist allzu gemütlich. Den Text durchzieht eine Geste sozialer Verachtung, | |
| die in der Müll-Metapher mündet. Die Polizisten, die unbrauchbar für alles | |
| sind – das ist der Blick von den Anhöhen diskursiver Bildungs- und | |
| Sprachmacht nach unten. | |
| Das verweist auf einen blinden Fleck im Konzept des Kampfes gegen | |
| Diskriminierung nach Geschlecht, Ethnie und Klasse. Klasse ist dort zwar | |
| theoretisch mitgedacht. Praktisch aber spielt der 16-jährige Biodeutsche | |
| aus bildungsfernem Haushalt in einer Kleinstadt, für den ein Polizeijob ein | |
| Geschenk wäre, keine Rolle. Mit einer Biografie als schwuler, urbaner | |
| Migrant lässt sich auf den Aufmerksamkeitsmärkten mehr Kapital generieren | |
| als mit einem Dasein als Normalo in Eisenhüttenstadt. | |
| Kein Missverständnis: Es geht um keinen neomarxistischen Aufguss von Haupt- | |
| und Nebenwiderspruch. Aber es ist auffällig, dass in den aktuellen | |
| identitätspolitischen Diskursen Klasse kaum eine Rolle spielt. Es gibt eine | |
| uneingestandene Nähe des Konzepts der Intersektionalität, der | |
| Mehrfachdiskriminierung mit individualistischen Mustern, die durchaus | |
| anschlussfähig an neoliberale Ideen sein können. | |
| Wir brauchen eine Gesellschaft ohne Diskriminierung. Auf dem Weg dorthin | |
| benötigen wir ein paar diskursive Basisregeln. Sie schützen übrigens gerade | |
| Minderheiten. Halten wir uns dran. | |
| 20 Jun 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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