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# taz.de -- Seehofer und die taz: Einsam an der Spitze
> Bundesinnenminister Seehofer fällt die Trennung von Amt und Person
> schwer. Für fällige gesellschaftliche Debatten bedeutet das nichts Gutes.
Bild: Horst Seehofer grüßt
Was für eine Woche. In [1][Stuttgart marodieren Jugendliche] durch die
Fußgängerzone und verletzen PolizistInnen. Beim Militärischen
Abschirmdienst und dem Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr müssen sie mal
nach den Rechten schauen. In Hamburg spricht ein Gericht einen Polizisten
frei, der einen Geflüchteten erschossen hat. In Berlin soll der
[2][Verfassungsschutzbericht] vorgestellt werden – die Zahl der erfassten
RechtsextremistInnen in Deutschland ist von 24.100 auf beunruhigende 32.080
angestiegen.
Und der Innenminister? Ist sauer, sagt alle Termine ab und verschwindet für
48 Stunden von der Bildfläche. Der Grund ist ein Interview, das Horst
Seehofer (CSU) der Bild-Zeitung gegeben hatte. Darin erklärte er, gleich am
Montag Strafanzeige gegen die taz erstatten zu wollen. Deren Autor_in
[3][Hengameh Yaghoobifarah hatte in einer Kolumne] über Möglichkeiten des
Einsatzes von PolizistInnen abseits ihres Berufsstandes spekuliert und war
dabei auf der „Mülldeponie“ gelandet.
Horst Seehofer (CSU), oberster Dienstherr der Polizei, war empört. Eine
Anzeige, mag er sich gedacht haben, wäre ein starkes Zeichen der
Solidarität mit seinen PolizistInnen. Aber eben auch ein medial gut
verkäuflicher Profilierungs-Move für ihn selbst. Das war eine
Fehleinschätzung, deren Tragweite zu erfassen Seehofer deutlich zu lange
gebraucht hat. Und darin liegt das eigentlich Beunruhigende. Ein
Innenminister muss tun, was ein Innenminister tun muss. Aber eben nicht,
was ihm sein persönliches Gefühl sagt.
Andere SpitzenpolitikerInnen haben für solche Fälle versierte Fachleute und
BeraterInnen. Seehofers störrischer Entscheidungsprozess hingegen wirkte
verdammt einsam. Bei einem Regierungsmitglied, dessen Land jederzeit in
eine Großlage geraten kann, könnte dies gefährlich werden. Es macht einen
Unterschied, ob Privatpersonen und Vereinigungen ihrer Empörung per
Strafanzeige Ausdruck verleihen oder ob das der Verfassungsminister tut.
## Seehofer vermischt die Gewalten
Wenn also ein Mitglied der Exekutive mit Mitteln der Judikative versucht,
Auseinandersetzungen in eigener Sache zu führen, verrutschen die
Machtverhältnisse. Die Kanzlerin sieht das so, die Union sieht das so, erst
recht die demokratische Opposition. Nur Horst Seehofer hat für diese
Erkenntnis länger als alle anderen gebraucht.
Mag den Minister ein Text und dessen Haltung gegenüber Menschen noch so
sehr berühren und aufbringen – mit seiner Drohung, die Staatsanwaltschaft
in die Spur zu schicken, hat er den Gegenstand seiner Wut noch einmal
deutlich aufgeblasen. Sein politisches Anliegen, nämlich auf die Verrohung
des gesellschaftlichen Diskurses aufmerksam zu machen, rutschte damit in
den Hintergrund.
Zu grell schillerte der Verdacht, der Bundesinnenminister wolle an der
[4][Presse- und Meinungsfreiheit] rumschrauben. Am Donnerstag schließlich
ließ Horst Seehofer eine Erklärung veröffentlichen. Er werde keine Anzeige
gegen die taz erstatten, lade aber deren Chefredaktion zum Gespräch in sein
Ministerium ein. Die wiederum würde reden – aber zu anderen Bedingungen.
Der Streit zwischen dem Innenminister und der taz wird damit zum Gehakel;
sein überaus ernster Inhalt verschwindet hinter Formfragen.
Seehofer bleibt im Gespräch – nicht aber der strukturelle Rassismus bei der
Polizei. Was bleibt von der Woche? Vor allem Beunruhigung. Horst Seehofer
führt ein Megaministerium mit 2.100 Bediensteten und einem
16-Milliarden-Euro-Etat. Er ist als Verfassungsminister zuständig für die
innere Sicherheit des Landes, für Integrationspolitik und
Katastrophenschutz. In einem Jahr wählen die BürgerInnen ein neues
Parlament. Horst Seehofer wird versuchen, bis zum letzten Augenblick an
Bord zu bleiben.
Er ist besessen davon, fünf Minuten nach Angela Merkel das politische
Berlin zu verlassen. Ob sich sein Wunsch erfüllt, ist nach diesen
Chaostagen fraglicher geworden.
26 Jun 2020
## LINKS
[1] /Randale-in-Stuttgart/!5690923/
[2] /Verfassungsschutzbericht-2019/!5696773&s=verfassungsschutzbericht/
[3] /Abschaffung-der-Polizei/!5689584&s=hengameh/
[4] /Medienreaktionen-auf-Seehofer/!5691089&s=hengameh/
## AUTOREN
Anja Maier
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