| # taz.de -- Zwischenbilanz des UN-Aktionsplans 2015: Wie läuft’s? | |
| > Weniger Armut, mehr Umweltschutz: 17 Ziele für ein gutes Leben hatten | |
| > sich die Vereinten Nationen 2015 gesetzt. Doch die Welt steckt fest. | |
| Bild: Läuft nicht bei uns: Das zweite Jahr in Folge macht die Welt in Sachen N… | |
| Die Resolution 70/1 wählt selbst für UNO-Standards große Worte. „Die Welt | |
| umgestalten“ ist der Beschluss überschrieben. Das Ziel: ein Aktionsplan für | |
| Menschen, den Planeten und den Wohlstand. Man sei entschlossen, kühne | |
| Schritte zu unternehmen, um die Welt auf einen nachhaltigen Pfad zu | |
| bringen, versprachen die Staaten in der UN-Generalversammlung. Und: „Alle | |
| Länder und Betroffenen werden in partnerschaftlicher Zusammenarbeit diesen | |
| Plan umsetzen.“ | |
| Das war 2015. Die UN-Staaten beschlossen 17 Ziele für nachhaltige | |
| Entwicklung („Sustainable Development Goals“, SDG), welche etwa den Hunger | |
| und die Armut bekämpfen, Gesundheit und gute Jobs garantieren und | |
| natürliche Ressourcen wie Wälder, Äcker, Ozeane und Atmosphäre schützen | |
| sollen. | |
| Und heute? Auf der Hälfte des Weges bis 2030 sieht eine Zwischenbilanz | |
| nüchtern aus: „Das zweite Jahr in Folge macht die Welt keine Fortschritte | |
| mehr“, urteilt [1][eine umfassende Studie], die das Forschungsnetzwerk SDSN | |
| am Donnerstag im Auftrag der UNO vorgestellt hat. | |
| Der „Sustainable Development Report 2022“ ist ein brisantes politisches | |
| Statement. Er liefert eine Fülle von Daten darüber, wie es um die | |
| Menschenrechte bei Gesundheit, Armutsbekämpfung, Ernährung und Zugang zu | |
| Ressourcen in einzelnen Staaten steht. „Gruppen aus der Zivilgesellschaft | |
| nutzen unseren Bericht, um zu Hause die Versprechen ihrer Regierungen | |
| einzufordern“, sagt Christian Kroll, Wirtschaftsforscher und Professor für | |
| Nachhaltigkeit an der International University in Hannover, einer der | |
| Autoren des Berichts. „Sie können sagen: Schaut mal, wo wir stehen und wo | |
| unsere Nachbarn stehen.“ | |
| Fünfhundert Seiten stark ist die Zwischenbilanz, ein daten- und | |
| detailversessenes Alarmzeichen. „Vielfältige und überlappende Gesundheits- | |
| und Sicherheitskrisen haben zu einer Umkehrung im Prozess geführt“, heißt | |
| es. Dabei sind die Folgen des russischen Kriegs gegen die Ukraine – der | |
| Verlust von Sicherheit, drohende Hungerkatastrophen – in dem Bericht noch | |
| nicht einmal berücksichtigt. | |
| Der Report warnt: Schon in den letzten Jahren war der Fortschritt zu | |
| gering, um die Ziele für 2030 zu erreichen. Nun ist die Situation noch | |
| schlimmer geworden. Das liegt teils daran, dass sich die armen Länder | |
| langsam oder gar nicht von der Coronapandemie erholen und die reichen | |
| Länder bei Klima- und Biodiversitätsfragen keinen Kurswechsel schaffen. | |
| „Das große Problem der UN-Entwicklungsziele ist, dass sie nicht verbindlich | |
| sind“, sagt Christian Kroll. „Deshalb versucht unsere Arbeit, eine gewisse | |
| Rechenschaftspflicht zu etablieren, mit der die Zivilgesellschaft in den | |
| Ländern Druck machen kann.“ | |
| Das ist dringend nötig. Im September treffen sich die Staats- und | |
| Regierungschefs zur SDG-Halbzeitbilanz bei der UNO in New York. Da müsse | |
| das Entwicklungsthema wieder gestärkt und besser finanziert werden, so der | |
| Bericht. Vor allem brauche es Kooperation, deutlich mehr und | |
| zielgerichtetes Geld, und eine Veränderung bei Konsum- und | |
| Produktionsmustern in den reichen Ländern. Denn das ist einer der großen | |
| Vorteile der SDG: Sie formulieren nicht wie früher „Entwicklungsziele“ nur | |
| für die armen Länder – sondern erkennen an, dass sich für nachhaltige | |
| Entwicklung gerade die Industrienationen verändern müssen. | |
| Besonders bei der Bekämpfung von [2][Armut und Hunger] hat die Welt an | |
| Schwung verloren. Ähnlich sieht es bei guten Jobs, besserer Gesundheit und | |
| Bildung aus. Zwischenzeitliche Fortschritte bei Öko-Indikatoren (Land, | |
| Wasser, Klima) gingen mit dem Ausklingen der Coronapandemie und ihrer | |
| Einschränkungen wieder verloren. Riesig ist die Schieflage bei den | |
| Finanzen: Für 51 Prozent der Weltbevölkerung stünden nur 15 Prozent der | |
| globalen Investitionen zur Verfügung. „In den Ländern mit niedrigem | |
| Einkommen lagen die fiskalischen Auslagen pro Kopf 2019 bei 133 Dollar“, | |
| heißt es, „das ist nicht genug für allgemeine Schulbildung“ – von den | |
| anderen 16 SDGs ganz zu schweigen. | |
| Um diese Unterfinanzierung zu beenden, müssten die G20-Staaten mehr | |
| Entwicklungshilfe, mehr Investitionen und Einsatz ihrer Entwicklungsbanken | |
| beschließen. Die AutorInnen des Berichts fürchten aber auch, dass | |
| angesichts von Pandemie und Ukrainekrieg das Geld eher in Wirtschaftshilfen | |
| für Industrienationen [3][oder in Aufrüstung fließen wird]. | |
| Die Bilanz liefert nicht nur einen globalen Überblick, sondern geht ins | |
| Detail. Mit großer Transparenz bewertet sie das Engagement von 163 Staaten | |
| für eine bessere Zukunft. Ein komplexes System, das sich aus globalen und | |
| nationalen Statistiken speist und die 169 Unterziele der 17 SDGs | |
| beleuchtet, führt zu detaillierten Ländercharts und Vergleichstabellen. Das | |
| nachhaltigste Land der Welt ist demnach Finnland, gefolgt von seinen | |
| Nachbarn Dänemark, Schweden und Norwegen. Nach Österreich folgt Deutschland | |
| auf Platz 6. Alle Top-Ten-Plätze und fast alle Notierungen bis Platz 30 | |
| belegen europäische Länder – nur Japan (19) und Neuseeland, Korea, Chile | |
| und Kanada auf den Rängen 26 bis 29 liegen auf anderen Kontinenten. Die | |
| AutorInnen merken an, dass „das europäische Modell der sozialen Demokratien | |
| förderlich zu sein scheint“. | |
| Die USA stehen auf Platz 41, direkt hinter Kuba, auch hinter Belarus (34) | |
| und der Ukraine (37), knapp vor Russland (45), Brasilien (53) und China | |
| (56). Am unteren Ende der Skala finden sich ärmere Staaten, vor allem aus | |
| Afrika und Asien (Indien auf 121), Schlusslichter sind Somalia, Tschad, die | |
| Zentralafrikanische Republik und der Südsudan. Die größten Fortschritte | |
| über die letzten Jahre haben Bangladesch und Kambodscha gemacht, abgestürzt | |
| ist Venezuela. | |
| Immerhin bewertet der Report auch, wie sehr sich die Regierungen der Länder | |
| anstrengen, die Ziele zu erreichen. Ganz vorn liegen auch dort wieder die | |
| skandinavischen Länder, aber auch Deutschland, Slowenien, Mexiko und | |
| Argentinien. In den USA, Russland, Brasilien, Bolivien, Israel oder Vietnam | |
| kümmert sich die Politik hingegen kaum um das Thema. | |
| Grund für Hochmut bei den Industriestaaten gibt es dennoch nicht, dank des | |
| sogenannten „Überschwapp-Index“. Dieser zeigt an, wie sehr Industrieländer | |
| durch Importe, Exporte, Kredite, Handelsverträge oder Korruption die | |
| [4][nachhaltige Entwicklung in anderen Ländern behindern]. | |
| Und hier sehen die Länder, die den offiziellen Index anführen, gar nicht | |
| gut aus: Nachhaltigkeits-Champion Finnland rutscht von Platz 1 bei den SDG | |
| auf Rang 124, wenn seine internationalen Auswirkungen eingerechnet werden. | |
| Und Ex- und Importland Deutschland sackt von Platz 6 auf Rang 149 ab. Am | |
| wenigsten negativen Einfluss auf andere Länder hat Somalia. | |
| 3 Jun 2022 | |
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| [1] https://www.sustainabledevelopment.report | |
| [2] /Anstieg-waehrend-Corona/!5784964 | |
| [3] /Weltweite-Ruestungsausgaben-2021/!5846897 | |
| [4] /Umsetzung-der-SDG-Ziele/!5613011 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernhard Pötter | |
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