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# taz.de -- ZDFneo-Serie „Wir“: Pilcher für Hipster
> “Wir“ erzählt von einem hippen Freundeskreis in Brandenburg. Hauptrolle
> in der ZDFneo-Serie spielt in erster Linie die Instagram-Ästhetik.
Bild: Helena (Katharina Nesytowa, l.) und Annika (Eva Maria Jost, r.) im Baumha…
Auf Tiktok und anderen Sozialen Medien trendet seit einer Weile die
Modebewegung Cottagecore. Dabei feiern junge Menschen eine verkitschte Idee
des Landlebens: Sie zeigen sich in wallenden Kleidern, zugewachsenen
Gärten, beim Tee in urigen Hexenhäuschen oder in holzvertäfelten Küchen
beim Brotbacken. Es ist der Hipster-Gegenentwurf zum hektischen
Karriereleben.
Die ZDFneo-Serie „Wir“ ist der Inbegriff dieses Wunsches nach dem
Instagram-tauglichen Frieden. Dass früher oder später Brandenburg vor die
Cottagecore-Linse gerät, war auch nur eine Frage der Zeit, bei all den
Berliner:innen, die sich dort ihren Traum von Idylle und Natur zu erfüllen
versuchen.
Über zwölf Folgen wird ein Freundeskreis Anfang Dreißig begleitet: Da sind
Helena und Tayo, die sich zusammen ein Haus in Teltow bei Berlin gekauft
haben, oder Maik und Linh, die schon zwei Kinder haben und die alte
Familiengärtnerei neu aufbauen wollen. Zu sehen sind die Freund:innen bei
Geburtstagen im Garten oder beim Renovieren von Bauernhäusern. Ästhetisch
erinnert die Serie mit ihren Retrofarbpaletten und ultrasymmetrischen
Kameraeistellungen [1][an Wes Anderson], inhaltlich eher an Rosamunde
Pilcher.
## Genügsamkeit statt Abenteuer
Die gemütliche Stimmung dieses Märchenwelt-Brandenburgs steckt an. Der alte
Freundeskreis sitzt in einem lampionbehangenen Pavillon, trinkt und
öffnet gelbe Ü-Eier. Die sind Zeitkapseln und darin Zettel, auf die sie
alle mit Anfang Zwanzig ihre Hoffnungen und Träume geschrieben haben. Eine
wollte Künstlerin werden, der andere Lamborghini in New York fahren, eine
andere hat sich nur gewünscht, mit ihrem Jugendfreund zusammenzubleiben. Es
scheint: Hier geht es nicht um Aufbruch, Abenteuer, oder was alles noch
möglich ist, wie in [2][Coming-of-Age-Filmen]. Sondern um Genügsamkeit und
Akzeptanz, also das wirkliche Erwachsenwerden.
Inhaltlich schafft es „Wir“, gleichzeitig eine relativ traditionelle Story
zu erzählen, sie aber um Progressives zu ergänzen. Der Cast ist
einigermaßen divers, die Beziehungen sind in einer modernen Millennialwelt
verortet: Die Hauptstory erzählt von einer verflossenen Liebe zwischen zwei
Frauen.
Doch wie verflossen das Ganze ist, wird infrage gestellt, als Annika
auftaucht. Sie ist die eine aus dem Freundeskreis, die die Welt gesehen und
Karriere als Architektin in Hamburg gemacht hat. Dass sie sich einfach so
verabschiedet hat, nimmt man ihr zu Hause übel. Nach über zehn Jahren kommt
sie in ihre Heimatstadt Teltow zurück. Besonders für Helena, die jetzt
Schulleiterin im Ort ist und eine Zukunft mit ihrem Verlobten Tayo plant,
ist das ein Schock. Denn Annika war ihre Jugendliebe. Ihr plötzliches
Auftauchen bringt die geordneten Verhältnisse durcheinander und weckt alte
Gefühle.
## Liebelei statt Freundeskreis
Dann kommt eines zum anderen: Annikas Nichte wird bei Helena eingeschult,
Annika braucht für ein Bauprojekt eine Polnisch-Übersetzerin. Immer wieder
laufen die beiden sich über den Weg – so wie es der Zufall nun einmal in
öffentlich-rechtlichen Romanzen will.
Und das ist „Wir“ auch vornehmlich. Die Liebesgeschichte spielt klar die
Hauptrolle, der hippe Freundeskreis und dessen mögliche Sorgen und Nöte
bleiben weitgehend Kulisse dafür. Wird hier zugegeben, dass das Leben ab
dreißig doch zu langweilig ist, um es zu erzählen, zumindest wenn darin
keine erschütternden Umbrüche stattfinden?
Aber auch, wenn „Wir“ nicht so sehr die Studie eines Lebensabschnittes ist,
wie die Serie vielleicht vorgibt, ist die Story mitreißend erzählt. Wenn
Annika und Helena in ihrem alten Baumhaus im Wald sitzen und es zu regnen
beginnt, kann man quasi mitfühlen, wie sie plötzlich wieder Anfang Zwanzig
sind, überwältigt und verliebt. Die Jahre und Erfahrungen, die sie getrennt
haben: verschwunden.
Aber vielleicht will „Wir“ auch genau das erzählen: Dass man als
abgeklärter Cottagecore-Hipster in seinen Dreißigern nicht davor sicher
ist, jederzeit wieder zum verpeilten Twen zu werden.
15 Oct 2021
## LINKS
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[2] /Starzplay-Serie-We-Are-Who-We-Are/!5755744
## AUTOREN
Emeli Glaser
## TAGS
Millennials
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