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# taz.de -- Wiederwahl in Thüringen: Ramelows Hofstaat
> Bei aller Erleichterung: Man sollte sich mal fragen, welchen Anteil Bodo
> Ramelow an der Regierungskrise hatte.
Bild: Gilt vielen als Sozialdemokrat in der falschen Partei: Thüringens Minist…
Bodo Ramelow ist [1][wiedergewählt]: Eine lange Hängepartie, die in das
bekannte Drama mit einem von der AfD gewählten Ministerpräsidenten und den
Fall der CDU-Vorsitzenden mündete, ist – vorerst – zu Ende.
Der Preis ist hoch: Der Neuwahltermin ist aus rein taktischen Gründen ins
nächste Jahr verschoben, und Rot-Rot-Grün hat weiter keine Mehrheit im
Landtag. War das alles nötig?
Eine Frage ist viel zu selten und nur sehr vorsichtig gestellt worden: Was
ist eigentlich Bodo Ramelows Beitrag an der Thüringer Staatskrise gewesen?
Seine rot-rot-grüne Regierung hatte bei den Landtagswahlen im vergangenen
Oktober ihre Mehrheit verloren. In drei Monaten schaffte Ramelow es nicht,
mindestens eine stille Duldung im Parlament hinzubekommen – oder
konsequenterweise Neuwahlen zu initiieren. Dann präsentierte er, ohne
parlamentarische Mehrheit, einen Koalitionsvertrag und stellte sich im
Landtag zur Wahl.
Ramelow hätte unbefristet als geschäftsführender Ministerpräsident im Amt
bleiben können, wie auch seine Minister. Und, ja: Ohne Ramelows
Himmelfahrtskommando des 5. Februar hätte Thomas Kemmerich nicht mit den
Stimmen der AfD gewählt werden können. Der Ministerpräsident als von der
eigenen Partei entrückter Landesvater, der von der demokratischen
Opposition unterstützt wird – das Kalkül ist nicht aufgegangen.
## Sozialdemokrat in der falschen Partei
Thüringen ist politisch ein gespaltenes Land, das Rot-Rot-Grün mit knapper
Mehrheit kein Mandat gegeben hat. Ramelow-Fans haben es lange nicht
wahrhaben wollen, weil sie sich in ihrer eigenen Meinungsblase zu gemütlich
eingerichtet haben.
[2][Bodo Ramelow] finden alle, die sich als politisch aufgeklärt verstehen,
irgendwie gut: Die Linkspartei weiß, was sie an ihm hat, weil er
anschlussfähig für die politische Mitte ist. Im Karl-Liebknecht-Haus mag
man heimlich über sein christliches Pathos („ich nehme meine Kraft aus den
Paulus-Briefen“) und sein sorgfältig aufgebautes Landesvater-Image die
Augen rollen – Ramelow ist für die Partei Gold wert, weil er der einzige
Ministerpräsident der Partei ist. Ramelow ist der Winfried Kretschmann der
Linkspartei. Mitte-links wiederum schätzt ihn für seinen Pragmatismus und
seine Bürgerlichkeit, was immer das heißen soll: Ramelow, so die
beruhigende Erzählung, ist eine Art Sozialdemokrat in der falschen Partei.
Aber der Ramelow-Hype hat unbequeme Fragen an den Rand gedrängt: Hat
Ramelow eigentlich genug dafür getan, um Tolerierungs- oder sonstige
Modelle hinzubekommen? Wurde die FDP genug bearbeitet? Die FDP ist nicht
als prinzipienfest bekannt, und an ihr hängt kein Unvereinbarkeitsbeschluss
mit der Linkspartei wie an der CDU.
## Wenig Fähigkeit zur Demut
Zum politischen Handwerk gehört das beharrliche Locken und Umschmeicheln
[3][potenzieller Bündnispartne]r und das Unterbreiten von realistischen und
nicht vergifteten oder taktischen Angeboten, die die Gegenseite nur schwer
ablehnen können. Und die Fähigkeit, durch Entgegenkommen und eigene Demut
(ein christlicher Wert, würde Ramelow wohl sagen) dafür zu sorgen, dass die
Gegenseite nicht ihr Gesicht verliert. Zu sehr herrschte in Thüringen der
Ton vor: Ich bin der Star, gebt mir Mehrheiten.
Bodo Ramelow steckt inzwischen – unter kräftiger Mithilfe der
Medienöffentlichkeit – zu sehr in der Rolle des über allem thronenden
Landesvaters, so dass ihm die Fähigkeit, auf Augenhöhe zu verhandeln,
phasenweise abhandengekommen ist. Bei „Maischberger“ – „Der Wahlsieger
sitzt vor ihnen“ – stand er Mitte Februar anscheinend kurz davor, das
Interview abzubrechen, weil Sandra Maischberger es wagte, kritische Fragen
zu stellen. In der Sendung verglich er seine persönliche Lage nach der
Abwahl mit den Gefühlen, die er nach dem Massaker am Erfurter
Gutenberg-Gymnasium und dem Hungerstreik der Kalikumpel von Bischofferode
hatte. Kleiner macht es Bodo Ramelow nicht.
Mit ein bisschen Fantasie lässt sich ausmalen, dass ihm in Verhandlungen
autoritäre Dominanzgesten, die die andere Seite an die Wand drücken, nicht
ganz fremd sind. Parteien, merkwürdigerweise auch eher linke, neigen dazu,
ihren Stimmenbringern alles durchgehen zu lassen: Das war beim
SPD-Wahlsieger Gerhard Schröder 1998 so und bei Joschka Fischer von den
Grünen in derselben Zeit; bei Kretschmann ist es ähnlich. Das ist weder
links noch kritisch, das ist Hofstaat.
[4][Auf seinem Twitter-Profil] nennt sich Bodo Ramelow „Mensch“. Klingt
affektiert, stimmt aber. Er ist ein Mensch – und nicht King of Thüringen.
5 Mar 2020
## LINKS
[1] /Regierungskrise-in-Thuerigen/!5666301
[2] /Ministerpraesidentenwahl-in-Thueringen/!5669519
[3] /Regierungskrise-in-Thueringen/!5664926
[4] https://twitter.com/bodoramelow
## AUTOREN
Gunnar Hinck
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