# taz.de -- Große Koalition in Thüringen: Erfolgreich beendet | |
> Zehn Monate lang arbeiteten Rot-Rot-Grün und die CDU in Thüringen | |
> gezwungenermaßen zusammen. Am Montag endete der „Stabilitätsmechanismus�… | |
Bild: Vorbei: Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) und Heike Tau… | |
DRESDEN taz | „Heute werden die Grünen gemeinsam mit der AfD gegen | |
Windkraft im Thüringer Wald abstimmen“, sagte der demonstrativ staunende | |
AfD-Abgeordnete Michael Heinz Kaufmann am vergangenen Freitag. Einstimmig | |
billigte der Thüringer Landtag in Erfurt dann eine von CDU und FDP | |
eingebrachte Änderung des Thüringer Waldgesetzes, die Windräder in | |
Waldgebieten untersagt. Grüne Abgeordnete erklärten anschließend ihr | |
Abstimmungsverhalten gegen ihre Überzeugung, Fraktionsmitglied Olaf Müller | |
sprach gar von einem „schmutzigen Geschäft“. | |
Was ist das für ein Geschäft, für das sich mancher in der rot-rot-grünen | |
Koalition und in der CDU verbiegen muss? Es geht zurück auf die | |
Unregierbarkeit Thüringens in traditionellen Konstellationen nach dem | |
Landtagswahlergebnis vom Oktober des Vorjahres. Die Koalition von Linken, | |
SPD und Grünen verlor ihre fünf Jahre währende knappe Mehrheit. Die CDU | |
fiel hinter die AfD zurück und hätte höchstens mit dieser und der FDP eine | |
Koalition bilden können. | |
Am 5. Februar 2020 führte der AfD-Trick eines Scheinkandidaten und die | |
Naivität der CDU zur Wahl des FDP-Fraktionschefs [1][Thomas Kemmerich] zum | |
Interimsministerpräsidenten mit Hilfe der AfD. Ein [2][bundesweit heftig | |
reflektierter Tabubruch]. | |
Der löste eine Katharsis bei der Union aus. Bis Anfang März handelte sie | |
unter Führung ihres neuen Frontmannes Mario Voigt mit Rot-Rot-Grün einen | |
„Stabilitätsmechanismus“ aus. „Das böse,D'-Wort von der Duldung darf ma… | |
nicht in den Mund nehmen“, scherzt SPD-Fraktionschef Matthias Hey. Denn mit | |
einer offiziellen Tolerierung einer rot-rot-grünen Minderheit, gar mit | |
einer Quasi-Viererkoalition, hätte die Union gegen | |
Unvereinbarkeitsbeschlüsse der Bundespartei verstoßen, die jegliche | |
Zusammenarbeit mit der Linken oder der AfD ausschließen. | |
## „Ein einziges Gewürge“ | |
Durch ihre Enthaltung ermöglichte die CDU vier Wochen nach Kemmerich die | |
Wiederwahl des Linken Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten und damit die | |
Regierbarkeit des Freistaats in der kurz darauf einsetzenden Pandemie. | |
Gemeinsames Ziel war die Verabschiedung des Landeshaushalts 2021, die am | |
Montag im Landtagsplenum auch formal gelang. CDU-Berichterstatter Volker | |
Ende dankte zu Beginn der Sitzung für das „zielorientierte Zusammenwirken | |
aller“. Vorausgegangen war aber „ein einziges Gewürge“, wie Matthias Hey | |
von der SPD sagt, in einer 19-stündigen Sitzung der Koalition mit der CDU | |
Anfang Dezember. | |
Euphemistischer spricht Linken-Fraktionsvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow, | |
designierte Bundeschefin ihrer Partei, im Rückblick auf zehn Monate | |
Stabilitätspakt vom „konstruktiven Fetzen zum Wohl der Menschen im Land“. | |
Sie bestätigt aber auch das gegenseitige Erpressungspotenzial in dieser | |
Abhängigkeit. Denn die CDU bemerkte bald, dass sie statt des Verharrens in | |
der aussichtslosen Oppositionsrolle plötzlich eigene Vorstellungen | |
durchsetzen konnte. | |
So schreibt sie sich auf die Fahnen, dass die Kommunen im nächsten Jahr 200 | |
Millionen Euro mehr bekommen als geplant. Der aus der Polizeilaufbahn | |
kommende CDU-Vizechef Raymond Walk freut sich über mehr Personal bei | |
Polizei und Verfassungsschutz, obschon er sich noch mehr gewünscht hätte, | |
etwa die Regelausstattung mit Bodycams. | |
## Nur ein „Schein-Ende“? | |
Gleichzeitig bremste die Union bei der Aufnahme von Krisenkrediten, „um zu | |
viele Wohltaten von RRG zu verhindern“, wie Matthias Hey sagt. Hauptdeal | |
war das am Freitag beschlossene Verbot von Waldwindrädern, der „von der CDU | |
geforderte Skalp“, wie SPD-Hey zuspitzt. Sie hatte Bürgerinitiativen dieses | |
Verbot im Wahlkampf versprochen und daran die Zustimmung zum Haushalt | |
geknüpft. | |
Mit dem Landtagsbeschluss vom Montag endet formal der vereinbarte | |
Stabilitätsmechanismus. Der CDU-Mann Raymond Walk aber sieht die Thüringer | |
Union jetzt nur „scheinbar frei“, denn sie werde wegen der „AfD-Nazikeule… | |
auch künftige keine Mehrheiten mit den Rechtsaußen bilden können. „Es wird | |
den Stabilitätspakt faktisch weitergeben“, meint er. | |
Walk weiß aber auch, dass vor den am 25. April geplanten Neuwahlen die | |
Flügelkämpfe in der CDU erneut ausbrechen werden. Sie zu schlichten, wäre | |
eigentlich eine Aufgabe des mit Ach und Krach neu gewählten | |
Landesvorsitzenden Christian Hirte. Der aber sitzt im Bundestag und wird in | |
Thüringen kaum gesehen. | |
Das ist allerdings nicht das Problem der Linken Hennig-Wellsow. Sie | |
bezeichnet den im Jahr 2020 erfolgreich gesuchten kleinsten gemeinsamen | |
Nenner mit der Union sogar als „Modell für Stabilität in schwierigen | |
Zeiten“. „In Thüringen ist Historisches passiert“, fügt sie mit Blick a… | |
die in der bundesdeutschen Nachkriegspolitik einmalige Konstellation hinzu. | |
Ihrem SPD-Kollegen Hey fällt die Umstellung auf Wahlkampf im neuen Jahr | |
hingegen nicht so schwer. Er ist kein Freund von gleichmachender | |
„Demokratiefolklore“, sondern mag den klaren Wettbewerb der Ideen. Insofern | |
will er nicht von einem Thüringer Modell sprechen. Eine Gemeinsamkeit | |
verbindet aber alle Demokraten jenseits der AfD: Es soll bei Neuwahlen am | |
25. April und bei der dafür erforderlichen Selbstauflösung des Landtags im | |
Februar bleiben. Daran hält auch die CDU fest – obwohl sie für ihre | |
konstruktive Mitarbeit in den Umfragen bislang nicht belohnt wird. | |
21 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Thueringer-Ex-Ministerpraesident/!5719200 | |
[2] /Absturz-der-FDP-in-Corona-Zeiten/!5681714 | |
## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
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