# taz.de -- Neuwahlen drohen zu platzen: Thüringen im Dilemma | |
> Im Herbst soll in Thüringen ein neuer Landtag gewählt werden. Doch die | |
> CDU droht weiter, das Vorhaben zu blockieren. Abhilfe ist nicht in Sicht. | |
Bild: Chef einer prekären Allianz: Bodo Ramelow (Linke) will Neuwahlen – doc… | |
LEIPZIG taz | Es ist eine einzige Stimme, die das Thüringer | |
Parlamentsgeschehen wieder einmal zum Schauspiel macht. Diese eine Stimme | |
hat genug Gewicht, um damit den Thüringer Landtag erneut in eine Krise zu | |
stürzen und die kommenden Landtagswahlen zu verunmöglichen. | |
Im Herbst soll in dem Freistaat ein neues Parlament gewählt werden, | |
zeitgleich mit der Bundestagswahl – zumindest, wenn es nach der | |
Landesregierung aus Linken, SPD und Grünen geht. Die CDU beteuert zwar, mit | |
an Bord zu sein, scheint jedoch nicht die nötigen Stimmen zusammen zu | |
kriegen, um das Vorhaben durchzusetzen. | |
18 Stimmen muss die Union liefern, um zusammen mit Linkspartei, SPD und | |
Grünen eine Zweidrittelmehrheit im Landtag für dessen Auflösung zu | |
beschaffen. Diese ist Vorbedingung für die Neuwahlen. Doch vier | |
CDU-Abgeordnete sträuben sich, ohne sie kommt die CDU nur auf 17 Stimmen. | |
Kurzfristig schien es so, [1][als ob eine abtrünnige FDP-Frau die fehlende | |
Stimme liefern könnte.] Die Noch-FDP-Abgeordnete Ute Bergner will aus ihrer | |
Partei austreten und wäre bereit, für die Auflösung zu votieren. Allerdings | |
hat sie mit den „Bürgern für Thüringen“ eine neue Partei gegründet, die… | |
„Querdenker“-Milieu angesiedelt ist. Gemeinsam mit einer Querdenkerin | |
abstimmen – kaum denkbar für die Fraktionen von Linken, SPD und Grünen. So | |
geht die Hängepartie weiter. | |
## Ursprünglich drängte die CDU auf Neuwahlen | |
Das zähe Ringen um die Neuwahl ist eine Spätfolge des | |
[2][Kemmerich-Debakels]: Es war der Februar 2020, als sich die CDU | |
zähneknirschend auf einen „Stabilitätspakt“ mit rot-rot-grün einlassen | |
musste. Zuvor war der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit Stimmen der AfD | |
kurzzeitig zum Ministerpräsidenten gewählt worden und Thüringen dadurch in | |
eine handfeste Regierungskrise gestürzt. Kemmerich musste auf | |
bundespolitischen Druck zurücktreten. | |
Die sogar von der damaligen CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer | |
geforderten Neuwahlen lehnte die Landes-CDU jedoch ab. Mutmaßlich aus | |
wahltaktischen Gründen – zu diesem Zeitpunkt kam die Union in Umfragen nur | |
noch auf zwölf Prozent und hätte knapp die Hälfte ihrer Mandate verlieren | |
können. | |
Also einigten sich die Parteien darauf, dass die CDU die | |
Minderheitsregierung von Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) bis zu den | |
Neuwahlen stützt, um Mehrheiten im Parlament bilden zu können. Der Landtag | |
sollte fristgerecht nach dem Haushaltsbeschluss im Dezember 2020 aufgelöst | |
werden sollte, um so den Weg für Neuwahlen im April 2021 freizumachen. | |
Dann jedoch wurde klar: Die Pandemie erlaubt den Gang zur Wahlurne nicht. | |
Damals war es die CDU, die die Wahl trotz Pandemie durchziehen wollte. | |
Dennoch beschlossen die Vorsitzenden und Parteichefs der Linken, SPD, | |
Grünen und CDU im Januar, die Wahlen auf September zu verschieben. | |
## Das Vertrauen ist weg | |
Nun steht jedoch auch dieser Wahltermin in Frage. Am 19. Juli soll über die | |
geplante Auflösung des Parlaments abgestimmt werden. Nur das jetzt eben | |
unklar ist, ob und wie die dafür nötige Mehrheit eigentlich zustande kommen | |
soll: Die Sache mit der einen Stimme, die fehlt. | |
Über die Gründe der vier Blockierer in der CDU lässt sich nur mutmaßen. | |
Drei von ihnen sind schon etwas älter, würden vermutlich bei der kommenden | |
Wahl nicht mehr antreten. Neuwahlen könnten also kurz vor der Rente ihren | |
Job gefährden. | |
Die politische Lage in Thüringen ist außerdem alles andere als eindeutig. | |
Laut einer Insa-Umfrage vom 17. Juni würden Linke, SPD und Grüne derzeit | |
bei Wahlen keine Mehrheit im Parlament erreichen. Zusammen kommen sie in | |
der Umfrage auf 41 Prozent der Stimmen. Die CDU bekäme demnach 22 Prozent | |
der Stimmen, die AfD 23 Prozent und die FDP 7 Prozent. Rot-rot-grün würde | |
auch laut einer Infratest-Umfrage vom März keine Mehrheit erreichen. | |
Die CDU beteuerte vergangene Woche, dass bei der entscheidenden Abstimmung | |
am 19. Juli die notwendigen Stimmen aus der Unionsfraktion kommen würden. | |
Doch die Regierungsparteien sind skeptisch. „Das Problem ist das fehlende | |
Vertrauen in die CDU“, sagt Steffen Dittes, der stellvertretende | |
Landesvorsitzende der Linkspartei. Seit der Kemmerich-Wahl sei das | |
Vertrauen erschüttert. | |
## Keine Einsicht bei der CDU | |
Dittes sagt, die CDU könne ihre Glaubwürdigkeit „mit einem Federstrich | |
belegen“ und ein öffentliches Signal setzen, wenn sie mindestens 18 | |
Unterschriften für den Antrag auf Auflösung des Landtags liefern würde. | |
Dieser ist nötig, damit dann über die Auflösung abgestimmt werden kann. | |
Dittes sagt, das aktuelle Verhalten der Union spiele der AfD in die Hände. | |
Im schlimmsten Falle würden die Rechtsextremen nämlich die bei der | |
Abstimmung fehlende Stimme liefern, wenn die CDU es nicht kann. „Wir werden | |
den Thüringer Landtag nicht auf einen Tabubruch 2.0 zulaufen lassen“, so | |
Dittes. Er forderte von der CDU ein öffentliches Bekenntnis zur Abstimmung. | |
CDU-Fraktionsvorsitzender Mario Voigt hingegen verdeutlicht, dass man sich | |
von rot-rot-grün nicht vor den Karren spannen lassen will. Er kommentierte | |
vergangene Woche mit Blick auf den Antrag zur Auflösung, es gehe nicht um | |
eine „Unterschriftensammlung im Hinterzimmer, sondern eine souveräne | |
Entscheidung des Parlaments“. Thüringen brauche Neuwahlen – entsprechende | |
Mehrheiten dafür gebe es. | |
„Ein vorgeschobenes Argument“, nennt dies der Thüringer Innenminister Georg | |
Maier (SPD). Er sieht angesichts der Hängepartie die Verantwortung bei der | |
CDU. Die Aussage Voigts sei eine „Ausrede“, weil er nicht genug Stimmen aus | |
seiner Partei liefern könne. Maier sagt, die CDU sei in Thüringen derzeit | |
„ein unsicherer Kantonist“ und „schwieriger Partner“ und verweist auf d… | |
Aufsstellung des Afd-nahen Hans-Georg-Maaßen als Spitzenkandidat für den | |
Wahlkreis Südthüringen. | |
Eigentlich könnte die fehlende Stimme auch noch von der Partei kommen, die | |
mehr oder weniger direkt einen Großteil der Verantwortung für die ganze | |
Misere trägt: der FDP. Sowohl SPD-Innenminister Maier als auch die | |
Linken-Bundesvorsitzende Susanne Henning-Wellsow sehen auch in den | |
Liberalen mögliche Partner für die Abstimmung. Doch daraus dürfte wohl | |
nichts werden, die Liberalen fühlen sich in ihrer Oppositionsrolle wohl. | |
Das Hin und Her zeigt, wie zerrüttet der Thüringer Landtag fast eineinhalb | |
Jahre nach der Regierungskrise noch immer ist. Noch in dieser Woche sollen | |
weitere Gespräche zwischen rot-rot-grün und der Union laufen. Bis zum 7. | |
Juli haben die Fraktionen noch Zeit, sich zu einigen, dann läuft die Frist | |
für den Auflösungsantrag aus. | |
22 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Sarah Ulrich | |
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