| # taz.de -- Wettanbieter im Fußball: Zocken und weg sind die Ocken | |
| > In diesem Jahr soll der Markt der Sportwetten stärker reguliert werden. | |
| > Das trifft auch die Fußballbranche, die mit den Anbietern verwachsen ist. | |
| Bild: Unheilvolle Symbiose: Fußball und Sportwetten sind miteinander eng verwo… | |
| Als James Grimes im April 2018 zum letzten Mal spielte, war er ruiniert. | |
| Der Tottenham-Fan hatte in zwölf Jahren Glücksspielsucht Freundschaften und | |
| Beziehungen verloren, war aus zwei Jobs entlassen worden und hatte 100.000 | |
| Pfund verspielt. Er hatte Angstzustände und Depressionen, war hoch | |
| verschuldet. „Wenn ich all das mit 16 gewusst hätte, hätte ich niemals | |
| angefangen“, erzählt Grimes heute via Zoom. Doch beim Fußball sei das ja | |
| normal gewesen. Werbung für Wettanbieter auf Banden, Trikots, im Fernsehen, | |
| Wetten ein Teil der Sportkultur. „Es liegt nicht nur an der Werbung, | |
| sondern an der Normalisierung“, sagt Grimes. Er will das ändern. | |
| Heute, mit 30 Jahren, ist James Grimes, so sagt er, abstinent, und er ist | |
| ein gefragter Mann. 2019 hat Grimes [1][„The Big Step“] gegründet, eine | |
| Graswurzel-Organisation, die Protestmärsche zu Fußballklubs mit | |
| Glücksspielsponsoren durchführt; in England wie in Deutschland sind das | |
| sehr viele. „Viele Vereine erklären sich dann gern zu Bildungsprogrammen | |
| bereit, aber das ist heuchlerisch. Für jeden Menschen, den wir aus dem | |
| Wasser ziehen, wirft die Industrie hundert Leute mehr hinein.“ James Grimes | |
| will deshalb die große Lösung: ein Werbeverbot für Glücksspiel. Wie kommt | |
| es, dass der Sport so breit für ein Suchtprodukt wirbt und sich lange kaum | |
| jemand daran störte? | |
| In den großen Fußballnationen gibt es nun eine Bewegung dagegen. Italien | |
| hat 2018 als erstes EU-Land ein komplettes Werbeverbot ausgesprochen, | |
| Spanien folgte 2020. Gegen den großen Aufschrei der Fußballindustrie, die | |
| sehr gut an Glücksspielwerbung kassiert, allein in der Serie A waren es 120 | |
| Millionen Euro im Jahr. Auch in Großbritannien wird nun über ein | |
| Werbeverbot diskutiert. Zwei Drittel der englischen Fans fänden, es gebe zu | |
| viele Glücksspielwerbung im Fußball, sagt Grimes. „Die Öffentlichkeit ist | |
| auf unserer Seite.“ | |
| An Deutschland geht diese Debatte erstaunlich vorbei. Obwohl am 1. Juli | |
| dieses Jahres der [2][neue Glücksspielstaatsvertrag] in Kraft treten soll, | |
| der Onlineglücksspiel unter Auflagen legalisiert. Es ist ein Versuch, den | |
| Onlinemarkt zu regulieren, der von SuchtexpertInnen aber teils heftig | |
| kritisiert wurde: zu lasche Auflagen, zu wenig Kontrolle, Amnestie für | |
| illegale Anbieter. Glücksspielwerbung aktiver SportlerInnen und | |
| FunktionärInnen soll dann auch hierzulande verboten sein, Dachmarkenwerbung | |
| nicht. | |
| Die Erlöse der Glücksspielunternehmen sind innerhalb eines Jahrzehnts von 2 | |
| Milliarden auf 9 Milliarden gestiegen. In der vergangenen Saison hatten 16 | |
| von 18 Männer-Bundesligisten einen Glücksspielanbieter als Sponsor oder | |
| Partner, auch der DFB wirbt trotz Mahnung der Aufsichtsbehörden für Bwin. | |
| Oliver Kahn, Bastian Schweinsteiger, Boris Becker oder Franziska van | |
| Almsick; fast jeder Sportstar war mal dabei. Und nun? | |
| ## Beherrschbares Freizeitvergnügen? | |
| „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die neue Regel einen großen Einfluss | |
| auf die Wahrnehmung der Anbieter hat“, sagt der Sportökonom Konstantin | |
| Herrmann. „Das sind millionenschwere Unternehmen, die können ohne aktuelle | |
| Athleten als Werbefiguren auskommen.“ Herrmann, heute auf einem anderen | |
| Gebiet im Sportministerium tätig, hat seine Dissertation über das Thema | |
| Sportwetten geschrieben. | |
| „Es fehlt an Forschungsergebnissen, die einen klaren Zusammenhang zwischen | |
| Werbung und Glücksspielteilnahme sowie Sucht belegen“, so Herrmann. | |
| Natürlich senke die omnipräsente Werbung die Hürde, teilzunehmen, aber | |
| Freunde und Bekannte seien viel einflussreicher. Von den befragten | |
| Wettenden seiner Onlinestudie setze die Hälfte nicht mehr als 200 Euro im | |
| Monat. „Für diese Gruppe könnte man von Freizeitvergnügen sprechen. Der | |
| Anteil der Glücksspielsüchtigen in Deutschland liegt unter einem Prozent. | |
| Natürlich ist jeder einer zu viel, aber Sportwetten nur auf Sucht zu | |
| reduzieren, greift mir zu kurz.“ Spielmanipulation und Geldwäsche müssten | |
| auch diskutiert werden. | |
| Es ist eine Auslegung, die auch die Glücksspielindustrie oft nutzt: Es | |
| betreffe nur wenige, die meisten Menschen wüssten damit umzugehen. Doch das | |
| Geschäftsmodell der Unternehmen basiert vor allem auf denen, die die | |
| Kontrolle verlieren. Die Zahl süchtiger oder problematischer SpielerInnen | |
| wird in Deutschland auf 400.000 Menschen geschätzt. In England gibt es laut | |
| „The Big Step“ jährlich 20.000 Suizidversuche Spielsüchtiger. | |
| Herrmanns Zahlen laden da durchaus auch zu anderen Interpretationen ein. | |
| Sind 41 Prozent der Sportwettenden, die noch an anderem Glücksspiel | |
| teilnehmen, wirklich, wie er schreibt, „relativ gering“? Wenn die Hälfte | |
| der Befragten ein Freizeitvergnügen betreibt, was tun die anderen 50 | |
| Prozent? | |
| Relevant dagegen: der Einwand zum Einfluss von Werbung. Studien zur | |
| Alkohol- und Tabakwerbung legen nahe, dass diese den Konsum kaum | |
| beeinflusst. Oft kommt erst der gesellschaftliche Wandel, dann das | |
| Werbeverbot. Allerdings signalisiert Werbung die gewisse Harmlosigkeit. | |
| Und: Alkohol und Videospiele, Fast Food oder Social Media – es ist das | |
| Wesen des Kapitalismus, Abhängigkeiten zu erzeugen. Welche Werbung soll | |
| also untersagt werden? | |
| Ilona Füchtenschnieder, [3][Vorsitzende des Fachverbands Glücksspielsucht] | |
| und Dauerkarteninhaberin bei Arminia Bielefeld, beobachtet seit Jahren eine | |
| gelungene Platzierung der Wettanbieter in der Mitte der Gesellschaft. | |
| „Tipico bietet illegales Glücksspiel an. Es ist eigentlich unvorstellbar, | |
| dass er ein Hauptsponsor des FC Bayern ist.“ Sie habe immer wieder | |
| versucht, mit Vereinen und Verbänden über das Thema zu sprechen, auch mit | |
| dem FC Bayern. „Da kam nur eine lapidare Antwort. | |
| ## Auf Augenhöhe im Minus | |
| Der Fußball will davon nichts wissen.“ Sie zitiert das Experiment des | |
| Forschers Tobias Hayer, der Hausfrauen und Sportreporter 27 Spiele tippen | |
| ließ: beide landeten auf Augenhöhe im Minus. „Mehrere europäische Länder | |
| regulieren jetzt stärker, Deutschland dagegen liberalisiert“, kritisiert | |
| Füchtenschnieder. Auch sie fordert ein Werbeverbot. Und nennt noch etwas: | |
| die hohe Glücksspiel- und Poker-Affinität im Fußball, unter männlichen | |
| Profis. | |
| Vor zehn Jahren schrieb der Ex-Profi [4][René Schnitzler in „Zockerliga“] | |
| über seine Spielsucht; er behauptet, in jeder Mannschaft sei gezockt und | |
| gewettet worden. Eine eindrückliche Szene schildert, wie das Team bei Bayer | |
| Leverkusen spontan 5.000 Euro darauf wettete, wessen Koffer am Flughafen | |
| als Erstes auf dem Band erscheinen würde. Gerade Fußballprofis – jung, | |
| männlich, wettbewerbsorientiert – seien Risikogruppe für Spielsucht, so | |
| Füchtenschnieder, „Und sie haben viel Zeit, viel Geld und viel Druck.“ | |
| Reiche junge Männer, die versuchen, die Hochgefühle des Spieltags zu | |
| reproduzieren, spätestens hier wird das Phänomen auch zu einem sozialen | |
| Abbild des Fußballs, losgelöst von Werbung. Spielsüchtige Profis werden | |
| gern wegen Spielmanipulation angesprochen – weil sie Geld brauchen, um ihre | |
| Schulden zu begleichen. | |
| Auf die Frage, wie seine enge Verflechtung mit Wettanbietern für den DFB | |
| mit dem Kinder- und Jugendschutz zusammengeht, schreibt die Pressestelle: | |
| um den Schwarzmarkt zu bekämpfen, sei „eine angemessene Bewerbung erlaubter | |
| Glücksspielangebote erforderlich“. Doch die meisten Dachmarken, inklusive | |
| Bwin, bieten auch illegales Glücksspiel an. Daher werde „der Bezug zum | |
| legalen Sportwettenangebot („bwin Sportwetten“) hervorgehoben“, erwidert | |
| der DFB. Er findet das ausreichend. | |
| Beim Vormarsch privater Wettanbieter war der Fußball gern vorn dabei. DFB | |
| und DFL haben mittlerweile ein Programm gegen Spielmanipulation und | |
| Spielsucht. Seit 2011 gibt es einen Ombudsmann und für Aktive die | |
| Möglichkeit, sich anonym zu melden. Außerdem werden jährliche Schulungen | |
| für Erst- und Zweitligisten der Männer durchgeführt; in den | |
| Leistungszentren sind ab der U16 Workshops Pflicht, im Frauenfußball, so | |
| der DFB, sollen sie ab 2021/22 kommen. | |
| Der Fachverband Glücksspielsucht wurde nicht eingebunden. Die Vorsitzende | |
| begrüßt die Tatsache, dass es einen Ombudsmann gibt. Aber die Schulungen | |
| hält sie für reine Pflichtübungen – und unglaubwürdig, „wenn man | |
| gleichzeitig für Sportwetten wirbt“. In diesem Geflecht von Sponsoring und | |
| globaler Kriminalität, von Alltagskultur und gelangweilten Profis in | |
| Hotelzimmern ist ein Werbeverbot nur ein Teil des Spektrums. Einen | |
| plausiblen Vorschlag macht Tilman Becker von der Forschungsstelle | |
| Glücksspiel der Uni Hohenheim: Werbung je nach Suchtgefahr zu beschränken. | |
| Spielautomaten, aber auch Sportwetten, Poker und Casinospiele bergen | |
| substanzielles Risiko; Lotto dagegen sei eher harmlos. | |
| Becker schreibt, es gelte, den Spieltrieb des Menschen „hin zu | |
| ungefährlichen Spielen zu kanalisieren“. Was die Werbung mit dem Menschen | |
| macht, bleibt schwer zu bemessen. Der FC Internationale aus Berlin befragte | |
| vor Jahren einige seiner 16- bis 17-jährigen Spieler nach ihren | |
| Glücksspielaktivitäten. Der Vereinsvorsitzende Gerd Thomas berichtet, jeder | |
| von den minderjährigen Befragten habe jemanden gekannt, der wette. Alle | |
| hielten sich für Fußballexperten und glaubten deshalb an große | |
| Gewinnchancen. | |
| „Wir hatten nicht den Eindruck, dass jemand akut gefährdet ist. Aber das | |
| würden wir wohl auch nicht rauskriegen. Und sie haben durchaus von | |
| Jugendlichen erzählt, die viel Geld setzen und das irgendwie ranschaffen | |
| müssen, da geht es dann schnell auch um Beschaffungskriminalität.“ Andere | |
| Klubs hätten ihm bestätigt, dass Glücksspiel auch hier ein Thema war. „Wenn | |
| Kahn und Schweinsteiger da stehen, ihre Vorbilder, und für Wetten werben, | |
| natürlich macht das was mit den Leuten“, sagt Thomas. „Nach unserer | |
| Befragung ist nichts passiert.“ | |
| Kürzlich war zu lesen, dass Lukas Podolski sein Engagement als | |
| [5][Markenbotschafter eines Sportwettenanbieters] aufgibt, wegen des neuen | |
| Glücksspielstaatsvertrags. „Gesetz ist Gesetz“, ließ er sich zitieren. Do… | |
| etwas könnte die Regulierung im Fußball erschweren: die Pandemie. „Vor | |
| allem den Klubs in den unteren Ligen geht es schlecht“, sagt James Grimes. | |
| „Die Klubs sagen, dass ein Verbot für Glücksspielwerbung zur Unzeit käme.�… | |
| Aber sie müssten verstehen, dass es nichts bringe, wenn sie mit Unternehmen | |
| kooperieren, die Fans ausnehmen. Dass das Geld von ihnen nicht mehr in den | |
| Verein fließe. „Es gibt Vorsitzende, die verstehen, dass sich Dinge ändern | |
| müssen.“ Andere nicht. | |
| 23 Jan 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.gamblingwithlives.org/ | |
| [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Gl%C3%BCcksspielstaatsvertrag | |
| [3] https://www.gluecksspielsucht.de/ | |
| [4] https://11freunde.de/artikel/zocken-sex-und-schieberei/415148 | |
| [5] https://www.sportwette.net/wett-tipps/news/lukas-podolski-ist-werbegesicht-… | |
| ## AUTOREN | |
| Alina Schwermer | |
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