# taz.de -- Werner Schulz über Osteuropa: „Bosporus dichtmachen“ | |
> Der Grüne Europa-Abgeordnete Werner Schulz ärgert sich jetzt, dass er aus | |
> dem Parlament aussteigt. Er fordert, härter gegen Putin vorzugehen. | |
Bild: Werner Schulz möchte, dass der Bosporus nur noch für ausgewählte Krieg… | |
taz: Herr Schulz, Sie haben 15 Jahre im Bundestag gearbeitet und waren | |
jetzt eine Legislaturperiode lang Abgeordneter im EU-Parlament. Was läuft | |
in Brüssel anders? | |
Werner Schulz: Ich habe noch nie so viele Änderungsanträge durchbekommen | |
wie im Europäischen Parlament, und ich konnte meine Vorstellungen direkt in | |
Resolutionen einfließen lassen. Und Resolutionen können ausschlaggebend | |
sein. So haben wir seinerzeit eine Resolution zu den gefälschten | |
Duma-Wahlen im Dezember 2012 verabschiedet und diese wurde auf einer großen | |
Protestkundgebung in Moskau verlesen. Das hat seine Wirkung nicht verfehlt. | |
Sie haben sich in Brüssel vor allem für die Belange der osteuropäischen | |
Nachbarstaaten der EU eingesetzt. Wie kam es dazu? | |
Im Sommer 2006 lernte ich die russische Journalistin Anna Politkowskaja in | |
St. Petersburg kennen. Sie erzählte mir von den schwierigen | |
Arbeitsbedingungen dort, den schweren Menschenrechtsverletzungen in | |
Tschetschenien und dass sie sich selbst auch bedroht fühlte. Das hat mich | |
sehr beeindruckt und ich dachte, die sind ja in genauso einer lausigen | |
Situation, wie wir damals in der DDR-Opposition. | |
Uns hat 1983 sehr geholfen, dass die westdeutschen Grünen uns unterstützt | |
haben. Wir hatten plötzlich Verbündete. Das fiel mir wieder ein und ich | |
wollte etwas für die russische Opposition tun und damit etwas von dem | |
zurückgeben, was ich selbst erfahren hatte. Dann wurde Politkowskaja | |
erschossen, am Geburtstag von Putin. Das hat mich erschüttert und war | |
letztlich das ausschlaggebende Moment, etwas zu tun. Und das konnte ich am | |
besten vom Europäischen Parlament aus. | |
Konnten Sie sich mit ihrem Anliegen Osteuropa in Brüssel Gehör verschaffen? | |
Wir waren mit Russland während der Regierungszeit von Dmitri Medwedjew | |
lange Zeit auf einem guten Weg und haben Moskau enorm große Angebote | |
gemacht. Dazu gehörten eine strategische Partnerschaft und eine | |
Modernisierungspartnerschaft sowie zwei EU-Russland-Gipfel im Jahr. Aber | |
wir sind keinen Zentimeter von der Stelle gekommen, denn Medwedjew hat uns | |
an der Nase herumgeführt. Denn er hatte keine Prokura und war nur ein | |
Platzhalter von Wladimir Putin. Der nutzte das alles nur als Versuchsballon | |
und bastelte im Hintergrund an der Eurasischen Union, einem Gegenmodell zur | |
EU. Auch mit mehreren Staaten der östlichen Partnerschaft, wie der Ukraine | |
oder Moldau, waren wir sehr weit gekommen. | |
Angesichts der Krise in der Ukraine sagen jetzt jedoch viele Kritiker, die | |
EU habe gravierende Fehler gemacht … | |
Wie gesagt: Es gab die großzügigen Angebote an Russland und es gab auch | |
überhaupt keine Störfeuer gegen die Assoziierungsabkommen der EU mit der | |
Ukraine, Moldau oder Georgien. Wiktor Janukowitsch war 2010 mit dem | |
Versprechen gewählt worden, dass die Ukraine dieses Abkommen unterzeichnen | |
und die Orientierung nach Europa fortsetzen wird. Wir haben sehr umsichtig | |
verhandelt. Doch dann begann in der Ukraine der Rachefeldzug gegen die | |
Opposition und der Handelskrieg Russlands gegen Kiew. Das Ende ist bekannt: | |
Das Assoziierungsabkommen mit der EU wurde von der Ukraine in Vilnius nicht | |
unterschrieben. | |
Wie beurteilen Sie die Rolle, die die EU in der derzeitigen Ukraine-Krise | |
spielt? | |
Das alles wirkt etwas hilflos. Natürlich müssen die Gesprächskanäle offen | |
gehalten werden, doch die EU hat immer noch nicht die Sprache gefunden, die | |
Putin wirklich versteht. | |
Was wäre das denn für eine Sprache? | |
Man muss Putin Einhalt gebieten und das kann man nicht mit Einreiseverboten | |
für 35 Personen. Auch die wirtschaftlichen Sanktionen sind zweischneidig, | |
weil sie Auswirkungen auf beiden Seiten haben. Nein, man hätte Putin vor | |
Augen führen können, was es bedeutet, das Völkerrecht zu brechen. | |
Wie? | |
Es gibt das Abkommen von Montreux von 1936, das die Durchfahrtsrechte durch | |
den Bosporus regelt. Jetzt hätte man sagen können, wir fühlen uns diesem | |
Abkommen auch nicht mehr verpflichtet. Das hieße, die russische | |
Schwarzmeerflotte könnte nicht mehr durch den Bosporus fahren und käme | |
nicht mehr in die Weltmeere. Dann könnte Putin mit der Krim überhaupt | |
nichts anfangen. | |
Warum treten Sie nicht wieder an? | |
Weil ich für mich von Anfang an festgelegt habe, dass ich mit 65 Jahren | |
aufhöre. Ich habe das auch meiner Familie versprochen, aber nicht damit | |
gerechnet, dass ich in solche Turbulenzen komme. Hätte ich das vor zwei | |
Jahren erkannt, hätte ich der Partei signalisiert, dass ich weitermachen | |
möchte. Jetzt zu sagen, ich trete doch noch einmal an, hätte in der Partei | |
Irritation ausgelöst und in der Familie hätte ich ziemlichen Ärger | |
bekommen. Aber ich merke, dass es mir schwerfällt aufzuhören. Das hätte ich | |
nie gedacht. | |
Wie sind Ihre weiteren Pläne? | |
Ich bin in verschiedenen Stiftungen aktiv und bekomme Anfragen für | |
Vorträge, wie jetzt aus den USA. Ich habe gelesen, das Beste gegen Demenz | |
sei, dass man sich immer noch in die aktuelle Politik einmischt. Also kein | |
Sudoku und keine Kreuzworträtsel. | |
Wo sehen Sie die EU in zehn Jahren? | |
Sie wird gefestigter sein als heute. Das wird eine EU sein, die eine | |
gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik hat, wesentlich mehr abgestimmt, | |
als das heute der Fall ist. Wir können wahrscheinlich Wladimir Putin als | |
unfreiwilligen Geburtshelfer dieser gemeinsamen Sicherheits- und | |
Außenpolitik betrachten. Denn alle Krisen haben bisher immer dazu geführt, | |
dass man enger zusammengewachsen ist. | |
21 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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