# taz.de -- Europäische Personalpolitik: In Brüssel hört dich keiner schreien | |
> Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa. Gerne werden Politiker aller | |
> Parteien ins EU-Parlament abgeschoben, wenn sie zu Hause stören. | |
Bild: Der größte Politikerparkplatz Europas? | |
BERLIN taz | Wir schreiben das Jahr 2012, vor dem Europaparlament in | |
Straßburg begegnet der Journalist Henryk M. Broder dem Abgeordneten Lothar | |
Bisky. Wie es denn so sei im Europaparlament, fragt Broder den | |
Linke-Politiker. „Wunderbar!“, antwortet Bisky und führt weiter aus: „Ich | |
brauchte einen vernünftigen Abgang ohne Krach.“ Ob das den Aufwand wert | |
sei, hakt Broder nach. Biskys offenherzige Antwort: „Na ja, es ist ja nicht | |
langweilig, ’n bisschen habe ich schon Interesse daran.“ Dann verschwindet | |
er freundlich grüßend mit seinem Rollkoffer. | |
Diese Filmszene bedient komplett das gängige Vorurteil über das | |
EU-Parlament: Dort würden Politiker zwischengeparkt oder abgeschoben, die | |
in ihrem Heimatland stören. „Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa“, | |
lautet ein beliebter Reim. Gemeint sind damit jene PolitikerInnen, die in | |
ihrem nationalen Parlament nichts mehr werden können – oder schon alles | |
waren. Auf den 2013 verstorbenen Bisky traf Letzteres durchaus zu. | |
Mitunter handelt es sich bei den Europa-Opas und -Omas aber auch um | |
Jüngere, die noch etwas werden wollen und können – aber eben noch nicht | |
jetzt. So eine könnte die Grüne Ska Keller sein, die im Ringen um die | |
Spitzenkandidatur der altgedienten Rebecca Harms unterlag. Hier gilt das | |
Motto: „In Brüssel hört dich keiner schreien.“ | |
Hört man sich um, wer denn in Deutschland zu den typischen | |
Brüssel-Zwischenparkern gehört, fallen Namen quer durch alle Fraktionen. Da | |
wäre zum einen der aktuelle CDU-Spitzenkandidat David McAllister, der nach | |
seinem tränenreichen Abgang als Niedersachsens Ministerpräsident auf ein | |
warmes Plätzchen in Brüssel hofft. Dort könnte der 43-Jährige überwintern, | |
bis Angela Merkel ihn – vielleicht – als Nachwuchshoffnung nach Berlin | |
holt. | |
Ein anderer prominenter Fall Brüsseler Abschiebepolitik ist der einstige | |
Grünen-Vorsitzende Reinhard Bütikofer. Nach seinem Amtsende 2008 wurde er | |
flugs zum Spitzenkandidaten für die Europawahl gemacht. Sein Nachfolger als | |
Grünen-Vorsitzender in Berlin hieß damals Cem Özdemir – ein | |
Zwischengeparkter, wie er im Buche steht. Der Baden-Württemberger hatte | |
2002 wegen einer Kredit- und Bonusmeilen-Affäre als innenpolitischer | |
Sprecher seiner Fraktion zurücktreten müssen. Nach einer kurzen | |
Läuterungszeit in Washington D.C. kehrte er 2004 als Europa-Abgeordneter | |
zurück in die Politik. 2008 wechselte Özdemir schließlich auf den | |
Grünen-Vorsitzenden-Posten nach Berlin. | |
## Unausrottbare Vorurteile | |
Bei den Linken fällt neben den Namen Bisky und Sahra Wagenknecht besonders | |
häufig der von Gabi Zimmer. 2002 war die Thüringerin unter erheblichem | |
Druck als PDS-Vorsitzende zurückgetreten, zwei Jahre darauf kandidierte sie | |
erstmals für das Europaparlament. Die heute 59-Jährige tritt aktuell zum | |
dritten Mal an. Natürlich, sagt sie der taz, kenne sie die abfälligen | |
Sprüche über abgewrackte und gut versorgte Europaabgeordnete, das Vorurteil | |
sei „unausrottbar“. Und ja, erzählt sie, als sie 2004 nach Brüssel kam, | |
„war das noch so: viele Alte, der war mal dies, der mal jenes“. | |
Heute sei das anders. Mittlerweile gelte gerade bei jüngeren Politikern | |
eine Straßburg-und-Brüssel-Phase als Bonusqualifikation. Die besten Leute | |
würden von ihren Parteien aus Brüssel abgezogen, um im Heimatland Politik | |
zu machen. Wer sich im EU-Parlament durchgesetzt hat, weiß Zimmer, hat sich | |
wirklich mit Inhalten auseinandergesetzt. Sich selbst nennt sie heute „eine | |
begeisterte Europäerin“. | |
Und dann gibt es noch die Kategorie Brüssel als Rettungsanker. In der zur | |
letzten Bundestagswahl aus dem Parlament geflogenen FDP entbrannten danach | |
heiße Kämpfe um die vorderen EU-Listenplätze. Der neue Parteichef Christian | |
Lindner musste beim Europaparteitag Mitte Januar die ersten sieben Plätze | |
mit harter Hand gegen die Begehrlichkeiten arbeitslos gewordener | |
Bundespolitiker verteidigen. | |
Nach dem Wahltag am 25. Mai werden diese Liberalen wohl in Brüssel auf ihre | |
Widersacher von der AfD treffen. Für die wird es eine parlamentarische | |
Premiere – in der Hoffnung auf Weiterreise nach Berlin im Herbst 2017. | |
16 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
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